Das zweite Paramita: Die Disziplin, das ethische Verhalten
Achtsamkeit, die Essenz der Disziplin
Quelle: Entering the way of the bodhisattva: a new translation and contemporary guide. Shantideva, translated with commentary by Khenpo David Karma Choephel
Die Methoden, die der Bodhisattva benutzt, um den Geist zu schützen, sind Achtsamkeit und Gewahrsein. Das Wort Achtsamkeit wird im Deutschen sehr breit verwendet, aber in traditionellen buddhistischen Texten bezieht es sich darauf, sich daran zu erinnern, was man tun und was man nicht tun sollte. Im Kontext der Disziplin bedeutet Achtsamkeit, sich daran zu erinnern, was das Bodhisattva-Gelübde erlaubt und was es nicht.
Die kontinuierliche Anwendung von Achtsamkeit führt zu Gewahrsein, was bedeutet, einfach zu wissen, was mit unserem Körper, unserer Sprache und unserem Geist geschieht – sich dessen bewusst zu sein, was wir sagen oder denken, und nicht mechanisch zu handeln, während unsere Gedanken woanders hinwandern. Wie im Prajnaparamita-Sutra in den Einhunderttausend Strophen steht:
Wenn ein Bodhisattva-Mahasattva geht, weiß er: „Ich gehe.“ Wenn er steht, weiß er: „Ich stehe.“ Wenn er sitzt, weiß er: „Ich sitze.“ Wenn er sich hinlegt, weiß er: „Ich liege.“ Wenn er ein angenehmes oder unangenehmes körperliches Gefühl hat, weiß er es, wie es ist.
Die grundlegende Basis für die Entwicklung von Achtsamkeit und Gewahrsein ist, dass wir in der Lage sind, den Geist und folglich unsere körperlichen und verbalen Handlungen zu kontrollieren. Nach den buddhistischen Lehren über Karma resultieren die meisten Unglücke und Gefahren, denen wir begegnen, aus unseren vergangenen Handlungen. Allen karmischen Handlungen geht immer eine Absicht im Geist voraus. Aus diesem Grund hängt alles Unglück vom Geist ab.
Shantideva lehrt, dass alles – sowohl Positives als auch Negatives – vom Geist abhängt. Er erklärt, dass der Buddha in den Sutras lehrte, dass alle Leiden aus dem Geist entstehen, wobei er sich auf die Leiden der Höllenbereiche konzentriert. Die Erscheinungen des Leidens in der Hölle, wurden nicht von einem Schöpfergott geschaffen. Stattdessen pflanzt das Handeln, das aus einem bösen Gedanken wie Zorn heraus entsteht, einen giftigen Samen in den Geist, der später, wenn die Bedingungen stimmen, als die verblendeten Wahrnehmungen eines Höllenbereiches wieder aufgeht.
So wie alle Fehler vom Geist abhängen, so hängen auch alle Qualitäten vom Geist ab, einschließlich der sechs Vollkommenheit – Großzügigkeit, Disziplin, Geduld, Fleiß, Dhyana oder Meditation und Prajna oder Weisheit. Was diese sechs Vollkommenheiten ausmacht, ist nicht die äußere Erscheinung oder Wirkung (zum Beispiel die Beseitigung der Armut in der Welt oder der Schutz aller fühlenden Wesen vor Gefahren), sondern die Absicht und die Sichtweise der Dinge des Bodhisattvas.
Im Mahaparanirvana Sutra gibt es eine Geschichte über eine Mutter und eine Tochter, die von einer Flut mitgerissen wurden. Beide dachten mit großer Liebe an einander und beteten dafür, dass der geliebte Mensch nicht stirbt. Aber sie gingen beide zusammen unter. Das Ergebnis ihrer klaren und liebevollen Gedanken war, dass beide in einem höheren Bereich, bzw. Götterbereich wiedergeboren wurden.