Kagyu Samye Dzong Kirchheim e.V.

Zuflucht

„Mein Haus. Mein Auto. Mein Pferd. Meine Frau.“ – Egal, in welcher Reihenfolge, wir Menschen binden uns an Dinge und andere Menschen, in der Hoffnung, dass sie uns Sicherheit und Sinn geben.  Natürlich bietet mir ein Haus ein Dach über dem Kopf, es schützt mich und ich kann mich darin sicher und geborgen fühlen. Und mein Auto bringt mich (je nachdem, wie gut ich fahre) sicher von einem Ort zum anderen. Über Pferde kann ich jetzt nicht viel sagen. Aber für viele Menschen ist das Haustier, das sie betreuen und lieben, ganz besonders wichtig und es bietet ihnen einen Halt im Leben. Ganz zu schweigen von einem Partner, mit dem wir gern unser Leben teilen wollen und von dem wir erwarten, dass er in allen Lebenslagen zu uns hält und für uns da ist – so wie wir das auch gern für ihn oder sie tun möchten. Aber sind Haus, Auto, Haustier, Partner bzw. Partnerin oder Familie wirklich eine Zuflucht, die bleibt und nicht vergeht?  Geht mir das Geld aus, ist es auch bald aus mit dem Schutz, den mir mein Haus bietet. Vielleicht muss ich in eine kleine Wohnung umziehen. Und nicht selten sieht man auch Menschen auf den Straßen, die gar kein Dach über dem Kopf haben – sie haben diese Zuflucht verloren. Und das kann jedem von uns genauso gehen, ob wir das wahrhaben wollen oder nicht.  Neulich bin ich mit meinem Auto auf der A8 havariert. Glücklicherweise ist niemandem etwas passiert, weder mir noch anderen Verkehrsteilnehmern und auch das Auto hat außer einem kaputten Kupplungspedal keine Probleme. Aber soviel zum Schutz, den wir in einer Ansammlung von technischen Gerätschaften und Blech suchen. Wenn das Auto auf dem Standstreifen der Autobahn und man selbst schlotternd in Regen und Matsch daneben steht, wird einem ganz schön schnell klar, dass das Auto nichts ist, auf das man setzen sollte, wenn es um Zuflucht geht.

Wie sieht es mit anderen Menschen aus? Diese können uns doch anleiten, uns Halt und Schutz sein, oder? Meine Familie war mir immer ein Halt, meine Eltern waren – auf ihre eigene Art – sehr gute Ratgeber, meine Freunde sind ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Dennoch hat jeder von uns schon einmal Freunde, Verwandte, geliebte Menschen verloren. Das menschliche Leben ist so verletzlich wie eine Seifenblase. Und wenn wir Zuflucht in einem bestimmten Menschen gesucht haben, verlieren wir nicht nur diesen Menschen, wenn er stirbt oder sich auch einfach nur von uns abwendet. Wir verlieren auch den Schutz, den wir uns von diesem einen Menschen erwartet haben. Möglicherweise fühlen wir uns dann noch viel verletzlicher und zielloser als zuvor. Die Sicherheit, die Menschen einem bieten können, ist doch nur relativ: Solange sie für uns da sind oder unsere Beziehung unverändert ist, mögen sie uns als Zuflucht erscheinen. Sind sie nicht mehr da, schwinden auch die Sicherheit und der Schutz, die wir mit ihnen verbunden haben. Worin sollen wir also Zuflucht suchen?

Die einzige Zuflucht, die Sinn ergibt, ist die Zuflucht zu Buddha. Der Grund, warum das so ist, liegt darin, dass Buddha in uns allen unveränderlich existiert. Wir alle haben die Buddhanatur in uns und damit das Potenzial, diese zu verwirklichen. Haben wir uns erst einmal auf den Weg begeben, dieses Potenzial mithilfe des Dharma zu entdecken und zu verwirklichen, wird uns immer deutlicher, dass all die weltlichen Dinge, zu denen wir bisher Zuflucht genommen haben, vergänglich und wandelbar sind. Wenn wir unser Herz an sie hängen, bleiben wir für immer im Kreislauf des Leidens gefangen. Befreien können wir uns daraus nur, wenn wir Zuflucht bei etwas suchen, das selbst schon frei ist – und das ist Buddha. Vor zweieinhalb Wochen haben wir in einer (corona-konformen!) Zeremonie im Samye Dzong Kirchheim eine Art vorläufige Zuflucht genommen, da alle Lehrer im Moment unerreichbar sind. Wir haben mit dieser Zufluchtnahme gemeinsam den ersten Schritt getan und uns zusammen auf den Weg gemacht, den wir nun Stück für Stück weitergehen wollen. Vielen herzlichen Dank, liebe Ani Semchi, dass Du uns das ermöglicht hast! (Sonja Molitor)    

Zufluchtnahme

aus „Das Licht der Gewissheit“ (S. 89-93)

In dieser Welt suchen wir wie von selbst nach jemandem, der uns Schutz geben oder uns Zuflucht vor den Ursachen von Angst und Sorge, wie beispielsweise Krankheit usw., gewähren kann. Wir, die wir von zahllosen Ängsten in Anspruch genommen werden, welche uns während dieses Lebens, in zukünftigen Leben und im Bardo quälen, können leicht für immer im Ozean der Leiden des Existenzkreislaufes versinken. Weder unser Vater, unsere Mutter, Verwandte, Freunde, machtvolle Gottheiten, Nagas noch vergleichbare Wesen sind dazu fähig, dass sie uns Zuflucht vor den Leiden des Existenzkreislaufes gewähren – noch sind wir selbst dazu in der Lage, dieses Leiden zu vertreiben. Wenn wir nicht eine (wirksame Quelle der Zuflucht) finden, werden wir äußerst hilflos sein. 

Nur die Kostbarkeiten haben die Fähigkeit, dass sie uns vor Samsara erretten. Nur diejenigen, welche sich selbst retten können, werden andere zu retten vermögen. Die sechs Objekte der Zufluchtnahme setzen sich zusammen aus den Drei Juwelen und den Drei Wurzeln. Die Drei Juwelen sind Buddha, Dharma und Sangha, zu welchen das Mantrayana die Drei Wurzeln hinzufügt: 

1. Der Guru ist die Wurzel für allen Segen [Segen: Vorgang, mit dem ein Individuum einiges von seinem angesammelten Verdienst in den „Seinsstrom“ eines anderen hineinbringt].

2. Der Yidam ist die Wurzel für alle Siddhis [Siddhi: Fähigkeit oder Kraft]. 3. Die Dakinis und Dharmapalas sind die Wurzel für alle Buddha-Aktivität [Buddha-Aktivität: Anwendung der Siddhis; für gewöhnliche Menschen handelt es sich dabei um religiöse Betätigung mit Körper, Rede und Geist].

[…] Denke […] ständig an die Qualitäten der Kostbarkeiten; meditiere voller Glauben und Eifer. Sammle keine schlechten Taten dadurch an, dass du Unsinn redest oder andere verleumdest. Bezeuge voller Glauben und Hingabe den Symbolen [Statue oder Bild von Buddha, Buch mit seinen Lehren, Gefäß für Reliquien] von (Buddhas) Körper, Rede und Geist und ebenso denjenigen Menschen Verehrung, welche die gelben (Mönchs-) Gewänder tragen; dabei stellst du sie dir als die tatsächlichen Kostbarkeiten vor. Bringe alte Bildwerke wieder in Ordnung und fertige neue an. Lege sie nicht auf den blanken Boden oder an einen Platz, wo sie durcheinandergeraten können. Es ist undenkbar, dass mit einem solchen Bild für Nahrung Handel getrieben oder dass es gegen Bargeld verpfändet wird. Es ist falsch, wenn man selbst über ein Stückchen eines Tsa-tsa [Stupas oder Figuren von Buddhas oder anderen Erleuchteten in Miniaturgröße] oder einen einzigen Buchstaben läuft. 

[…] Was auch immer dir begegnet – Glück, Unglück, Ruhm oder Herabsetzung –, denke voller tiefen Vertrauens allein an die Kostbarkeiten. Lass dich nicht entmutigen. Kurz gesagt: Hast du einmal Zuflucht zum Buddha genommen, (1.) vertraue nicht auf weltliche Götter. Hast Du einmal Zuflucht zum Dharma genommen, (2.) weise Gedanken und Taten zurück, die für fühlende Wesen nachteilig sind. Hast Du einmal Zuflucht zum Sangha genommen, (3.) lass dich nicht mit Häretikern und ihren Gleichgesinnten ein. Wird die Zufluchtnahme richtig ausgeführt, so schließt sie die meisten Übungen auf dem stufenweisen Pfad zur Erleuchtung innerhalb des Sutrayana und des Mantrayana ein. […]

Wenn du die Zufluchtnahme stetig praktizierst und sie deine Gedanken niemals verlässt, wirst du zu einem Buddhisten. Deine kleineren Vergehen werden gereinigt; deine größeren nehmen ab. Menschliche und nicht-menschliche Hindernisse können keinen Eindruck auf dich machen. Deine Gelübde, Studien und andere nützliche Tätigkeiten werden zunehmend fruchtbarer. Wenn du den Kostbarkeiten wirklich vertraust, wirst du selbst dann nicht in den niederen Bereichen geboren werden, wenn du dich in diese Richtung gezogen fühlst.  

Trungpa Rinpoche zu Verneigungen

Die Verneigungen kamen ursprünglich aus der indischen Tradition, wo man eine Geste der Verehrung gegen­über jemandem ausführt, der höher steht als man selbst. Die Vor­stellung bei den Verneigungen ist die, dass wir jemanden gefunden haben, der es vollkommen wert ist, dass wir uns ihm ganz öffnen. Daher fallen wir auf den Boden nieder und berühren seine Füße mit unserer Stirn. Dann entdecken wir, dass man noch mehr tun kann: Das sind die sogenannten neunfachen Verneigungen, bei denen neun Glieder unseres Körpers ganz den Boden berühren. Diese letztliche Vorstellung der Verneigungen ist weitaus mehr entwickelt und eindeutig festgelegt; auf der Ebene des Körpers haben wir hier wirklich etwas zu tun.    

Erklärungen zur Zuflucht

Am Anfang einer Sadhana nehmen wir Zuflucht und erzeugen Bodhicitta. Der Vorgang der Zufluchtnahme klärt für uns, wer unsere geistigen Führer sind, wer uns unsere spirituelle Richtung weist, und welches unser spirituelles Ziel ist. Ohne diese Klarheit ist es schwierig, eine spirituelle Praxis aufrechtzuerhalten und ihre Tiefen zu ergründen.  Indem wir die altruistische Absicht von Bodhicitta erzeugen, wird es uns möglich zu erkennen, weshalb wir diesem Pfad folgen. Dies ist ebenfalls wichtig, da das Ergebnis unserer spirituellen Praxis von der Motivation abhängt, mit der wir sie ausführen.  Zuflucht nehmen bedeutet, dass wir uns, wenn es um unsere spirituelle Führung geht, Buddha, Dharma und Sangha anvertrauen. Es beinhaltet, dass wir die buddhistischen Lehren analysiert haben, von ihrer Richtigkeit überzeugt sind und glauben, dass wir – wenn wir sie befolgen — unser gewünschtes Ziel erreichen: Befreiung oder Erleuchtung. Buddhist werden hat diese Bedeutung.  Als Anhänger des Buddha-Pfads sollten wir keine anderen Religionen kritisieren oder allgemeine intolerante Äußerungen machen. Die Existenz vieler Religionen in der Welt ist nicht nur praktisch, sondern auch von Vorteil. Jede Religion soll ihren Anhängern helfen, ethische Disziplin und ein gütiges Herz zu entwickeln Deshalb wird jeder, der die guten Lehren seiner Tradition wahrhaftig ausführt, zum Nutzen und zum Wohlergehen in der Welt beitragen. Da unterschiedliche Erklärungen, Symboliken und Übungen verschiedenen Menschen nutzen, ermöglicht die vorhandene Vielfalt an spirituellen Wegen, jedem Menschen zu wählen, was am besten zu ihm passt.  Menschen in Kategorien einzuteilen – „Er ist Christ (Buddhist, Jude, Moslem, Hindu oder glaubt an gar nichts)“ – und dabei zu glauben, wir verstünden sie deshalb, ist dumm von uns. Nicht jeder, der sich mit einer bestimmten Religion identifiziert, hat dieselbe Sichtweise oder praktiziert auf dieselbe Art. Ob wir Erleuchtung erlangen, hängt nicht davon ab, dass wir uns als „Buddhisten“ bezeichnen. Es hängt davon ab, was wir in unserem Herzen glauben, und wie wir uns darin üben, unseren Geist zu verändern. Jeder Mensch, der den Entschluss, sich vom Daseinskreislauf zu befreien, das altruistische Streben nach Erleuchtung und die Weisheit, die die Leerheit erkennt, entwickelt, kann zu einem Bodhisattva oder Buddha werden. Es spielt dabei keine Rolle, als was er sich selbst bezeichnet. Um beurteilen zu können, ob seine Erkenntnisse korrekt sind oder nicht, sollten wir darauf achten, was ein Mensch glaubt und was er praktiziert. Deshalb ist es wichtig, unterscheidende Weisheit, Achtsamkeit und Toleranz zu entwickeln.   (Thubten Chodron)    

  • Teaching angelegt von Frank
  • letzte Bearbeitung am: 21. Juli 2024