Kagyu Samye Dzong Kirchheim e.V.

Reflexionen über die Vergänglichkeit und den Tod

von Dilgo Khyentse Rinpoche

So wie das Öl einer brennenden Lampe, das bald aufgebraucht ist, gehen alle Dinge dieser Welt allmählich und unerbittlich auf ihr Ende zu. Es ist kindisch anzunehmen, man könne zuerst all seine angefangenen Vorhaben zu Ende bringen, um sich danach zurückzuziehen, und den Rest seines Lebens dem Dharma zu widmen. Können wir uns denn so sicher sein, dass wir lange genug leben? Ereilt der Tod nicht Junge wie Alte? Was ihr auch tut, denkt daran, dass ihr sterblich seid, und sorgt dafür, dass euer Geist auf den Weg ausgerichtet bleibt. […] Alles hat seine Zeit. Die Bauern wissen das zur Genüge: Sie warten den geeigneten Moment ab, um zu pflügen, zu säen oder zu ernten, und tun, wenn dieser Moment gekommen ist, bestimmt immer das Richtige. Jetzt, da ihr im Vollbesitz eurer Fähigkeiten seid, einem echten spirituellen Meister begegnet seid, und seine kostbaren Unterweisungen erhalten habt – wollt ihr da das Feld eurer Befreiung brachliegen lassen? Wir müssen in unseren zukünftigen Leben noch eine weite Strecke zurücklegen, und der Tod ist lediglich eine Schwelle, die zu überwinden ist – eine Schwelle, die wir allein überschreiten werden, und dabei werden das Vertrauen in den Meister, und das Zutrauen zur spirituellen Praxis unsere einzigen Begleiter sein.

Unsere Eltern, Freunde, unsere Macht, unser Reichtum, alles, worauf wir normalerweise zählen, wird nicht mehr da sein. Wenn ihr eure Zeit damit zubringt, endlose Bagatellaufgaben zu erledigen, dann wird euch im Moment des Todes die Angst packen, und ihr werdet vor Reue weinen, wie ein Dieb, den man ins Gefängnis geworfen hat, und der sich fragt, welches Schicksal ihn wohl erwartet. Darum erklärte Milarepa dem Jäger Gönpo Dorje: »Dadurch, dass du unerschütterliche Hingabe für deinen Meister und die Drei Juwelen entwickelst, wirst du selbst dann, wenn dir nichts mehr bleibt, beruhigt und mit einem Herzen voller Freude leben und sterben.«  

Du bist dein Leben lang unterwegs, und du kannst den Zug deines Lebens nicht stoppen. Deine Eltern haben dich in diesen Zug gesetzt, weil sie dir das Schönste zeigen wollten, was sie selbst gesehen haben: die Landschaft des Lebens in allen Variationen. Alles sollst du sehen: die Höhen und die Tiefen, den Tag und die Nacht, die Sonne und den Regen, weil das alles zum Leben gehört. Viele Strecken bist du mit verschiedenen Menschen unterwegs. Aber hier und da hält der Zug an, weil für sie die Endstation gekommen ist. Nach und nach müssen sie aussteigen, und sie kommen nie wieder. So musst du manche Strecken deines Lebens allein fahren, ohne einen Menschen, der dir Gesellschaft leisten könnte. Und eines Tages wird der Zug dann auch deinetwegen anhalten, damit du auf dem Bahnhof deiner Bestimmung aussteigen kannst. Du hast deine Endstation erreicht. Aber jetzt bist du noch unterwegs. Schau genau hin, welche Landschaft jeder Kilometer deiner Lebensfahrt dir zeigt und nimm dies als Geschenk an. Lerne die Kunst des Sehens, damit du das Wesentliche im Leben nicht übersiehst. 

von Drupon Rinpoche

Die Vergangenheit ist vorbei. Aber es ist gut uns klarzumachen, dass Gewohnheiten, die wir in der Vergangenheit entwickelt haben, uns zur Gegenwart gebracht haben, und wenn wir nun Schwierigkeiten erleben, geschieht dies aufgrund in der Vergangenheit entwickelten und geprägten Tendenzen und Gewohnheiten. Was wir nun tun können, ist, neue und gute Gewohnheiten und Tendenzen zu entwickeln, und sicherzustellen, dass unsere Zukunft gut und glücklich sein wird. Wir haben jetzt die Gelegenheit, unsere Zukunft zu beeinflussen und gute gewohnheitsmäßige Tendenzen zu entwickeln. Gerade als Buddhisten sollten wir anders sein oder uns anders verhalten, denn wir wissen ja um Vergänglichkeit und Karma, und beschäftigen uns damit. Wir sollten wissen, dass die Vergangenheit vorüber ist, und es keinen Sinn hat, an dem, was vergangen ist, festzuhalten. Wir können mit den Menschen aus der Vergangenheit nicht mehr zusammen sein. Darum ist es hilfreicher, uns viel mit der Gegenwart zu beschäftigen und darüber nachzudenken, dass jetzt die Zeit ist, um uns zu verbessern, um uns weiterzuentwickeln, neue Dinge zu lernen, zu tun und gute Tendenzen zu schaffen. Dieser Augenblick beeinflusst den nächsten Augenblick, den nächsten Tag, den nächsten Monat, das nächste Jahr usw.. Darum ist dieser Augenblick so wichtig für unsere Zukunft. Viele Menschen halten so sehr an Vergangenem fest, an Menschen oder Erlebnissen, die nicht mehr da oder erlebbar sind, und dadurch leiden sie, werden traurig oder deprimiert. Drupon Rinpoche sagt, dass wir lieber an die guten Dinge denken sollten, die uns glücklich machen. Wir müssen uns auch bewusst darüber sein, dass unsere Art zu handeln und zu denken andere Menschen beeinflusst. So wie wir andere beobachten, werden wir auch von anderen beobachtet. Die Menschen beobachten sich gegenseitig. Darum lohnt es sich, gut zu sein, positiv und somit einen guten Einfluss auf andere zu haben. Wenn wir gute, mitfühlende Menschen sind, werden wir andere in diese Richtung beeinflussen und entsprechend geschieht es auch, wenn wir negativ und pessimistisch sind. Darum lohnt es sich, uns Gedanken zu machen und nach Veränderung zu streben. 

Meine Gedanken über die Vergänglichkeit

In einer alten Volksweise heißt es „mitten im Leben sind wir vom Tode umfangen“ – das Lied meint damit vor allem auch, dass unser Leben jederzeit zu Ende sein kann. Während die Volksweise dann aber dazu aufruft, sich Gottes schützenden Händen anzuvertrauen, ist unser Umgang mit der Endlichkeit, oder besser gesagt der Vergänglichkeit, ein anderer. Für uns als Buddhisten ist das Thema Vergänglichkeit etwas, mit dem wir uns näher und länger beschäftigen wollen und müssen. Unser Weg sieht etwas anderes vor, als unser Leben vertrauensvoll in die Hände von jemand anderem zu legen. Auf unserem Weg wird die Vergänglichkeit zu unserer Gefährtin, unserer Begleiterin. Je mehr wir uns mit der Vergänglichkeit dieses Lebens, mit der ständigen Veränderung, dem ständigen Fließen und der Unbeständigkeit auseinandersetzen, umso besser können wir verstehen, was Vergänglichkeit bedeutet. Vergänglichkeit bedeutet nicht, dass alles endet. Vielmehr heißt Vergänglichkeit, dass sich alles verändert. Mein Cousin, der eine wichtige Rolle in meinen Leben gespielt hat, ist letztes Jahr im Sommer verstorben. Sein Leben endete – und doch auch nicht! Alles hat sich verändert: Er ist nicht mehr körperlich hier, wir können nicht telefonieren, uns nicht sehen. Und trotzdem lebt er in mir fort. Zum einen habe ich Erinnerungen an ihn, die ich hoffentlich nicht so schnell vergesse. Zum anderen „besucht“ er mich unverhofft immer wieder: Neulich zum Beispiel sah ich ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Griaß di!“ – genau einer der Sätze, die mein Cousin mit einem verschmitzten Lächeln zu sagen pflegte. Sein Dasein und sein Sterben haben in mir Spuren hinterlassen, die mich verändert haben und durch die er auf eine andere Art und Weise weiterlebt. Mit einem besseren Verständnis von Vergänglichkeit gelingt es uns, den Moment bewusster wahrzunehmen und unsere Zufriedenheit zu vermehren. Auch wenn mein Cousin mir unglaublich fehlt und ich ihn gerne noch weiter greifbar um mich gehabt hätte, sein Tod hat nicht unsere Verbindung beendet. Und ich nehme ganz bewusst jeden Moment wahr, in dem er mich „besucht“. Diese „Besuche“ nehme ich als Beispiel für viele andere Momente, die ich genauso bewusst und achtsam wahrnehmen möchte – so begleitet mein Cousin mich weiter auf dem Weg. (Sonja Molitor)    

Vergänglichkeit und Alter

Die meisten Menschen wollen gerne alt werden, aber nicht älter, lautet eine beliebte Aussage. Warum nicht? Weil angeblich nur die Jugend das Leben in vollen Zügen genießen kann? Weil älter werden auch körperliche Leiden mit sich bringt? Weil wir einige unserer Wünsche wohl nicht mehr verwirklichen können oder nicht richtig gelebt haben? Der Buddhismus empfiehlt, über Altern, Unbeständigkeit und Sterblichkeit nachzudenken. Warum? Damit wir auf die schönen Seiten des Daseins verzichten, weil es sowieso einmal enden wird? Nein! Nachdenken über Altern und Tod hilft, Prioritäten zu klären. Dann können wir lernen und leben, was uns wirklich am Herzen liegt. Je früher wir mit dieser Art Meditation beginnen, desto folgenreicher ist sie. Menschen haben Angst vor dem Sterben, weil sie ihren roten Faden nicht gefunden oder nicht verfolgt, nur mit halber Kraft gelebt oder ihre Jugendträume aus den Augen verloren haben. Wir können fragen: Was würde ich gerne noch lernen, ausprobieren oder sein lassen, bevor ich sterbe? Was würde ich ändern, wenn ich wüsste, wann ich sterbe? In zwanzig, zehn, fünf oder zwei Jahren, in wenigen Monaten, nächste Woche oder morgen? Und dann beobachtet man, welche Gedanken zu welchen Zeitpunkt auftauchen. Wenn wir sagen können: Ich würde genauso weiterleben wie jetzt, dann sind wir bereitet auf den Tod, dann können wir in Würde leben und gehen, wenn die Zeit reif ist. Wem diese Übung zu schwer fällt, der kann etwas anderes ausprobieren. „Ansichten aufgeben ist schwerer als sterben.“ (Rigdzin Shikpo) Warum? Beim Sterben lassen die Kräfte nach und dann können wir auch nicht mehr so gut festhalten. Die Übung ist einfach: Jedes Mal, wenn wir glauben, recht zu haben und an unserer Meinung festhalten, können wir uns auf den Tod vorbereiten und versuchen, diese Ansicht, zumindest für ein paar Sekunden, loszulassen. Das ist die einfachste und wirkungsvollste Vorbereitung auf den Tod, die ich kenne. Und sie macht das Leben und das Zusammensein mit anderen leichter. Sylvia Wetzel  

von Karmapa Ogyen Trinley Dorje zu Tod und Wiedergeburt  –   „Der Tod ist nicht das Ende“

Niemand kann eindeutig sagen, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, aber eines können wir feststellen. Wenn jemand, der uns wichtig ist, den wir innig lieben, stirbt oder aus unserem Leben verschwindet, ist es aufgrund unserer Liebe für uns sehr schwierig oder fast unmöglich zu glauben, dass dieser Mensch ganz verschwunden ist und nie mehr, wie auch immer, auf irgendeine Weise da ist.   Die meisten Menschen haben das Gefühl, dass der geliebte Mensch noch immer irgendwie anwesend ist. Wir sprechen mit ihm im Geist, besuchen den Ort, an dem er oder sie eingeäschert oder begraben wurde, bringen ihm Blumen, beten für sein Wohlergehen. Wir träumen, von diesem Menschen, einige sehen oder spüren vielleicht sogar die Gegenwart eines Verstorbenen . Es ist unsere Liebe, die uns den Eindruck vermittelt, dass es etwas natürlich Angeborenes gibt, das nicht endet, wenn wir sterben. Wir sehen uns nicht als Kerze, die aufgebraucht ist, wenn die letzte Flamme ausgegangen ist, sondern als Fackel, ein Licht, das überall hin scheint und das als helle Flamme zur nächsten weitergegeben werden kann. Karmapa hält diese Denkweise für sehr wichtig.   Wir brauchen den Tod nicht als Ende ansehen. Der Tod ist nicht ein Nichts oder ein leerer Zustand; es ist die Zeit, wenn wir unser Licht auf eine andere Daseinsform übertragen. Mit diesem Verständnis können wir sehen, dass es möglich ist, unser Leben dazu zu verwenden, Licht in die Welt zu bringen für zukünftige Generationen, aber auch für unsere eigene Zukunft. Wenn wir das verstehen, dann wird der Tod weder ein Ende sein noch etwas, vor dem man sich fürchtet. Und dieses Leben kann zu etwas werden, das uns und anderen große Bedeutung und großen Nutzen bringen kann.

  • Teaching angelegt von Frank
  • letzte Bearbeitung am: 21. Juli 2024