Der erste Lehrzyklus: Hinayana, das Fahrzeug der Zuhörer
Tenga Rinpoche Sutra & Tantra
(Sanskr. Shravaka-Yana) Praktizierende, die diesem Weg folgen, fürchten den Kreislauf der Existenzen und streben nach Befreiung daraus. In diesem Punkt gleichen sie jenen, die dem Bodhisattva-Weg folgen. Was ihnen jedoch fehlt, ist Mitgefühl, denn sie praktizieren nur im Hinblick auf ihre eigene Befreiung. Sie sind dabei so sehr auf sich selbst bezogen, dass ihnen der Freiraum fehlt, Verantwortung für andere zu übernehmen und Buddhaschaft zum Wohl aller Wesen anzustreben. Shravakas, also die Praktizierenden des Hinayana-Weges, praktizieren also ihren Weg mit der Motivation, für sich selbst die Ruhe von Nirwana, höchstes Glück und Freude, zu erlangen.
Sichtweise: In Bezug auf die äußere Welt der Erscheinungen vertreten die Praktizierenden des Shravaka-Yana die Meinung, dass diese nicht wahrhaft existent sei. Allerdings behaupten sie, dass es ein unteilbares kleinstes Teilchen gäbe, aus dem die äußeren Phänomene zusammengesetzt seien. Diesen Grundbaustein der gesamten materiellen Welt halten sie für wahrhaft existent und begründen dies mit folgender Argumentation: Gäbe es kein solches kleinste, wahrhaft existente Teilchen, so könnte sich nichts zusammenballen und es gäbe daher keine Berge, keine Steine etc.
Was das Bewusstsein betrifft, vertreten die Zuhörer die Ansicht, dass die verschiedenen Bewusstseinsarten nicht wahrhaft vorhanden sind. Sie behaupten jedoch, es gäbe einen wirklich existenten kürzesten, unteilbaren Bewusstseinsmoment und begründen dies damit, dass ohne einen solchen die Kontinuität des Geistes nicht möglich wäre. Die philosophische Sichtweise der Madhyamikas z. B., dass es diesen wahrhaft existenten Bewusstseinsmoment nicht geben könne, wird von den Zuhörern als nihilistische Anschauung abgelehnt.
Verhalten: Der wichtigste Aspekt im Verhalten der Praktizierenden des Shravaka-Yana besteht im Einhalten von Gelübden wie dem Zufluchtsgelübde, den Laien-, Novizen-, Novizinnen-, Mönchs- und Nonnengelübden, die im übrigen auch in den anderen buddhistischen Fahrzeugen gehalten werden.
Meditation: Der Weg der Zuhörer besteht zunächst in der Kontemplation der vier edlen Wahrheiten. Sie denken darüber nach, dass alle Bereiche der bedingten Existenz von Natur aus leidhaft sind, und vergegenwärtigen sich damit die Wahrheit vom Leid. Ebenso betrachten sie die Ursache des Leids – die zweite Wahrheit – nämlich, dass das Leid aus Gefühlen wie Zorn, Stolz und Neid entsteht. Dadurch wird die dritte Wahrheit, die des Aufhörens, deutlich: Gelingt es nämlich, die Ursache für das Leid zu überwinden, so wird die Frucht des Wegs, das Aufhören vom Leid, erlangt. Um diesen Zustand zu verwirklichen, stützen sich die Shravakas hauptsächlich auf die Meditation der Geistesruhe.
Frucht: Die Frucht des Shravaka-Yana wird über vier Stufen erlangt: Die erste bezieht sich auf die Phase, nachdem man mit der Praxis begonnen hat. Praktizierende auf dieser Stufe werden als „In-den- Strom-Eingetretene“ bezeichnet.
Wurde ein gewisses Maß an Geistesruhe erlangt, jedoch nicht genug, um nicht noch einmal im Kreislauf der Existenzen wiedergeboren zu werden, ist man ein „Noch-einmal-Wiederkehrender“. Mit dem Vervollkommnen der Geistesruhe befreit man sich aus der bedingten Existenz und wird zu einem „Nicht-mehr-Wiederkehrenden, denn man ist nicht mehr in Samsara gefangen. Die vierte und höchste Stufe schließlich ist jene des „Arhats“, ein „Befreites Wesen“ oder wörtlich ein „Feind-Besieger”: Zu ihren besonderen Eigenschaften zählt neben der vollkommenen Geistesruhe die Fähigkeit, Wunder zu zeigen.