Das edle Gefährt
Frederic Lenoir aus „Die Seele der Welt“
Ein weiser Mann sagte folgendes:
»Ihr solltet also, oh Menschenkinder, die beiden Pferde, den materiellen und den psychischen Körper, und den Kutscher, den Geist, kennen- und lieben lernen, damit ihr für alle drei gleichermaßen gut sorgen könnt. Dann wird euer Gefährt auf der Straße des Lebens ohne Schwierigkeiten vorankommen. Um es jedoch wirklich zu beherrschen, müssen sowohl das Gespann als auch der Kutscher lernen, wie sie am besten zusammenwirken. Der Kutscher lenkt das Gefährt, sodass die beiden Pferde es im Einklang miteinander ziehen. Er weiß, wohin die Reise geht, gibt die Richtung vor und bestimmt die Geschwindigkeit. So muss auch der Geist die Kräfte des Körpers und der Psyche meistern. Meistern aber bedeutet nicht, dass er sie kontrolliert oder gar tyrannisiert. Der Geist lenkt den Körper und die Emotionen, indem er sie respektiert und von ihnen lernt. Denn die Pferde kennen den Weg nicht. Sie reagieren nur auf ihre unmittelbaren Eindrücke. Der Geist aber gibt dem Leben Richtung und Sinn. Er öffnet sich für die Stimme der Vernunft und des Herzens und legt den richtigen Weg fest, der zum Ziel führt. Er bringt die Wertmaßstäbe in die rechte Ordnung, sodass er an jeder Kreuzung des Lebensweges eine gute Entscheidung treffen kann.«
Ein anderer Weiser merkte an:
»Es gibt eine großartige Übung, die uns hilft, Gespann und Kutscher kennen- und meistern zu lernen: die Meditation. Die Meditation eint Körper, Psyche und Geist. Sie ist im materiellen Körper verankert: Der Meditierende sitzt so, dass sein Rücken gerade bleibt. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf den Atem, den er frei fließen lässt, sodass er sich immer mehr vertieft. Dann geht er aufmerksam jeden Teil seines Körpers durch. Er nimmt die verschiedenen körperlichen Empfindungen wahr, die aufsteigenden Emotionen, die Gedanken. Er folgt ihnen nicht, lässt sich auch nicht auf einen Dialog ein, sondern beobachtet sie nur und lässt sie vorüberziehen. Wenn er sich darin lange genug übt, wird er hinter all den Gedanken und Emotionen die Tiefe seines Geistes kennenlernen. Er entdeckt, dass er einen Raum in sich hat, der fern vom Aufruhr der Emotionen ist, eine Stille, die hinter dem Lärm der Gedanken liegt, eine Freude und einen tiefen Frieden, die ihm immer offenstehen. Die tägliche Übung der Meditation (und seien es am Anfang nur zehn Minuten) stärkt unseren Geist und eint Körper und Seele. Beim ersten Mal scheint es noch schwierig Alles tut weh, und wir haben das Gefühl, als reiße der Strom der Gedanken niemals ab. Doch allmählich entspannt sich unser Körper, die Atmung wird tiefer und der Geist immer ruhiger und stiller. Wir können die Erfahrung des inneren Raumes trainieren wie einen Muskel. Dann wird er unempfindlich gegen jede Art von Angriff: Gedanken, Emotionen, verletzende Worte, Psychoterror, negative Energien – alles prallt von ihm ab und wird zurückgeschickt.«