Gedanken zu „Samsara“
Ein namenloses Gesicht sein (3. September 2021)
Vor einigen Jahren besuchte mich ein Tibeter mittleren Alters, ein Ladenbesitzer in Boudha, Nepal, um eine Übertragung und Unterweisung für eine bestimmte Praxis zu erhalten, die er machen wollte. Wir unterhielten uns und er sagte etwas, das mir das Gefühl gab, dass er die Lehren über die Kostbarkeit des menschlichen Lebens mit seinen Freiheiten und Vorteilen besser verstehen konnte, als die meisten von uns, die sich vielleicht „Praktizierende“ und nicht „Ladenbesitzer“ nennen würden.
Er sagte, dass seine Geschäfte relativ gut liefen und er es sich leisten könnte, seine beiden Töchter auf die Universität in den Westen zu schicken, aber er konnte sich einfach nicht dazu durchringen, obwohl dies das Ziel so vieler Menschen in diesem Teil der Welt war. Er sagte, er sei traurig über die Vorstellung, dass sie in ein Land ziehen würden, in dem es keinen Buddhismus gibt; wo es nicht einmal eine Stupa zu umrunden gäbe, geschweige denn die Möglichkeit, Belehrungen zu erhalten und so weiter. Dieser Umzug in den Westen würde nicht nur seine Töchter von einem vom Dharma durchdrungenen Ort entfernen, sondern auch bedeuten, dass seine Enkel und zukünftigen Generationen höchstwahrscheinlich vom Buddhismus entfremdet und am Dharma desinteressiert würden. Aber bleiben sie hier in Nepal, wo etwas von Buddhismus und Spiritualität in der Luft liegt, würden seine Töchter und Enkelkinder zumindest die Stupa in Boudhanath besuchen, umrunden und Opfergaben machen und somit eine Verbindung zum Buddhismus beibehalten.
Was er sagte, spiegelte sehr meine eigenen Gedanken zu diesem Thema wider; auch ich habe keine Lust, im Westen zu bleiben. Ich glaube nicht, dass das angenehm sein würde. Ich werde es besuchen, wenn ich denke, dass ich muss oder weil es sich lohnt, aber ich würde auf keinen Fall dorthin ziehen. Das gleiche gilt für eine moderne protzige Stadt im Osten. Ich denke nie daran, mich an solchen Orten niederzulassen.
Ich denke, wenn ich in den Westen oder in eine hochentwickelte asiatische Stadt ziehen würde, wäre das für mein gegenwärtiges und zukünftiges Leben ruinös. Was für mich viel erstrebenswerter wäre und woran ich vor allem denke, ist ein Leben auf den Straßen von Kathmandu. Viele Male am Tag denke ich, wie wunderbar es wäre, wenn ich eine Weile so leben könnte; nur mir selbst überlassen, ein namenloses Gesicht in der Straßenrinne. Der andere Ort, an den ich am meisten denke, sind die Berge. Aber das sind nur Gedanken. Ich habe keine Schritte unternommen, um sie zu verwirklichen, weil ich kein echter Dharma-Praktizierender bin. Diese Gedanken bleiben im Reich der bloßen Phantasie.
Wir sehen, dass Milarepa immer an abgelegenere Orte flüchtete, wenn sich zu viele Anhänger um ihn versammelten. Wir mögen denken, dass sein Weg herzlos war und es ihm an Mitgefühl mangelte, aber könnt ihr mir einen Tibeter nennen, der mehr zum Wohle der Wesen und des Buddha-Dharma getan hat? Ich sehe und schätze seinen Weg, aber ich bin zu sehr in meine eigenen Interessen verstrickt, um in seine Fußstapfen zu treten.
Aber eines sage ich immer zu den Leuten, die mich sprechen hören, wenn ich in den Westen oder Osten reise: Wenn sie merken, dass ich immer öfters dorthin komme, wo sie in modernen Städten und dergleichen leben, können sie das folgendermaßen verstehen, dass ich als Praktizierender noch schlechter geworden bin. Wenn sie jedoch anfangen, weniger von mir zu hören und zu sehen, könnte das daran liegen, dass ich mich als Praktizierender verbessert habe. Ich bin mir nicht sicher, ob sie es mögen, wenn ich das sage, aber so ist es.
Samsara
Ein kleines Kind spielt gerne eine Weile mit anderen Kindern, aber sein Herz liegt bei seiner Mutter. Es ist glücklich, solange seine Mutter in Sichtweite ist.
Ebenso sind wir modernen Buddhisten glücklich, eine Weile mit dem Dharma zu spielen, aber unsere Herzen sind bei der Welt. Wir werden gerne zu Retreats usw. gehen, solange wir wissen, dass wir noch Zugang zu unseren weltlichen Freuden haben und unser weltliches Leben verfügbar ist, sollten wir es ausreichend vermissen.
Es ist ähnlich, wie die Leute gerne campen. Es ist nicht so, dass die Camper vom weltlichen Leben und seinen scheinbaren Freuden desillusioniert sind. Camping ist eine angenehme Abwechslung. Es wird in dem Wissen unternommen, dass man jederzeit packen und nach Hause fahren könnte, wenn man genug hat. Heimat ist immer das letztendliche Ziel.
Viele von uns widmen dem Studium und der Praxis des Dharma viel Zeit und Mühe, mehr als die meisten Camper dem Campen, aber wir lassen die Welt nicht wirklich los. Die Welt steht im Mittelpunkt dessen, wer wir sind, wie wir denken, womit wir uns beschäftigen, und der Dharma ist eine Nebentätigkeit. Es ist daher nicht verwunderlich, dass wir die Ergebnisse unserer Dharmapraxis nicht sehen, wie es in Texten beschrieben wird. Solange wir die grundlegende samsarische Weltanschauung beibehalten, wird Samsara unser fortgesetztes Ziel sein.