Geld und Glück
(S. H. 17. Karmapa Ogyen Trinley Dorje. Das edle Herz – Die Welt von innen verändern, S. 108-109.)
Nehmen wir die Beziehung zu den Dingen, die wir besitzen, einmal näher unter die Lupe. Was erwarten wir von ihnen? Häufen wir Dinge an, um Spaß zu haben, und auf diese Weise glücklich zu werden? Oder geht es schon gar nicht mehr um Glück, sondern nur noch um das Habenwollen? Wollen wir reich oder glücklich sein?
Ich möchte Ihnen gern eine Geschichte erzählen, die mit diesen Fragen zu tun hat.
Vor langer Zeit lebte an einem fernen Ort ein sehr reicher Mann. Gleich neben seinem stattlichen Haus lebte ein Bettler in einer einfachen Hütte. Was der Bettler tagsüber erbettelt hatte, aß er auf. Abends kehrte er dann ohne jede Habseligkeit in seine Hütte zurück. Der reiche Mann hingegen brachte jeden Tag Taschen voller Geld nach Hause. Er verbrachte den Abend damit, das Geld zu zählen, während der Bettler in seiner heruntergekommenen Hütte saß und sang. Jeden Abend hörte der Reiche den Armen singen und eines Tages fragt er sich: „Wie kann das sein? Woran kann er sich denn wohl erfreuen, er besitzt nichts und doch hört man ihn ständig singen. Wie kann er so fröhlich sein?“
Der reiche Mann beschloss, der Sache nachzugehen. Eines Tages nahm er einen Barren Gold und legte ihn in die Hütte des Armen, als dieser gerade betteln war. Als der arme Mann zurückkehrte und das Gold sah, dachte er: „Jemand muss es hier liegen gelassen haben. Ich muss herausfinden, wem es gehört und es zurückbringen.“ Doch dann hielt er inne und dachte: „Vielleicht hat es jemand mit Absicht hier hinterlegt. Ein reicher Mann hat möglicherweise Mitleid mit mir gehabt und es hier für mich zurückgelassen.“
Diese Idee begann, Besitz von ihm zu ergreifen. Er fing an, das Gold als sein Eigen zu betrachten und Pläne zu schmieden, was er damit anstellen könne. Zuerst würde er es verkaufen. Von diesem Geld würde er ein Haus bauen und eine Familie gründen. Er würde Urlaub an weit entfernten Ort machen, und für alles sorgen, was seine Kinder benötigen. In kürzester Zeit hatten sich seine Pläne so verdichtet, dass er vergaß zu singen. Und er hatte vergessen, glücklich zu sein. Der reiche Mannstand stand an seinem Fenster und wartete darauf, dass sein armer Nachbar anfangen würde, fröhlich zu singen. Doch er hörte nichts. Stattdessen sah er ihn angestrengt rechnen.
Als er erkannte, was das Gold mit dem armen Mann angestellt hatte, verstand er, dass seine eigenen Anstrengungen, Geld anzuhäufen, mit der Zeit den Zweck zerstört hatten. Auch er hatte immer das Glück gesucht, doch auf dem Weg dahin war es ihm verloren gegangen.