Das Erzeugen des Erleuchtungsgeistes – Wurzel des Mahayana
Es gibt zwei Arten von Bodhicitta oder Erleuchtungsgeist: relatives und absolutes Bodhicitta. Da es sich bei diesen um die Grundlage der »vierundachtzigtausend Lehrformen des Dharma« handelt, ist es schwierig, eine kurze Erklärung zu geben. Kurz gesagt, relatives Bodhicitta ist im wesentlichen Mitgefühl.
Absolutes Bodhicitta ist im wesentlichen Einsicht in die wahre Natur aller Phänomene. Die Ausbildung der zweiten Form ist von der ersten abhängig. Phadampa sagte: »Ein Fisch wird sich ins Wasser, aber nicht auf trockenes Land flüchten. Ohne Mitgefühl wird keine Erkenntnis aufsteigen.« Ebenso ist absolutes Bodhicitta, das Erkennen der innewohnenden, wahren Natur aller Dinge, abhängig von relativem Bodhicitta. Ein Mensch, der die eigentliche Natur der Dinge noch nicht erkannt, aber die Kraft wirklichen Mitgefühls zum Erwachen gebracht hat, wird durchaus dazu fähig, dass er mit Körper, Rede und Geist zum Wohle anderer wirkt. Jamgon Kongtrul – Das Licht der Gewissheit
Relatives Bodhichitta wiederum hat auch zwei Aspekte: die Absicht und die Umsetzung. Die Absicht Shântideva sagt in „Eintritt in das Leben zur Erleuchtung“ über diese beiden Aspekte des Erleuchtungsgeistes: „Sich auf den Weg machen zu wollen und tatsächlich aufzubrechen, das wird als der Unterschied verstanden. So muss der Weise und Gelehrte diesen Unterschied verstehen, der eine geordnete Abfolge darstellt.“ Nehmen wir als Beispiel eine Reise nach Lhasa. Der erste Schritt dazu ist die Absicht „Ich werde nach Lhasa gehen“. Dem entsprechend ist der anfängliche Gedanke „Ich werde alles tun, was den Wesen dazu verhilft, den Zustand vollkommener Buddhaschaft zu erlangen“ der Aspekt der Absicht, Bodhichitta zu erzeugen.
Die Umsetzung
Als nächstes kümmern wir uns darum, die notwendigen Vorräte und Transportmittel zu besorgen, um uns dann auf den Weg zu machen und die Reise nach Lhasa tatsächlich anzutreten. In ähnlicher Weise entschließen wir uns auch, Freigebigkeit zu üben, die Disziplin einzuhalten, Toleranz zu entwickelt, Eifer zu entfalten, in meditativer Versenkung zu verweilen und unseren Geist in unterscheidender Weisheit zu schulen, um alle Wesen auf Ebene vollkommener Buddhaschaft zu bringen. Wir setzen diesen Weg der sechs transzendenten Weisheiten, oder Paramitas, in die Praxis um, was der tatsächlichen Reise entspricht und der Aspekt des Umsetzens von Bodhichitta ist.
Absolutes Bodhichitta
Der Aspekt der Absicht und der Umsetzung sind beide relatives Bodhichitta. Durch langes Üben in relativem Bodhichitta auf dem Pfad des Anhäufens und des Vereinens, erreichen wir dann schließlich den Pfad des Sehens. Hier erleben wir die wirkliche Erfahrung der natürlichen Seinsweise aller Dinge. Dies ist die Weisheit der Leerheit. Absolutes Bodhichita ist in uns erwacht.
Quelle: Patrul Rinpoche – Die Worte meines vollendeten Lehrers