Entwicklung von grenzenlosem Mitgefühl
Gedanken von Karmapa Ogyen Trinley Dorje
„In der buddhistischen Praxis gibt es verschiedene Praktiken von Mitgefühl und Herzensgüte für alle Lebewesen. In ihnen benutzen wir die Metaphern vom Himmel und den Planeten, den Sternen, der Sonne und dem Mond, um unser Versprechen auszudrücken, mit einem Herzen voller Liebe und Mitgefühl für alle Lebewesen da zu sein. Wir wünschen, dass wir genauso lange wie der offene Raum, wie Sonne und Mond am Himmel existieren, mit einem Herzen voller Herzensgüte und Mitgefühl helfen können und diese Verbindung zwischen uns und allen Wesen bestehen bleibt.
In meiner eigenen Kontemplation denke ich oft an den Mond als den, der die Liebe bewahrt. Der Mond ist eine Metapher oder ein Symbol für die bleibende Qualität von Liebe und Mitgefühl, die alle Wesen verbinden. Auch wenn man nicht körperlich anwesend ist, können die anderen Wesen in den Himmel schauen, den Mond sehen und durch diese Verbindung sind sie in der Lage, die Liebe zu spüren, die wir für sie empfinden. Wir können gegenseitig die aufrichtige Liebe fühlen, die wir füreinander haben, egal wie weit wir voneinander entfernt sind, egal wieviel Zeit vergangen ist seit dem letzten Zusammentreffen.
Diese Art der Wunschgebete machen wir in den buddhistischen Praktiken zum Entwickeln von Herzensgüte und Mitgefühl und ich glaube daran, dass diese Wünsche, wenn wir sie mit völlig reiner Motivation formulieren, wirklich einen Effekt haben. Dann ist es nicht länger nur Symbolismus, mit dem man arbeitet, sondern dann ist es wirklich wahrhaftig.“
Bodhisattva oder Bodhicitta sind Begriffe, die vielen Leuten, die mit buddhistischen Begriffen nicht vertraut sind, fremd sind. Hier eine kurze Erklärung. Jedes Wesen, dessen Herz erfüllt ist von Liebe und Mitgefühl und das tief und aufrichtig zum Wohle und Nutzen anderer handelt, ohne Sorge um das eigene Wohl, soziale Position, Gewinn, Anerkennung oder Lob, drückt die Haltung eines Bodhisattva aus. Bodhisattvas sind Menschen, die keine andere Motivation als Mitgefühl für ihr Handeln haben.
Diese Haltung wird als Bodhicitta bezeichnet und ist die wesentliche Qualität im Mahayana Buddhismus. Man sagt, Weisheit und Mitgefühl sind wie die Flügel eines Vogels. Beide sind essentiell wichtig, wenn er fliegen möchte. So wird gelehrt, dass keine Praxis, ganz egal wie tief oder fortgeschritten sie sein mag, uns weiterbringen wird, wenn sie ohne Bodhicitta ausgeführt wird, das heißt ohne die grundlegende Haltung von Liebe und Mitgefühl. Bodhicitta ist die Elektrizität der spirituellen Praxis, ohne die nichts wirkt und funktioniert. Jemand kann alle Intelligenz und wissenschaftliches Wissen haben, wird aber ohne Liebe und Mitgefühl nie etwas wirklich Nützliches für andere erreichen. Im Augenblick haben wir sicherlich noch keine perfekte Liebe und Mitgefühl. Dies ist normal, denn wir sind gewöhnliche Menschen. Wir sollten die Entwicklung von Liebe und Mitgefühl als eine Art Lehre betrachten. Wir sollten auch keine Zweifel nähren, ob es möglich ist, grenzenlose Liebe und Mitgefühl zu entwickeln. Dies sind keine Ideen, die außerhalb von uns existieren, sondern sie sind schon in uns latent vorhande Qualitäten.
Mit Methoden, wie der Chenrezig-Praxis oder dem Studieren und Praktizieren des Textes über Die 37 Praktiken eines Bodhisattvas, arbeiten wir stufenweise daran, sie zum Vorschein zu bringen. Die folgenden vier unermesslichen Gedanken oder Brahmaviharas drücken die Motivation und Wünsche des Bodhisattva zusammengefasst aus und geben uns Anleitung für unseren Weg zur Entwicklung von Liebe und Mitgefühl: Mögen alle Wesen glücklich sein und die Ursachen von Glück erleben. Mögen sie frei sein von Leiden und den Ursachen von Leiden. Mögen sie Glück erlangen, das jenseits von Leid besteht und in der großen Unparteilichkeit verweilen, jenseits von Anhaftung und Ablehnung, Nähe und Distanz.