Die vier Unermesslichen
Die Vier Unermesslichen Qualitäten sind:
unermessliche Herzensgüte,
unermessliches Mitgefühl,
unermessliche Mitfreude und
unermesslicher Gleichmut.
Die unermessliche Herzensgüte ist ein Geist, der sich wünscht, dass alle fühlenden Wesen Glück und die Ursachen von Glück erleben. Das unermessliche Mitgefühl ist ein Geist, der wünscht, dass alle fühlenden Wesen vom Leiden und seinen Ursachen getrennt sind. Die unermessliche Freude ist ein Geist, der sich am Wohlergehen der anderen Wesen erfreut. Unermesslicher Gleichmut ist eine Geisteshaltung in dem Sinne, dass man nicht an den Nahestehenden hängt und die anderen mit Gleichgültigkeit oder Abneigung betrachtet.
Wir fragen uns nun: Warum werden diese vier als unermesslich bezeichnet?
Sie werden nicht unermesslich genannt, weil sie so groß sind, sondern weil sie eine grundlegende Qualität haben, nämlich bedingungslos zu sein. Diese Bedingungslosigkeit der Herzensgüte ist das, was sie unermesslich macht. Ebenso sind es bedingungsloses Mitgefühl, bedingungslose Mitfreude und bedingungsloser Gleichmut, die sie unermesslich werden lassen.
Alle fühlenden Wesen besitzen ein gewisses Maß an Herzensgüte und Mitgefühl, aber sie sind nur teilweise entwickelt. Jemand mag Herzensgüte und Mitgefühl für seine Familie haben, aber nicht für andere. Man mag Liebe und Mitgefühl für die Alten haben, aber nicht für die Jungen. Man mag Liebe und Mitgefühl in guten Zeiten haben, aber nicht in schlechten Zeiten. Man mag sich über das Wohlergehen anderer freuen, mit denen man gut auskommt, freut sich aber nicht mit denen, die man als Feinde betrachtet. Aber man muss verstehen, dass es für die Kultivierung der vier Unermesslichen wichtig ist, dass die Herzensgüte, die man erzeugt, unparteiisch sein muss. So lernt man, unparteiische Herzensgüte, unparteiisches Mitgefühl und unparteiische Freude zu kultivieren.
In der gewöhnlichen Aufzählung der vier Unermesslichen ist Gleichmut die Nummer vier. Aber eigentlich fangen wir mit diesem zuerst an. Deshalb soll man alle fühlenden Wesen einbeziehen, ohne Anhaftung an den Nächsten und ohne Grenzen. Wir befinden uns im Kreislauf der Daseinsexistenzen und haben unzählige Wiedergeburten im Samsara hinter uns. Während dieser Wiedergeburten hatten wir Eltern, die sich um uns kümmerten. Deshalb war jedes fühlende Wesen mindestens einmal unsere Mutter.
Wir alle, die an die zyklische Existenz im Samsara glauben, müssen also wissen, dass jedes fühlende Wesen irgendwann einmal unsere Mutter war. Unsere Mutter ist jemand, der uns so viel gegeben hat: unseren Körper, der uns gelehrt hat, wie man isst, wie man spricht und wie man lebt.
Wie es in den 8000 Sätzen der Vollkommenheit von Weisheit heißt: “ Die Mutter schenkte uns unseren Körper, die Mutter ging durch Schwierigkeiten, die Mutter schenkte uns das Leben und zeigte uns die Welt.“
Wir können die Freundlichkeit unserer Mütter nutzen, um die vier Unermesslichen zu kultivieren. Es gibt jedoch keine Regeln, dass man über die fühlenden Wesen reflektieren muss, dass jedes unsere Mutter war, um die Unermesslichen zu kultivieren. Wir können über die Beziehung nachdenken, die wir zu anderen fühlenden Wesen haben. Grundsätzlich müssen wir verstehen, dass wir uns selbst als etwas Unabhängiges betrachten, getrennt von der Umwelt und von anderen fühlenden Wesen. In Wahrheit aber sind wir miteinander verbunden. Unsere Geburt hätte nicht stattgefunden ohne die Beteiligung von anderen fühlenden Wesen.
Ein weiteres Beispiel ist, dass Dharma-Lehren zu bekommen nur durch die Güte und das Mitgefühl der Meister möglich ist. So ist alles, was wir tun, essen, tragen und besitzen, nur durch den Beitrag unzähliger fühlender Wesen möglich. Da wir also mit diesen fühlenden Wesen verbunden sind, ist es uns möglich, unsere gegenseitige Verbindung zu fördern, indem wir ihnen helfen.
Egal welcher Religion oder Rasse wir angehören, wir sind alle Menschen, die glücklich und frei von Leiden sein wollen. Man muss verstehen, dass alle fühlenden Wesen den gleichen Wunsch nach Glück haben wie wir selbst. Und dieser eine Grund ist mehr als genug, um die vier Unermesslichen zu praktizieren.
Quelle: Acharya Choky Lhamo von Thrangu Tara Abbey Nonnenkloster