Ein Essay über Berge
S. H. 14. Dalai Lama
In Tibet werden Berge oft als etwas besonders betrachtet. Amnye Machen zum Beispiel, ein Berg im Nordosten Tibets, gilt als Heimat von Machen Pomra, einer der wichtigsten Gottheiten von Amdo, meiner Heimatprovinz. Da alle Menschen in Amdo Machen Pomra als ihren besonderen Freund betrachten, pilgern viele von ihnen zum Fuß des Berges.
Wenn die Menschen in Lhasa gelegentlich zum Vergnügen kletterten, wählten sie Berge von angemessener Größe, und wenn sie den Gipfel erreichten, zündeten sie Weihrauch an, sprachen Gebete und entspannten sich bei einem Picknick. Nur Einsiedler, wilde Tiere und im Sommer Nomaden mit ihren Herden, leben tatsächlich hoch oben in den Bergen. In der Einfachheit und Stille unserer Berge herrscht mehr Seelenfrieden als in den meisten Städten der Welt. Da es in der buddhistischen Praxis darum geht, die Phänomene als leer von einer ihnen innewohnender Existenz zu betrachten, ist es für einen Praktizierenden hilfreich, in den weiten, leeren Raum zu schauen, den man von einem Berggipfel aus sieht.
In diesen Schatzkammern der Natur fanden unsere Ärzte viele der wertvollen Kräuter und Pflanzen, aus denen sie ihre Medikamente zusammenstellten, während die Nomaden reiches Weideland für ihre Tiere fanden, das für die tibetische Wirtschaft so wichtig ist. Noch weitreichendere Auswirkungen haben die Berge im Land des Schnees, in denen viele der großen Flüsse Asiens entspringen. Die jüngsten massiven Überschwemmungen auf dem indischen Subkontinent und in China lassen sich zum Teil auf die massive Abholzung und Umweltzerstörung zurückführen, die auf die gewaltsame Besetzung Tibets durch China folgte.
Seit über 1.000 Jahren halten wir Tibeter uns an spirituelle und ökologische Werte, um das empfindliche Gleichgewicht des Lebens auf dem Hochplateau, auf dem wir leben, zu erhalten. Inspiriert von Buddhas Botschaft der Gewaltlosigkeit und des Mitgefühls und geschützt durch unsere Berge, haben wir versucht, jede Form von Leben zu respektieren, und somit konnten auch unsere Nachbarn ungestört leben.
Wenn wir heute über die Erhaltung der Umwelt sprechen, ob wir nun die Tierwelt, die Wälder, die Meere, die Flüsse oder die Berge meinen, muss die Entscheidung zum Handeln letztlich aus unserem Herzen kommen. Das Wichtigste ist meines Erachtens, dass wir alle ein echtes Gefühl der universellen Verantwortung entwickeln, nicht nur für diesen schönen blauen Planeten, der unser Zuhause ist, sondern auch für die unzähligen fühlenden Wesen, mit denen wir ihn teilen.
Quelle:
The Official Website of The Office of His Holiness the 14th Dalai Lama