Inspirationen II
Seht niemals die Schuld bei den Anderen. Weil euer ignoranter Geist schnell über andere Menschen urteilt, ist es wichtig, dass ihr immer wieder und immer wieder zu euch zurückkommt. Lernt tolerant zu sein, lernt Verständnis zu haben und lernt Mitgefühl zu zeigen. Sich zu fragen: „Wie kann es sein, dass die anderen mich immer stören?“ ist nicht wirklich nett gegenüber denjenigen, die wirklich und wahrhaftig euer Verständnis benötigen. Das ist, was Buddha mit dem „Marigpa- oder ignoranten Geist“ meint.
Der ungezähmte Geist ist wie ein verrückter Affe oder ein wildgewordenes menschliches Wesen. Ihr müsst ihn also zähmen und diese Wildheit in eurem Geist befrieden. So werdet ihr einen sanften, wachsamen Geist haben – einen wachen Geist, einen freudigen Geist und einen wertschätzenden Geist. Auch wenn euch alle beschimpfen, dann könnt ihr euch freuen und denken: „Ich kann mich glücklich schätzen, dass sie mich so nennen – und zwar bin ich deshalb froh, weil ich mich selbst sonst gar nicht so gut erkenne.“ Wenn andere also denken, dass mit mir etwas nicht stimmt, dann werde ich alles dafür tun, das zu verbessern. Wenn ihr euch selbst in so einer herausfordernden Situation freuen könnt und die Kritik akzeptiert, dann seid ihr das, was wir einen Buddhisten nennen.
Wenn ihr jedoch keine Geduld, keine Toleranz, kein Mitgefühl habt, dann könnt ihr zu noch so vielen Belehrungen von Lamas gehen – zu Tai Situpa’s Unterweisungen, zu Karmapa’s Belehrungen, zu Dalai Lama‘s Unterweisungen, zu jeder Belehrung, die ihr besuchen könnt – und trotzdem seid ihr nicht wirklich würdige menschliche Wesen. Solang ihr nicht praktiziert und die Lehren nicht in eurem Alltag umsetzt, sondern nur Belehrungen anhäuft wie andere Wohlstand anhäufen und es nur darum geht, sagen zu können: „ich habe diesen Guru, ich studiere diese Sutras, ich studiere diese oder jene höchsten Texte,…“ und zwar haufenweise davon, dann ist alles, was daraus resultiert, dass nur noch mehr Neurosen und noch mehr Bewertungen entstehen. Das tut mir leid, denn damit verschwendet ihr nur eure Zeit.
Frage: Hast du einen Ratschlag für die Menschen, deren Alltag so geschäftig ist: Wie können sie Dharma, ihre Arbeit, ihre Familie und die ganzen anderen Dinge, die zu organisieren sind, unter einen Hut bringen? Vor allem jetzt, wo dies noch schwieriger wird, weil die Corona-Beschränkungen wieder gelockert werden?
Lama Yeshe Rinpoche: Das ist nicht der Punkt. Wenn ihr gestresst seid, wenn ihr nicht glücklich seid, dann könnt ihr 5 oder 6 Tage die Woche arbeiten und macht mehr Fehler, verursacht mehr Leid für eure Familie und ihr werdet ein schwierigeres menschliches Wesen. Wenn ihr es euch selbst zugesteht, dass ihr zwei freie Tage verdient und nur 5 Tage pro Woche arbeitet, gibt euch das zwei Tage Zeit, den Geist zu stabilisieren. Dann werdet ihr nicht mehr diese wütenden und ungezähmten menschlichen Wesen sein, sondern werdet freundliche und verzeihende Menschen. Also fordert eure Familien oder Partner dazu auf, euch zu sagen, wenn ihr durch die Dharma-Praxis negativer werdet, und versprecht, dass ihr dann damit aufhört. Aber fragt sie auch: „Wenn ich durch die Dharma-Praxis netter, freundlicher und glücklicher werde, profitiert ihr dann nicht auch davon?“. Wen kümmert es, wie viel Geld ihr benötigt, um sagen zu können: „Ich bin wirklich sehr erfolgreich“ – ihr könnt es jeden Moment wieder verlieren. Vereinfachen, weniger brauchen, weniger wollen und weniger denken, das ist der Weg.
Meditation bedeutet, dass wir uns wirklich hinsetzen, den Geist zur Ruhe bringen, Weisheit entwickeln und zu uns sagen: „Schau her, anstatt zu erkennen, dass alles, was du brauchst schon in dir ist, jagst du Halluzinationen nach.“ Wenn wir Halluzinationen nachjagen, suchen wir im Äußeren nach etwas, an dem wir uns festhalten können. Aber das werden wir nie finden. Aber wenn wir erkennen, dass alles im eigenen Geist liegt, dann kann man wirklich etwas tun. Anstatt dazusitzen und zu denken, wie schlecht es uns geht und dass wir nicht bekommen, was wir wollen, können wir uns sagen, dass wir glücklich sind. Denn auch wenn wir alles bekommen würden, was wir uns wünschen, wird es doch nicht von Dauer sein. Das ist einfach die Realität und dann kann man aufhören, sich als Opfer zu fühlen und kann die Abhängigkeiten durchtrennen.
Manchmal werden die Gedanken so stark, dass wir völlig darin verwickelt werden. In diesen Situationen können wir Liebe und Herzensgüte zum Inhalt der Meditation machen.
Wenn wir auf uns selbst oder auf jemand anderen wütend sind, erinnern wir uns daran und rezitieren im Geist: Liebe und Herzensgüte. Anstatt der falschen, werden wir nun die richtige Methode benutzen. Das bedeutet, dass wir dieses Mal mit Liebe und Herzensgüte auf unsere eigenen körperlichen und psychischen Problemen reagieren werden. Anstatt uns selbst schlecht zu machen, werden wir Liebe und Herzensgüte uns selbst gegenüber empfinden und wenn wir auf jemand anderen wütend sind, werden wir Liebe und Herzensgüte für die anderen Menschen entwickeln.
Meditation
Liebe und Herzensgüte entwickeln gegenüber
- unseren eigenen Schwächen und Problemen, unseren Emotionen, Gedanken
- unseren körperlichen Schwierigkeiten,
- Menschen, auf die wir wütend sind, die wir nicht mögen und allen Wesen gegenüber.
Wenn wir uns also während der Meditation daran erinnern können, werden wir nicht mehr von unseren eigenen alten Gewohnheiten gequält werden. Liebe und Fürsorge werden wichtiger als alles andere.
Die innere Haltung auf dem Meditationsweg
Wir sind jetzt alle neugierig und wollen anfangen, die Meditation zu lernen. Am Anfang ist es aber gut, nicht zu große Erwartungen zu haben, zum Beispiel dahingehend, dass man jetzt jegliches Leid, alle Sorgen und alle weltlichen Interessen hinter sich lässt. Viele Menschen erwarten auch wunderbare Erlebnisse oder Erfahrungen von der Meditation. Viele Europäer haben die Idee, dass alles, was wir tun, mit besonderen Erlebnissen oder Erfahrungen zu tun haben muss. Aber Meditation fangen wir nicht mit Erlebnissen an, wir brauchen keine außergewöhnlichen Erfahrungen.
Vielleicht sind wir jetzt alle sehr inspiriert und denken: Wie wunderbar ist es, dass ich jetzt lerne zu meditieren, ich führe so ein positives Leben und werde allen Lebewesen helfen, sich zu befreien. Wenn wir von solchen Gedanken davongetragen werden, wird unser Geist immer noch geschäftiger und ist das letztendlich nichts anderes als Zeitverschwendung und nicht das, was wir unter wirklicher Meditation verstehen. Wir haben unsere Entscheidung getroffen, jetzt zu meditieren, und die positive Motivation entwickelt, für alle Lebewesen von Nutzen zu sein. Es ist, wie wenn wir ein Feld pflügen. Wenn wir das Feld richtig pflügen und wenn wir sehr reine Samen haben, dann brauchen wir die Samen nicht immer auszugraben und nachzuforschen, ob sich etwas getan hat und ob das Ergebnis gut ist oder nicht. Wenn wir wissen, dass wir alles richtig gemacht haben, das Pflügen, das Säen, dann wird die reine Frucht von selbst daraus erwachsen. Wenn wir also praktizieren, ist es nicht nötig, immer wieder nach dem Ergebnis zu suchen. Alles was wir tun müssen, ist, richtig zu meditieren, und darüber hinaus brauchen wir unseren Geist nicht weiter zu beschäftigen.
Nicht-Werten, Nicht-Anhaften, Loslassen
Wenn man über Buddhismus oder Meditation liest oder etwas darüber hört, wird immer von Nicht-Werten, Nicht-Festhalten, Nicht-Anhaften gesprochen. Wir sollten dies also auch anwenden. Viele Menschen, die Bücher lesen und von Nicht-Anhaftung oder Loslassen hören, denken, dass sich dies nur auf Objekte, Menschen, Geld oder Besitz bezieht. Aber wenn wir Nicht-Anhaften oder Loslassen richtig verstehen, geht es um unsere Gefühle, unsere Gedanken oder Emotionen.
In der Meditation haben wir es nämlich nicht mit Objekten zu tun, sondern in der Meditation geht es um Gedanken und Emotionen, mit denen wir umgehen müssen. Wir sollten uns darum ununterbrochen an diese Qualitäten: Nicht-Werten, Loslassen, Nicht-Anklammern oder Anhaften erinnern. Wenn wir diesen Gedanken sehr stark in unserem Geist entwickeln, dann kann uns das helfen, unsere Empfindungen, unsere Sensitivität gegenüber Gefühlen, gegenüber Gedanken, die wir in der Meditation wahrnehmen, zu schwächen.
Mit Problemen umgehen
Vielleicht haben manche von uns ein Problem zu Hause oder mit der Arbeit, und wenn wir meditieren, kann es sein, dass uns das Problem immer wieder einholt. Aber egal, was passiert, wir sollten uns immer an das „Nicht-Festhalten“ erinnern. Wir können uns sagen, dass wir jetzt Zeit haben für uns selbst und nicht wollen, dass das Problem die Meditation stört. Wir sollten verstehen, dass, ganz egal wie groß das Problem ist, es nicht gelöst wird, wenn wir in der Meditation darüber nachdenken und grübeln. Deshalb versuchen wir jetzt einmal, die Probleme in Ruhe zu lassen. Wir kommen erst einmal zur Ruhe, und wenn wir uns dann nachher wieder an das Problem erinnern, werden wir vielleicht feststellen, dass es gar nicht so groß war.
Aufgrund unserer Erziehung glauben wir, dass wir jeden Moment über ein Problem nachdenken müssen, um es zu lösen, um es loszuwerden. Aber durch das Grübeln wächst unsere Angst und Sorge und wir lösen das Problem im Grunde nicht. Wir schaffen eher mehr Probleme. Lassen wir das Problem also einfach eine Zeit lang in Ruhe, dann werden wir vielleicht erkennen, dass wir gar nicht wirklich ein Problem haben, und wenn es wirklich da sein sollte, werden wir in einer besseren Verfassung sein, um damit umzugehen.
Ansonsten sollten wir, wenn wir in der Meditation sitzen, nicht in die Vergangenheit zurückdenken. Alle unsere guten oder schlechten Erfahrungen, unsere Schmerzen und Leiden fangen in der Vergangenheit an. Also egal ob es eine gute Erfahrung, eine schlechte Erfahrung ist, richtig oder falsch, wenn wir diese Gedanken während der Meditation auftauchen lassen und weiterverfolgen, werden wir so geschäftig, dass wir diese stabile Ruhe nicht finden werden. Deshalb sollten wir uns sehr bemühen, uns nicht von der Vergangenheit ablenken zu lassen.
Quelle: Zoom-Treffen mit Retreat-Teilnehmern im August 2021, Kirchheim