Was bedeutet Ngondro-Praxis

Ngondro bedeutet Grundlagen zu schaffen, die zur Vorbereitung für die Meditation als essentiell erachtet werden. Traditionell werden alle, die authentische Meditation praktizieren wollen, angehalten, die vorbereitenden Übungen auszuüben. Diese bestehen aus zwei Teilen: 1.)  den allgemeinen vorbereitenden Übungen und 2.) den außergewöhnlichen vorbereitenden Übungen. Beide Teile enthalten wiederum jeweils vier Kontemplationen bzw. Praktiken. Bei den allgemeinen vorbereitenden Übungen werden die vier Aspekte unseres Daseins kontempliert und tief untersucht. Dieser Teil ist für jeden Menschen, egal ob Buddhist/-in oder nicht, ob Praktizierende/-r oder nicht, hilfreich und bereichernd.  Die außergewöhnlichen vorbereitenden Übungen basieren auf der tiefen Einsicht, die aufgrund der Kontemplationen des ersten Teils gewonnen wurde. Man ist nun sicher, dass es wertvoll ist, den spirituellen Weg zu gehen. Mit gezielten Methoden, die durch die buddhistische Lehre detailliert Schritt für Schritt erklärt werden, übt sich nun der Praktizierende darin, den Geist von behindernden, unheilsamen Ansichten, Gewohnheiten und Denkstrukturen zu befreien und neue, hilfreiche Einsichten und Verhaltensweisen zu entwickeln.  

Ngondro Gruppe und um was es dabei geht

Dharmapraxis sollte etwas sein, das wir nicht nur praktizieren, wenn wir Probleme haben oder etwas frei Zeit, nichts „Extra“, das man tut, wenn alles andere erledigt und abgehakt ist, auch keine Unterhaltung, wenn wir Abwechslung oder Ablenkung brauchen. Ablenkung haben wir viel zu viel. Die buddhistischen Lehrer sagen uns, dass alle unsere Probleme durch unsere Verwirrung, durch eine falsche Wahrnehmung der Wirklichkeit, von falschen Konzepten, Annahmen und Sichtweisen kommen. Durch die Ngondro-Praxis, oder die „grundlegenden Übungen, die den Geist zur Meditationspraxis lenken sollen“, fangen wir an zu lernen, die Dinge so zu betrachten, wie sie wirklich sind.   Ngondro teilt sich in zwei Teile auf: die allgemeinen vorbereitenden Übungen und die besonderen vorbereitenden Übungen. Jeder dieser Teile beinhaltet vier Praktiken. Bei den allgemeinen vorbereitenden Übungen kontemplieren wir 4 Themen: Die Kostbarkeit des menschlichen Lebens, Vergänglichkeit, Karma – das Gesetz von Ursache und Wirkung – und die Unzulänglichkeiten des samsarischen Lebens.  

Bei der ersten Reflektion über das kostbare Menschenleben versuchen wir, uns tief bewusst zu werden, wie kostbar es ist, dieses menschliche Leben zu besitzen. Das Leben als Mensch kann mit einem Gefäß aus reinem Gold verglichen werden oder einem wunscherfüllenden Juwel, es sollte uns überglücklich machen, am Leben zu sein. Wir denken darüber nach, wieviel Glück wir haben, nicht als Tier geboren zu sein.  Wir können in Freiheit leben, in einer friedvollen Gesellschaft und unsere Meinung äußern. Wie viele Menschen leben in ständiger Angst vor Gewalt und Hunger, oder sie verharren in schrecklichen Lebensumständen. Ihr Leben ist vielleicht ständig bedroht von Katastrophen, und es geht für sie um das reine Überleben. Wir aber leben in einer Gesellschaft, in der moralische Prinzipien, Gewaltfreiheit, etc. wichtig sind. Wir versuchen Mitgefühl, Herzensgüte, Fürsorge füreinander aufzubringen, und dies sind Werte, die Menschen nicht unbekannt sind.   Dann machen wir uns aber auch bewusst, dass all dies nicht selbstverständlich ist. Wie zerbrechlich ist das Leben, und wie schnell kann es vorbei sein. Zu glauben, dass wir sterben werden, dass dieser Körper nur eine zeitlich begrenzte Wohnstätte ist, fällt uns sehr schwer. Aber es ist nicht schwer zu erfahren, wie schnell sich das ändern kann, und das Leben ist vorbei. Es gibt keine Gewähr, dass wir morgen, nächsten Monat, nächstes Jahr noch leben. Ständig lesen und hören wir von Menschen, die plötzlich sterben, einen Unfall haben, Herzversagen oder vieles mehr. Vor einem Arztbesuch fühlen wir uns vielleicht noch recht wohl, und dann verlassen wir die Praxis mit einer Diagnose, die bedeutet, dass unser Leben bald enden könnte.  

Uns mit der Endlichkeit des Lebens zu beschäftigen, soll uns nicht deprimiert machen, sondern im Gegenteil, wir können lernen, es wertzuschätzen. Es soll uns helfen, so zu leben, dass wir am Ende voller Zufriedenheit und entspannt auf dieses Leben zurückblicken können und das Gefühl haben, das Beste daraus gemacht zu haben. Das Beste heißt, dass wir das Potential in uns nicht vergeudet, sondern entwickelt und zum Leuchten gebracht haben. Dieses Potential an Herzensgüte, Liebe, Reinheit, von dem wir im Buddhismus lernen, dass es grenzenlos ist und jedem Lebewesen innewohnt. Wir haben nur leider keine Ahnung davon. Wir lernen, dass wir dieses Potential verschwenden, wenn wir nur egoistisch unsere eigenen Bedürfnisse erfüllen. Wenn wir aber dazu beigetragen, dass die Leiden anderer gelindert werden, dass mehr Harmonie und Frieden auf der Welt entstehen, machen wir unser Leben zu einem erfüllten und wertvollen Leben.        

Einige Gedanken von Akong Rinpoche zu unserem wertvollen menschlichen Leben

Auf weltlicher Ebene sehen wir alle unser Leben als wertvoll an, und versuchen alles, es möglichst lange zu erhalten. Wir wollen reich, wohlhabend, schön, gesund sein und viele Freunde haben. Wir tun alles dafür, um uns vor Krankheit, Hunger, Kälte, Altern etc. zu schützen. Kann es sein, dass wir im Streben nach Beziehungen, Besitz, Arbeit, Unterhaltung, schöner Erscheinung den Sinn unserer Existenz verpassen? Auch Tiere streben nach Wärme, Nahrung, Annehmlichkeiten. Es ist wichtig für uns zu realisieren, was wir alles erreichen können – für uns und andere! Ein Mensch kann so viel Nutzen bringen, wie die Vorbilder von Buddha oder von Heiligen anderer Glaubensrichtungen zeigen.

Wir haben ein riesiges Potential. Aber auch nur wahre Zufriedenheit in uns zu finden, und das Glück auf andere um uns herum zu übertragen, ist schon etwas.   Normales Glück ist leicht verloren, ist meistens wie eine Sandburg, die nach kurzer Zeit von der Flut weggewaschen wird. Glück hingegen, das aus unserer inneren Entwicklung heraus entstanden ist, hat Stabilität, wächst ständig weiter und nützt anderen. Dieses Glück beinhaltet, dass wir lernen, anders mit Herausforderungen des Alltags umzugehen, wir begegnen ihnen mit Mitgefühl und besserem Verständnis. Wir sind uns im Klaren, dass wir ohne negative Umstände zu erleben, den Geist nicht zähmen können und grenzenloses Mitgefühl nicht lernen.   Weltliches Glück und das Glück eines geduldigen, stabilen Geistes sind sehr verschieden. Sind wir in der Lage, uns um uns selbst zu kümmern, können wir auch anderen helfen. Unser Leben wird sinnvoll, wenn wir anderen helfen können. Je mehr Menschen wir nutzen, umso wertvoller wird unser Leben. Dies gibt uns Zufriedenheit, Kraft und Stärke.

Es ist wie bei der Autobatterie: je mehr das Auto gefahren wird, desto mehr lädt sie auf. Steht das Auto nur herum, entleert sich die Batterie, das Fahrzeug ist nutzlos, und kann seinen Zweck nicht erfüllen.   Wir sollten das Glück wertschätzen, dass wir einen Körper haben. Trotz unserer Probleme und Leiden können wir einen wertvollen Beitrag leisten für die Welt. Hat man authentischen und aufrichtigen Frieden, Unparteilichkeit und Stabilität im Geist, ist man überall glücklich, egal wo man lebt. Wenn wir dabei die große Motivation von Mitgefühl pflanzen und pflegen, heißt dies, dass wir die Gelegenheit und das Potential dieses Lebens wirklich nutzen, das so schwer zu erhalten ist. Nun wird es ein wirklich wertvolles Leben. Da es uns schwerfällt, uns dies in der Eindringlichkeit wirklich klar zu machen, so dass wir auch entsprechend handeln und uns verhalten, haben wir im Buddhismus die Praxis der „4 grundlegenden Gedanken, die den Geist zur Dharmapraxis oder spirituellen Weiterentwicklung vorbereiten sollen“. Es geht dabei um das tiefe Nachdenken über das kostbare Menschenleben, Vergänglichkeit, Karma und das Unbefriedigtsein im Kreislauf der Existenzen. Diese Kontemplationen sind nicht nur für Buddhisten unentbehrlich und essenentiell wichtig, sie sind für alle Menschen, die ihr kostbares Leben nutzen wollen, relevant. Sie helfen uns, für die Dharmapraxis und die authentische Meditation eine stabile Grundlage zu legen, und ständig motiviert zu bleiben, an unserer Entwicklung zu arbeiten. Drupon Rinpoche sagt: „Nichts ist wichtiger!“  

Die vier grundlegenden Kontemplationen   Ngondro Teil 1 von Akong Rinpoche

Die Kostbarkeit des menschlichen Lebens bedeutet, dass wir völlige Freiheit haben, in dem Sinne, dass wir tun können, was wir wollen. Freiheit in dem Sinne, dass du nicht an deinem materiellen Leben festhältst, Freiheit von Gefahr, weil du frei von Anhaftung, Anhaftung, Eifersucht oder Unwissenheit bist. Diese Art von Freiheit kann nur in der menschlichen Welt entwickelt werden. Als Tiere können keine Freiheit entwickeln, weil wir von Menschen beherrscht werden. Menschen entscheiden, wohin wir gehen und was wir essen, wann wir sterben und wann wir geboren werden sollen. Aber die Mehrheit der Menschen unterscheidet sich nicht wirklich von Tieren. Wir finden Nahrung, wir essen, wir finden einen Job, um uns zu ernähren, aber darüber hinaus sind wir wie Kühe oder Tiere, die fressen, schlafen, sich fortpflanzen und am Ende sterben.  Das meinen wir nicht mit der Kostbarkeit des menschlichen Körpers. Der menschliche Körper ist kostbar im Sinne unserer Verantwortung für andere Menschen. Wenn wir etwas für andere tun, für mehr als eine Person, dann hat unser Leben den Wert des Lebens zweier Menschen. Wenn wir etwas tun, das hundert Menschen zugutekommt, dann ist unser Leben hundert Menschen wert. Bei der Wertschätzung geht es mehr um unsere Handlungen. Wenn wir über die Kostbarkeit des menschlichen Körpers sprechen, sprechen wir darüber, was wir tun und wie viel Freiheit wir haben. Das heißt nicht, dass jeder das Gleiche hat. Wer die Freiheit und Kostbarkeit entwickelt, zeigt damit auch allen anderen Menschen, dass alle die gleiche Chance haben, wenn wir etwas erreichen wollen. Daher liegt die Wahl bei jedem Einzelnen. Wenn man die Kostbarkeit des menschlichen Körpers entwickeln möchte, dann kann man das tun, aber es hängt von jedem einzelnen Menschen ab. Die zweite Sache, über die es sehr wichtig ist, nachzudenken, ist der Aspekt der Vergänglichkeit. Wenn wir die Vergänglichkeit nicht verstehen, werden wir immer danach streben, dass unser Leben zweihundert Jahre dauert. Wir machen immer Pläne für unser Einkommen, unseren Reichtum und unsere Freunde, beharrend auf unserem Gedanken, dass wir nicht sterben werden. Wenn man langfristig geplant hat, neigt man oft dazu, Vergänglichkeit falsch zu verstehen. Leute haben mir gesagt, dass wir denken, dass die Vier gewöhnlichen Grundlagen im Buddhismus praktiziert werden, um Menschen einer Gehirnwäsche zu unterziehen, und wir könnten sagen: „Ich möchte nicht über all das nachdenken.“ Aber Vergänglichkeit und Leiden existieren bereits und sollten nicht nur als buddhistische Ideen betrachtet werden. Der Buddhismus lehrt uns, was bereits in unserem Leben vorhanden ist. Er sagt die Wahrheit, anstatt zu ignorieren und zu sagen: „Ich werde nicht sterben, ich werde keinen Unfall haben, ich werde keinen Krebs oder AIDS bekommen und ich werde nicht krank werden. “ Krankheit ist Teil der menschlichen Existenz, und was den Tod anbelangt, wenn wir geboren werden, können wir den Tod zu jeder Tages- oder Nachtzeit erleiden. Es gibt niemanden, der uns garantieren kann, wann wir sterben werden oder wie unser Tod aussehen wird. Wir wissen nicht. Wir wissen viele Dinge, aber das wissen wir nicht. Daher sagen Buddhisten einfach, dass wir die vergängliche Natur der Dinge verstehen müssen, weil sich die Dinge ständig ändern. Wir können nicht ignorieren, dass es ständig Veränderungen gibt. Jeder Atemzug, den wir atmen, ist nicht derselbe wie der nächste. Zwischen dem ersten Atemzug und dem zweiten Atemzug hat sich die Zeit geändert und du und ich auch. Wir sind nicht dieselbe Person: abhängig von der Zeit haben wir uns bereits geändert. Wenn sich der Atem geändert hat, dann hat sich unsere Zeit geändert. Wenn man sich das Wachstum einer Blume ansieht, wird es von außen immer wie die gleiche Blume aussehen. Wenn wir jedoch jede Sekunde des Blumenlebens filmen und diese Filmsequenz dann beschleunigt zeigen, zeigt jede Sekunde die Veränderung, das Wachstum. Es bleibt nicht gleich. Wenn es gleich bliebe, gäbe es kein Wachstum. Vergänglichkeit ist sehr ähnlich. Es ist ein ständiger Wandel, den wir nicht aufhalten können. Aus diesem Grund sagen Buddhisten, dass wir nicht an der Vorstellung festhalten dürfen, dass „ich immer dieselbe Person bin“ oder dass „andere immer dieselben Menschen sind und ich immer auf dieselbe Weise handeln muss, weil es meine Freunde sind. “ Freunde ändern sich und Feinde ändern sich. Unsere Freunde können eines Tages unsere Feinde werden und aufgrund von Veränderungen kann unser Feind eines Tages unser Freund werden. Wir sollten nicht an der Vorstellung festhalten, dass dies mein lebenslanger Freund oder lebenslanger Feind sein muss, weil es so nicht funktioniert. Das Verständnis der Vergänglichkeit ist eine sehr wichtige Lektion, weil so viel Leiden in unserem Leben auf unser Festhalten zurückzuführen ist: „Verändere dich nicht, geh nicht, lass mich nicht allein. Ich werde zu einsam sein.“ Wir brauchen jemanden, der die ganze Zeit da ist, dauerhaft, in gewissem Sinne ohne Aktion, ohne Wachstum. Das kann eine Ursache für großes Leid und Unglück sein. Die dritte wichtige Sache ist Ursache und Ergebnis. Manche Leute nennen das Karma. Karma ist sehr schwer zu verstehen, denn obwohl wir eine gewisse Vorstellung davon haben, dass eine Ursache ein Ergebnis haben muss, kämpfen wir mit der Vorstellung, dass irgendwelche gegebenen Ursachen und Wirkungen eine Ähnlichkeit aufweisen. Die Leute sagen immer: „Wie kann ich an Karma glauben, wenn ich mich nicht an meine vergangenen Leben erinnere“ oder „Ich kenne niemanden, der von den Toten zurückgekommen ist und mir von der Hölle und dem Himmel und dem Karma erzählt hat, und deshalb glaube ich nicht an Karma.“ Ich denke, das ist vollkommen in Ordnung. Ich glaube nicht, dass wir alles glauben müssen, solange wir ein gewisses Verständnis dafür haben, dass alles, was wir tun, ein ähnliches Ergebnis bringen kann – was wir pflanzen, kann ähnliches Material wachsen lassen. Wenn du Reis anbaust, wird er Reis produzieren. Wenn wir Gerste anbauen, wird Gerste produziert. Unsere Aktionen werden ähnliche Effekte hervorrufen. Wenn wir Kartoffeln pflanzen, werden Kartoffeln wachsen. Wenn wir durch einen Prozess wissen, wie man Gene von einer Frucht auf eine andere überträgt, können wir eine neue Frucht herstellen. Man kann Reis-Gene mit Gerste kombinieren und das kann eine neue Art von Getreide hervorbringen. Der Buddhismus sagt nicht, dass immer etwas Ähnliches wachsen wird, es ist möglich, dass Veränderungen auftreten. Wir können die Dinge nach unserem Wissen ändern. Ebenso wird nie gesagt, dass Karma nicht geändert werden kann. Gemeint ist, dass der Ort, an dem wir in diesem Leben geboren wurden, unser Vater und unsere Mutter und unsere Kinder, ob wir reich oder arm, ob wir körperlich krank oder gesund sind, ob wir sehr glücklich oder sehr traurig geboren wurden, dass wir all das, entsprechend der buddhistischen Lehre, aufgrund unserer Handlungen in früheren Leben erleben. In der Gegenwart gibt es einige Situationen und Handlungen, die wir nicht ändern können. Dies sind Aktionen, Situationen und Ereignisse, die ohne unser momentanes Zutun auftreten, Aktionen, die wir nicht ausführen möchten – sie passieren einfach, es gibt keine Möglichkeit, sie zu stoppen. Diese können das Ergebnis eines sehr starken karmischen Musters in der Vergangenheit sein. Indem wir ein Verständnis von Gut und Böse gewinnen, werden wir in der Lage sein, einige schlechte Handlungen zu ändern und zu vermeiden. Zukünftige Ergebnisse sind sehr stark von gegenwärtigen Ursachen abhängig. Bestimmtes Karma mag schwierig zu ändern sein, aber wir können es tun, wenn wir es wirklich ändern möchten. Die Lehren über Ursache und Wirkung sind sehr wichtig. Wenn wir ein Ergebnis sehen, das uns nicht gefällt, und wir es ändern möchten, dann müssen wir es jetzt ändern. Wir müssen nicht darauf warten, dass sich das nächste Leben ändert, denn das nächste Ereignis wird durch die heutige Aktion verursacht. Es ist eine sehr wertvolle Sache, dieses Verständnis zu haben, weil wir nicht so viele Fehler machen müssen. Wir werden weniger Fehler machen, weil das Verständnis von Ursache und Wirkung unseren Geist positiver schult. Die vierte Sache, die man wissen muss, ist, dass Glück zu Leid führen kann, wenn man nicht das richtige Verständnis hat. Am Anfang gibt es so viele verschiedene Arten von Glück. Am Ende sind wir oft die Ursache für so viel Leid. Ebenso kann viel Leid, das wir in unserem Leben erfahren, zu positiven Ergebnissen führen. Wir müssen lernen, uns nicht an das eine zu klammern oder das andere loszuwerden. Wenn es Leiden gibt, gibt es auch Glück, und wenn es Glück gibt, gibt es auch Leiden. Man sollte seine Erfahrungen nicht zu ernst nehmen. Wenn wir diese verschiedenen Dinge analysieren, können wir einen reifen Geist entwickeln, einen zukunftsorientierten Geist, in dem Sinne, dass wir Reife in unserem Leben erlangen. Das ist sehr wertvoll und nützlich. Mahamudra, die höchste Meditation, hängt von diesen vier Kontemplationen ab, den Geist zu ändern. Um die Mahamudra-Meditation zu verstehen, müssen wir diese verstehen. Einige Leute mögen sagen: „Das ist nicht nötig, weil Zen nicht die vier Wege der Geistestrainings lehrt. Er sagt dir einfach, dass du dich hinsetzen und deine Probleme lösen sollst.“ Wenn wir in der Lage sind, mit unserem physischen Körper ruhig zu sitzen, hat das natürlich einen gewissen Wert, aber das Wichtigste ist, wie wir unseren Geist beruhigen können. Das ist auch das Schwierigste. Wir können unseren Körper vielleicht trainieren, indem wir ihn einfach in eine Kiste legen und sicherstellen, dass er sich nicht bewegt. Dann entwickelst du eine Gewohnheit der Stille, und innerhalb von zwei oder drei Jahren brauchst du dich vielleicht nicht mehr zu bewegen. Aber deine Gedanken kreisen die ganze Zeit. Wenn sich der Geist bewegt, spielt es keine Rolle, wie still der Körper ist. Also ist das Wichtigste, mit dem Geist zu arbeiten.

 

AN EINER SELBSTLOSEN MOTIVATION ARBEITEN

Wenn wir Dharma-Belehrungen mit der Motivation von „Möge dies gut für mich sein“ anhören, meditieren oder üben, ist dies nicht die beste Motivation. Wie ich bereits sagte, sind alle unsere Schwierigkeiten und Probleme auf dieses sehr starke Gefühl von „Ich“ zurückzuführen. Wenn wir dies als Grundlage für unseres Dharma-Praxis nehmen, wird es nicht wirklich funktionieren oder uns helfen, Fortschritte zu erzielen. Sollte es trotzdem zufällig Anzeichen für Fortschritte geben, sind diese mit Sicherheit nur vorübergehend. Wollen wir wirklich Fortschritte machen, müssen wir beim Studieren oder Praktizieren denken: „Ich mache das zum Nutzen anderer.“ Drupon Rinpoche      

Reflexionen über die Kostbarkeit des menschlichen Lebens (von Matthieu Ricard)

Wer sich auf den spirituellen Weg begeben möchte, sollte in einem ersten Schritt verstehen, wie kostbar das menschliche Leben ist. Ganz bewusst genutzt, bietet es uns die einmalige Gelegenheit, das Potenzial des Erwachens zu verwirklichen, das uns allen zwar innewohnt, von uns jedoch schnell vernachlässigt oder vergeudet wird. Der Buddhismus besagt, dass von allen Lebensformen, die man im Daseinskreislauf annehmen kann, eine Geburt als Mensch äußerst selten vorkommt. Sie ist vergleichbar mit einem Festmahl, das man nach Jahrhunderten der Hungersnot genießt. Dieses Leben ist unter anderem deswegen so kostbar, weil es uns die Möglichkeit bietet, die Essenz oder das Potenzial der Buddhaschaft – die grundlegende Natur eines jedes Wesens, das ein Bewusstsein besitzt – zu erkennen und zu entwickeln. Diese Natur, die vorübergehend von geistiger Verwirrung und störenden Emotionen verschleiert ist, liegt wie ein Schatz in unserem Inneren vergraben. Die Praxis des buddhistischen Weges oder des Dharma besteht darin, die Schleier zu beseitigen. Sie dient nicht dazu, den Buddha-Zustand »aufzubauen«, sondern fördert ihn einfach zutage. Denn man kann dieser Natur, die nichts anderes ist als die eigentliche Grundlage unseres Geistes, weder etwas hinzufügen, noch ihr etwas wegnehmen. Die Eigenschaften, die wir uns auf dem Weg zum Erwachen aneignen, sind nicht etwas von Grund auf neu Geschaffenes, sondern sie spiegeln das graduelle Zum-Vorschein-Kommen unserer Natur wieder, so wie ein Juwel, das nach und nach zum Vorschein kommt, wenn es vom Schmutz, der es umgibt, befreit wird.  

Reflexionen über die Vergänglichkeit und den Tod (von Dilgo Khyentse Rinpoche)

So wie das Öl einer brennenden Lampe, das bald aufgebraucht ist, gehen alle Dinge dieser Welt allmählich und unerbittlich auf ihr Ende zu. Es ist kindisch anzunehmen, man könne zuerst all seine angefangenen Vorhaben zu Ende bringen, um sich danach zurückzuziehen, und den Rest seines Lebens dem Dharma zu widmen. Können wir uns denn so sicher sein, dass wir lange genug leben? Ereilt der Tod nicht Junge wie Alte? Was ihr auch tut, denkt daran, dass ihr sterblich seid, und sorgt dafür, dass euer Geist auf den Weg ausgerichtet bleibt. […] Alles hat seine Zeit. Die Bauern wissen das zur Genüge: Sie warten den geeigneten Moment ab, um zu pflügen, zu säen oder zu ernten, und tun, wenn dieser Moment gekommen ist, bestimmt immer das Richtige. Jetzt, da ihr im Vollbesitz eurer Fähigkeiten seid, einem echten spirituellen Meister begegnet seid, und seine kostbaren Unterweisungen erhalten habt – wollt ihr da das Feld eurer Befreiung brachliegen lassen? Wir müssen in unseren zukünftigen Leben noch eine weite Strecke zurücklegen, und der Tod ist lediglich eine Schwelle, die zu überwinden ist – eine Schwelle, die wir allein überschreiten werden, und dabei werden das Vertrauen in den Meister, und das Zutrauen zur spirituellen Praxis unsere einzigen Begleiter sein.

Unsere Eltern, Freunde, unsere Macht, unser Reichtum, alles, worauf wir normalerweise zählen, wird nicht mehr da sein. Wenn ihr eure Zeit damit zubringt, endlose Bagatellaufgaben zu erledigen, dann wird euch im Moment des Todes die Angst packen, und ihr werdet vor Reue weinen, wie ein Dieb, den man ins Gefängnis geworfen hat, und der sich fragt, welches Schicksal ihn wohl erwartet. Darum erklärte Milarepa dem Jäger Gönpo Dorje: »Dadurch, dass du unerschütterliche Hingabe für deinen Meister und die Drei Juwelen entwickelst, wirst du selbst dann, wenn dir nichts mehr bleibt, beruhigt und mit einem Herzen voller Freude leben und sterben.«  

Du bist dein Leben lang unterwegs, und du kannst den Zug deines Lebens nicht stoppen. Deine Eltern haben dich in diesen Zug gesetzt, weil sie dir das Schönste zeigen wollten, was sie selbst gesehen haben: die Landschaft des Lebens in allen Variationen. Alles sollst du sehen: die Höhen und die Tiefen, den Tag und die Nacht, die Sonne und den Regen, weil das alles zum Leben gehört. Viele Strecken bist du mit verschiedenen Menschen unterwegs. Aber hier und da hält der Zug an, weil für sie die Endstation gekommen ist. Nach und nach müssen sie aussteigen, und sie kommen nie wieder. So musst du manche Strecken deines Lebens allein fahren, ohne einen Menschen, der dir Gesellschaft leisten könnte. Und eines Tages wird der Zug dann auch deinetwegen anhalten, damit du auf dem Bahnhof deiner Bestimmung aussteigen kannst. Du hast deine Endstation erreicht. Aber jetzt bist du noch unterwegs. Schau genau hin, welche Landschaft jeder Kilometer deiner Lebensfahrt dir zeigt und nimm dies als Geschenk an. Lerne die Kunst des Sehens, damit du das Wesentliche im Leben nicht übersiehst.

 

Gedanken von Drupon Rinpoche zu diesem Thema

Die Vergangenheit ist vorbei. Aber es ist gut uns klarzumachen, dass Gewohnheiten, die wir in der Vergangenheit entwickelt haben, uns zur Gegenwart gebracht haben, und wenn wir nun Schwierigkeiten erleben, geschieht dies aufgrund in der Vergangenheit entwickelten und geprägten Tendenzen und Gewohnheiten. Was wir nun tun können, ist, neue und gute Gewohnheiten und Tendenzen zu entwickeln, und sicherzustellen, dass unsere Zukunft gut und glücklich sein wird. Wir haben jetzt die Gelegenheit, unsere Zukunft zu beeinflussen und gute gewohnheitsmäßige Tendenzen zu entwickeln. Gerade als Buddhisten sollten wir anders sein oder uns anders verhalten, denn wir wissen ja um Vergänglichkeit und Karma, und beschäftigen uns damit. Wir sollten wissen, dass die Vergangenheit vorüber ist, und es keinen Sinn hat, an dem, was vergangen ist, festzuhalten. Wir können mit den Menschen aus der Vergangenheit nicht mehr zusammen sein. Darum ist es hilfreicher, uns viel mit der Gegenwart zu beschäftigen und darüber nachzudenken, dass jetzt die Zeit ist, um uns zu verbessern, um uns weiterzuentwickeln, neue Dinge zu lernen, zu tun und gute Tendenzen zu schaffen. Dieser Augenblick beeinflusst den nächsten Augenblick, den nächsten Tag, den nächsten Monat, das nächste Jahr usw.. Darum ist dieser Augenblick so wichtig für unsere Zukunft. Viele Menschen halten so sehr an Vergangenem fest, an Menschen oder Erlebnissen, die nicht mehr da oder erlebbar sind, und dadurch leiden sie, werden traurig oder deprimiert. Drupon Rinpoche sagt, dass wir lieber an die guten Dinge denken sollten, die uns glücklich machen. Wir müssen uns auch bewusst darüber sein, dass unsere Art zu handeln und zu denken andere Menschen beeinflusst. So wie wir andere beobachten, werden wir auch von anderen beobachtet. Die Menschen beobachten sich gegenseitig. Darum lohnt es sich, gut zu sein, positiv und somit einen guten Einfluss auf andere zu haben. Wenn wir gute, mitfühlende Menschen sind, werden wir andere in diese Richtung beeinflussen und entsprechend geschieht es auch, wenn wir negativ und pessimistisch sind. Darum lohnt es sich, uns Gedanken zu machen und nach Veränderung zu streben.

 

Meine Gedanken über die Vergänglichkeit

In einer alten Volksweise heißt es „mitten im Leben sind wir vom Tode umfangen“ – das Lied meint damit vor allem auch, dass unser Leben jederzeit zu Ende sein kann. Während die Volksweise dann aber dazu aufruft, sich Gottes schützenden Händen anzuvertrauen, ist unser Umgang mit der Endlichkeit, oder besser gesagt der Vergänglichkeit, ein anderer. Für uns als Buddhisten ist das Thema Vergänglichkeit etwas, mit dem wir uns näher und länger beschäftigen wollen und müssen. Unser Weg sieht etwas anderes vor, als unser Leben vertrauensvoll in die Hände von jemand anderem zu legen. Auf unserem Weg wird die Vergänglichkeit zu unserer Gefährtin, unserer Begleiterin. Je mehr wir uns mit der Vergänglichkeit dieses Lebens, mit der ständigen Veränderung, dem ständigen Fließen und der Unbeständigkeit auseinandersetzen, umso besser können wir verstehen, was Vergänglichkeit bedeutet. Vergänglichkeit bedeutet nicht, dass alles endet. Vielmehr heißt Vergänglichkeit, dass sich alles verändert. Mein Cousin, der eine wichtige Rolle in meinen Leben gespielt hat, ist letztes Jahr im Sommer verstorben. Sein Leben endete – und doch auch nicht! Alles hat sich verändert: Er ist nicht mehr körperlich hier, wir können nicht telefonieren, uns nicht sehen. Und trotzdem lebt er in mir fort. Zum einen habe ich Erinnerungen an ihn, die ich hoffentlich nicht so schnell vergesse. Zum anderen „besucht“ er mich unverhofft immer wieder: Neulich zum Beispiel sah ich ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Griaß di!“ – genau einer der Sätze, die mein Cousin mit einem verschmitzten Lächeln zu sagen pflegte. Sein Dasein und sein Sterben haben in mir Spuren hinterlassen, die mich verändert haben und durch die er auf eine andere Art und Weise weiterlebt. Mit einem besseren Verständnis von Vergänglichkeit gelingt es uns, den Moment bewusster wahrzunehmen und unsere Zufriedenheit zu vermehren. Auch wenn mein Cousin mir unglaublich fehlt und ich ihn gerne noch weiter greifbar um mich gehabt hätte, sein Tod hat nicht unsere Verbindung beendet. Und ich nehme ganz bewusst jeden Moment wahr, in dem er mich „besucht“. Diese „Besuche“ nehme ich als Beispiel für viele andere Momente, die ich genauso bewusst und achtsam wahrnehmen möchte – so begleitet mein Cousin mich weiter auf dem Weg. (Sonja Molitor)    

Vergänglichkeit und Alter

Die meisten Menschen wollen gerne alt werden, aber nicht älter, lautet eine beliebte Aussage. Warum nicht? Weil angeblich nur die Jugend das Leben in vollen Zügen genießen kann? Weil älter werden auch körperliche Leiden mit sich bringt? Weil wir einige unserer Wünsche wohl nicht mehr verwirklichen können oder nicht richtig gelebt haben? Der Buddhismus empfiehlt, über Altern, Unbeständigkeit und Sterblichkeit nachzudenken. Warum? Damit wir auf die schönen Seiten des Daseins verzichten, weil es sowieso einmal enden wird? Nein! Nachdenken über Altern und Tod hilft, Prioritäten zu klären. Dann können wir lernen und leben, was uns wirklich am Herzen liegt. Je früher wir mit dieser Art Meditation beginnen, desto folgenreicher ist sie. Menschen haben Angst vor dem Sterben, weil sie ihren roten Faden nicht gefunden oder nicht verfolgt, nur mit halber Kraft gelebt oder ihre Jugendträume aus den Augen verloren haben. Wir können fragen: Was würde ich gerne noch lernen, ausprobieren oder sein lassen, bevor ich sterbe? Was würde ich ändern, wenn ich wüsste, wann ich sterbe? In zwanzig, zehn, fünf oder zwei Jahren, in wenigen Monaten, nächste Woche oder morgen? Und dann beobachtet man, welche Gedanken zu welchen Zeitpunkt auftauchen. Wenn wir sagen können: Ich würde genauso weiterleben wie jetzt, dann sind wir bereitet auf den Tod, dann können wir in Würde leben und gehen, wenn die Zeit reif ist. Wem diese Übung zu schwer fällt, der kann etwas anderes ausprobieren. „Ansichten aufgeben ist schwerer als sterben.“ (Rigdzin Shikpo) Warum? Beim Sterben lassen die Kräfte nach und dann können wir auch nicht mehr so gut festhalten. Die Übung ist einfach: Jedes Mal, wenn wir glauben, recht zu haben und an unserer Meinung festhalten, können wir uns auf den Tod vorbereiten und versuchen, diese Ansicht, zumindest für ein paar Sekunden, loszulassen. Das ist die einfachste und wirkungsvollste Vorbereitung auf den Tod, die ich kenne. Und sie macht das Leben und das Zusammensein mit anderen leichter. Sylvia Wetzel  

Karmapa Ogyen Trinley Dorje zu Tod und Wiedergeburt  –   „Der Tod ist nicht das Ende“

Niemand kann eindeutig sagen, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, aber eines können wir feststellen. Wenn jemand, der uns wichtig ist, den wir innig lieben, stirbt oder aus unserem Leben verschwindet, ist es aufgrund unserer Liebe für uns sehr schwierig oder fast unmöglich zu glauben, dass dieser Mensch ganz verschwunden ist und nie mehr, wie auch immer, auf irgendeine Weise da ist.   Die meisten Menschen haben das Gefühl, dass der geliebte Mensch noch immer irgendwie anwesend ist. Wir sprechen mit ihm im Geist, besuchen den Ort, an dem er oder sie eingeäschert oder begraben wurde, bringen ihm Blumen, beten für sein Wohlergehen. Wir träumen, von diesem Menschen, einige sehen oder spüren vielleicht sogar die Gegenwart eines Verstorbenen . Es ist unsere Liebe, die uns den Eindruck vermittelt, dass es etwas natürlich Angeborenes gibt, das nicht endet, wenn wir sterben. Wir sehen uns nicht als Kerze, die aufgebraucht ist, wenn die letzte Flamme ausgegangen ist, sondern als Fackel, ein Licht, das überall hin scheint und das als helle Flamme zur nächsten weitergegeben werden kann. Karmapa hält diese Denkweise für sehr wichtig.   Wir brauchen den Tod nicht als Ende ansehen. Der Tod ist nicht ein Nichts oder ein leerer Zustand; es ist die Zeit, wenn wir unser Licht auf eine andere Daseinsform übertragen. Mit diesem Verständnis können wir sehen, dass es möglich ist, unser Leben dazu zu verwenden, Licht in die Welt zu bringen für zukünftige Generationen, aber auch für unsere eigene Zukunft. Wenn wir das verstehen, dann wird der Tod weder ein Ende sein noch etwas, vor dem man sich fürchtet. Und dieses Leben kann zu etwas werden, das uns und anderen große Bedeutung und großen Nutzen bringen kann.        

Über Karma

Die erste Botschaft des Buddha, nachdem er erleuchtet wurde, waren die Vier Edlen Wahrheiten. Aus diesem Grund sollten wir, wenn wir gute Praktizierende werden wollen, uns mehr mit dem Karma beschäftigen. Die Vier Edlen Wahrheiten basieren sehr stark auf der Botschaft des Karmas: Ursache und Ergebnis. Karma ist so tiefgründig. Je mehr wir den Zusammenhang des Karmas und seine Wirkung untersuchen und analysieren, desto mehr werden sich die edlen Qualitäten wie Mitgefühl, liebende Güte und Weisheit in uns entwickeln. Alles basiert auf Karma, daher betonen die Kadampa-Meister immer die Praxis von Karma und karmischem Handeln.   Die Eigenschaften von Karma klar zu sehen, hat mit Weisheit zu tun. Es geht zum Beispiel nicht darum, krank zu sein und nur zu sagen, „es ist mein Karma“, ohne die Bedeutung von Karma zu verstehen. Woher weißt du, ob es dein Karma oder ein Unfall ist – es könnte ein Unfall sein. Wenn wir jedoch sagen, „es ist mein Karma“, bedeutet das, dass wir die Verbindung zwischen unserer Persönlichkeit und dem Karma erkannt haben. Wir sind uns daher sehr sicher, dass es das Ergebnis unseres vorherigen Karmas, also früherer Handlungen, ist. Darüber hinaus werden wir aufgrund dieses Verständnisses mehr Dharma-Praxis und mehr Geistestraining ausüben wollen, und wir werden mehr daran interessiert sein, mit unserem Karma zu arbeiten.

Wenn wir auf diese Weise vorgehen, geben wir dem Karma keine Schuld, aber wir lernen die Existenz von Karma zu schätzen. Was ich hier sagen will, ist, dass unsere Wertschätzung von Karma nicht allein aus unserer Erfahrung resultiert. Die Wertschätzung von Karma kommt aus dem Wissen über Karma, das durch Prüfung und eine lange Reflexion darüber und seine Anwendung auf jeden einzelnen Moment entstanden ist.   Unabhängig davon, ob es sich um eine angenehme oder unangenehme Situation handelt, müssen wir schätzen, dass Karma in jeder Situation zum Ausdruck kommt. Wenn du dazu in der Lage bist, dann wirst du langsam fähig sein, dich der Realität mit ihrer jeweiligen Erfahrung zu nähern und in sie einzutreten. Ohne dies funktioniert es nicht. Es geht nicht, einfach zu sagen, „es ist Karma“, ohne in der Lage zu sein, eine Verbindung zwischen Wissen und Erfahrung herzustellen. Daher sagen die Kadampa-Meister: „Je mehr du dich mit Karma beschäftigst, dieses Gesetz von Ursache und Handlung analysierst und darüber nachdenkst, desto mehr wird deine Praxis zunehmen, desto mehr Mitgefühl entsteht und desto mehr liebevolle Güte wird sich entwickeln“.

Dies geschieht alles aufgrund der Kraft der Erkenntnis und Verwirklichung, die wir aus der Wertschätzung karmischer Eigenschaften gewonnen haben, und es bedeutet, dass Karma unser tägliches Leben ist, nicht nur unsere Praxis und unsere Meditation.  Wir können so auch eine umfassende und tiefe Verbindung zu fühlenden Wesen herstellen, im Sinne eines Verständnisses des Karmas, das man mit ihnen teilt.   Achtsamkeit ist der erste Schritt. Je mehr wir üben, um so weniger haben äußere Faktoren die Chance, uns zu beeinflussen. Das bedeutet, dass wir versuchen, Abstand zu Negativitäten, äußeren Hindernissen und unerwarteten Situationen zu wahren. Wenn wir dies nicht tun, entstehen in unserem täglichen Leben viele Hindernisse und ungewollte Situationen. Diese haben wir wegen unseres Mangels an Bewusstheit, Achtsamkeit und Umsicht. In unserer Praxis ist die Umsetzung wichtiger als intellektuelles, theoretisches und spirituelles Verständnis – diese reichen nicht aus. Der Intellekt und die Umsetzung des Gelernten müssen zusammenarbeiten; wir müssen eine umfassende und tiefe Verbindung herstellen. Ohne äußere Faktoren können wir Achtsamkeit jedenfalls nicht anwenden.

Nur immer wieder über das Thema Karma zu sprechen, reicht nicht aus. Wie Karma funktioniert, müssen wir in unserem täglichen Leben spüren und erfahren, und dazu müssen wir uns mit den Situationen und äußeren Faktoren, die auftreten, auseinandersetzen. Wir haben immer angenehme und unangenehme Situationen, günstige und ungünstige Umstände, eine/-n nach der/dem anderen. Dies sind hilfreiche Herausforderungen, die der Praktizierende braucht, um die wahren Faktoren des Funktionierens von Karma zu verstehen. Daher ist der erste Schritt Umsicht bei unseren Aktivitäten. Der zweite Schritt besteht darin, das Heilmittel anzuwenden, sobald wir gelernt haben, unseren Geist gut zu bewachen. Dann können wir unsere mächtige, zugrundeliegende Ignoranz bekämpfen. Gampopa sagt, dass Anfänger noch nicht in der Lage sind, die Überwindung der Wurzel von Samsara direkt in Angriff zu nehmen.

Für Anfänger besteht die wichtigste Übung darin, mit Situationen umzugehen, indem wir unseren Geist bewachen und achtsam sind. Dies ist die beste Übung für Anfänger. Aber wir erwarten zu viel, nicht wahr? Wir denken: “Heute werde ich Buddhist und nehme Zuflucht, morgen möchte ich  Mahamudra praktizieren.” Das ist schwierig. Es ist schwierig, weil wir keine Grundlage haben. Wir brauchen ein solides Fundament. Da ein Gebäude ein solides Fundament braucht, damit es nicht nach einiger Zeit einstürzt, brauchen auch wir ein solides Fundament. Eine solide Grundlage ist das Wissen um Ursache und Wirkung und unsere Fähigkeit, mit unseren Emotionen im Alltag zu arbeiten. Wir brauchen jedoch immer noch Achtsamkeit und Klarheit, wenn wir die Heilmittel anwenden. Andernfalls werden wir bei der Anwendung dieser Heilmittel scheitern.   Der dritte Schritt ist der Erfolg. Diese drei Kategorien wurden von Shantideva und Chandrakirti genannt.

Es gibt eine starke Verbindung zwischen Karma und der einzelnen Person, Karma und den Emotionen. Deshalb müssen wir über die Beziehung zwischen Karma und dem individuellen Wesen nachdenken. Unsere Erwartungen, unsere Wünsche und unsere Hoffnungen sind es, Erleuchtung und Freiheit zu erlangen – jeder will Freiheit, nicht wahr? Niemand möchte leiden und in diesem schmerzhaften Samsara weiterwandern; alle wollen raus – frei und glücklich sein. Wir verstehen also auf gewisse Weise, aber wir wissen nicht wirklich, wie es geht, was zu tun ist. Wenn wir eine Lehre über Karma – Ursache und Wirkung – hören, die sich auf Samsara und Nirvana bezieht, klingt das interessant; aber wir müssen wissen, wie wir sie umsetzen. Die Methode und das Training bestehen darin, mit Karma zu arbeiten; wir brauchen ein reiches Wissen über Karma, und wir müssen uns mit Karma auseinandersetzen. Solange Karma da ist, gibt es definitiv keine Befreiung. Ultimative Befreiung bedeutet, dass wir in der Lage sind, Karma in Weisheit umzuwandeln – vollständig und endgültig. Person und Karma sind also untrennbar verbunden; wenn wir negatives Verhalten anhäufen und nicht tugendhafte Handlungen ausführen, ist Samsara da; wenn wir tugendhafte Handlungen und gute Dinge tun, ist die Befreiung da. Aufgrund der Verbindung mit Karma liegt es ganz beim individuellen Menschen; Karma folgt uns überall hin

Alles funktioniert grundsätzlich allein durch Karma. Ich gebe euch ein Beispiel für die negative Emotion der Wut: Zuerst gibt es die Wut, dann die Ausführung der Handlung und dann die Befriedigung darüber – es gibt drei verschiedene Phasen. Die erste ist die egozentrische Motivation oder Absicht der Person – hier sammelt sich das negative Karma an. Die Anhäufung von negativem Karma beginnt mit der Motivation und nicht mit der Hauptausführung der Handlung. Dies ist der Fall bei Wut, Eifersucht, Stolz oder was auch immer belastende Emotionen es sind. Man kann jedoch nicht einfach sagen: „Das ist mein Karma, so ist es eben“. Wir alle würden gerne sagen: „Oh, das ist mein Karma, es tut mir leid“ – Karma ist eine gute Ausrede. Trotzdem können wir etwas tun, um Karma zu ändern; zum Beispiel, wenn wir Ärger empfinden und ihn in die Tat umsetzen, aber gleichzeitig Bedauern fühlen. Wenn uns unsere Absicht und Motivation nicht gefallen, und wir daher unsere Handlungen oder Sprache nicht mögen, dann wird uns dieses Bedauern helfen, das Karma zu verringern, da wir nicht alle drei Schritte abgeschlossen haben, da es keine Befriedigung gibt. Wenn der Ausführung der Handlung Zufriedenheit folgt, bedeutet dies, dass wir vollständig und umfassend Karma angesammelt haben. Es ist daher so wichtig, ein Heilmittel anzuwenden. Zu sich selbst zu sagen, „was ich tue, ist nicht richtig, es ist nicht gut“ ist wichtig. Dies muss bei jeder unheilsamen Handlung angewendet werden, und daraus entsteht die Notwendigkeit des Bedauerns.

Wir müssen mit einem Gefühl und einer Erfahrung des Bedauerns die schädliche Handlung eingestehen. Wir müssen unser Handeln und unsere negative Absicht und Motivation sehr bedauern. Wenn wir so bekennen, verringert dies die Kraft unserer negativen Handlungen sehr. Auf der anderen Seite, wenn wir mit negativer Motivation beginnen, dann entsprechend handeln und dann drittens Zufriedenheit über unsere negative Handlung und Motivation fühlen, bedeutet dies, dass alle Schritte zur Entwicklung von negativem Karma vollzogen sind. Shantideva sagt, dass Bedauern eines der besten Mittel für den Praktizierenden ist, um unsere inneren Schwierigkeiten zu überwinden. Anstatt jedoch ein Geständnis abzulegen, sind wir manchmal zu stolz zuzugeben, was wir getan haben. Selbst wenn wir etwas falsch gemacht haben, sagen wir selten: „Ich liege falsch“, wir sagen immer: „Vielleicht habe ich Recht“. Wir versuchen zu leugnen, was wir getan haben, aufgrund der Macht unserer Verwirrung und unserer negativen Emotionen. Die Leute sagen sehr selten: „Ich habe falsch gehandelt, es tut mir leid“; meistens sagen wir „Ich habe recht“, und deshalb gibt es kein Geständnis und keine Reinigung.

Wenn wir Bedauern und Vergebung anwenden, anstatt nur das Hundertsilben-Mantra zu singen, ist dies die beste Reinigungsmethode. Wir glauben, dass Dorje Sempa, Vajrasattva, wie ein von Buddha gesandter Agent ist, um Negatives zu reinigen. Also verehren wir Vajrasattva, bieten einige Schüsseln mit Wasser mit Blumen, Lichtlampen und Weihrauch an und sagen: „Ich werde deine Praxis machen, um sicherzustellen, dass du mir hilfst, mein negatives Karma zu reinigen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich morgen wieder Negatives ansammeln werde, aber du musst mir weiterhin helfen, mich zu reinigen.“ Dies ist nicht der Weg, Negatives zu reinigen. Die Reinigung von Negativität ist mit Weisheit verbunden, und um diese Weisheit zu entwickeln, müssen wir die Qualitäten haben, zu verstehen, was nicht richtig ist, und Bedauern und Vergebung empfinden. Wir müssen uns selbst eingestehen, dass das, was wir getan haben, nicht richtig war. Unsere eigenen Fehler und Fehltritte anerkennen sind die Prinzipien, die wir brauchen, um unsere Negativität zu reinigen.

Einige Gedanken zu Karma

Wenn ihr zu sehr an schnellen Besserungen hängt, liegt darin eine große Gefahr.  Was augenscheinlich von anderen kommt, hat tatsächlich seine Wurzel in unserem eigenen Karma. Darum hat der Buddha gesagt: »Wenn du wissen willst, was du in der Vergangenheit getan hast, betrachte einfach die Situationen, denen du in diesem Leben begegnest.« Vergangenes Karma wird in diesem Leben erfahren. Alle inneren und äußeren Erfahrungen sind nichts anderes als der Ausdruck von Karma. Jetzt sind in eurem Geist die Erfahrungen und Projektionen vermischt, manche gehören zur Welt und andere zum Dharma. Doch da euer Training in weltlichen Dingen noch größer ist als euer Training im Dharma, trefft ihr eher auf weltliche Erfahrungen und Situationen als auf jene des Dharma.  All die verschiedenen Zustände des Geistes, die man erfährt, kommen nicht von nirgendwo, sondern von vergangenem Karma. Alle Gedanken, Vorstellungen, Gefühle im Geist und auch alle Situationen im Außen kommen nicht aus dem Nichts, sondern von vergangenem Karma. Durch euren eigenen Geist, durch eure eigene Erfahrung, könnt ihr verstehen, was vorher war, und auch beobachten, wie die Dinge ganz von selbst auftauchen. Es ist ein Vorgang, der völlig natürlich geschieht. Wir müssen uns nicht trainieren, um diese oder jene Emotion zu haben. Sie taucht plötzlich auf, weil wir uns bereits früher häufig in sie verstrickten.

Dies wird die Bildung von Gewohnheitstendenzen genannt. Wenn diese Gewohnheitstendenzen vollkommen aufgelöst sind, ist man erleuchtet. Meditation bedeutet nichts anderes, als sich darin zu üben, diese gewohnheitsmäßigen Neigungen loszulassen, sie nicht mehr zu greifen und festzuhalten. Erleuchtet zu werden bedeutet nicht, dass man sich seine eigenen Sehnsüchte erfüllt und von diesem oder jenem, was man gerade vermisst, mehr bekommt, sondern genau das Gegenteil. Wir werden uns all dieser Neigungen bewusst, fixieren uns nicht mehr auf sie, greifen nicht mehr nach ihnen, sondern lassen sie los, sodass sie allmählich immer schwächer werden. Und wenn von all diesen Gewohnheitsmustern nichts mehr übrig ist, bleibt der nackte Geist zurück. All die Probleme, die ihr jetzt habt, die Gefühle und Schmerzen, sie alle stammen von früheren weltlichen Verwicklungen. Und ihr verhaltet euch in weltlicher Weise zu ihnen und wollt sie mit irgendwelchen Tricks lösen. Aber dies wird euch nur immer mehr Leid einbringen, immer mehr Frustration und Schmerz. Jetzt ist es an der Zeit, dass ihr dies ändert und euch wirklich auf den Dharma einlasst im Vertrauen, dass all diese weltlichen Schwierigkeiten ganz gewiss durch die Praxis des Dharma gelöst werden.

Das Problem ist, dass die meisten Leute fast ausschließlich auf das schauen, was gerade jetzt vor ihnen liegt. Sie streben danach, dieses gegenwärtige Leben unmittelbar jetzt in einer sehr begrenzten und engen Weise zu verbessern. Und sie berücksichtigen nicht genügend die letztendliche, langfristige Wirkung von Karma, die weit über dieses Leben hinausreicht. Das zu verbessern, was gerade jetzt vor einem liegt, wird niemals funktionieren. Ihr müsst, was die Praxis des Dharma angeht, weiter schauen und einen längeren Zeitraum veranschlagen. Doch ihr habt es eilig, Ergebnisse zu erzielen, und wollt von der Dharma-Praxis nach Tagen oder Monaten bereits etwas zurück erhalten, etwas sollte sich ändern, eure Lage sollte sich irgendwie verbessern, sonst habt ihr kein Vertrauen mehr. Darin liegt die Schwierigkeit. Hegt ihr hingegen eine weitere Sichtweise und lasst die Dinge sich allmählich entwickeln, einfach mit Vertrauen in die langfristige Entwicklung, so wird alles wirklich gut, alles wird sich tatsächlich bessern und sich zum Positiven wenden. Wenn ihr zu sehr an schnellen Besserungen hängt, nur bezogen auf euer jetziges Leben und euren jetzigen Körper, liegt darin eine große Gefahr. Und ihr solltet euch daran erinnern, dass der Nutzen, den ihr sucht, nicht für euch selbst, sondern für andere ist, und ihr euch deshalb verbessern wollt, und nicht aus Eigennutz heraus. Gendun Rinpoche 1991    

Reflexionen über Karma – Das Gesetz von Tat und Wirkung (vom 14. Dalai Lama)

Karma bedeutet Handlung oder Tat. Es gibt zwei Hauptarten von Taten: weltliche, die in einem der sechs Daseinsbereiche heranreifen, und nicht-weltliche, die keine Wiedergeburt im Daseinskreislauf hervorrufen. Die Taten gewöhnlicher Wesen sind von der ersten Art, die Taten der Heiligen (ārya) sind von der zweiten Art.

Heilsame und unheilsame Taten

Unheilsam sind Taten, die als karmische Frucht Leid nach sich ziehen. Wie entsteht unheilsames Karma? Wenn man sich zum Beispiel ärgert und gereizt fühlt, erlebt man eine starke Anhaftung an das »Ich«. Man hat den Eindruck, dieses konventionell und abhängig existierende Selbst, das arbeitet, isst, lernt und stirbt, besäße eine wahre, unabhängige Existenz. Man verhält sich wie ein Mensch, der im Dunkeln ein Seil, das auf dem Boden liegt, mit einer Schlange verwechselt. Er fürchtet sich, weil er sich irrt, denn er sieht das Seil nicht als Seil, sondern fügt in seiner Vorstellung etwas hinzu, was nicht wirklich vorhanden ist. Was heute morgen geschah, ist Vergangenheit. Unser Geisteskontinuum bricht jedoch nicht ab, deshalb können wir uns an Vergangenes erinnern. Unzählige Arten heilsamen und unheilsamen Karmas sind in unserem Geist aufbewahrt. Haben wir in der Kindheit gelogen, so bleibt der Samen in uns und wird Frucht tragen, sobald seine Zeit gekommen ist – es sei denn, wir hätten die Wirkungen schon erfahren oder dieses Karma durch geeignete Mittel beseitigt.

Heilsam werden jene Taten genannt, die als karmische Frucht Glück hervorbringen. Wenn wir jemanden sehen, der einen Vogel töten will, so ruft das in uns Mitgefühl hervor. Mit dem Wunsch, das Leben des Vogels zu retten, entsteht heilsames geistiges Karma, das einen glückbringenden Eindruck in unserem Bewusstseinsstrom hinterlässt. Sollte die von Mitgefühl erfüllte Willensregung zu einer Handlung des Körpers oder der Rede führen, und würde daraufhin der Vogel befreit, so wäre die Kraft dieses heilsamen Karmas noch stärker. Das Ergebnis ist Glück für uns und andere. Mit dem Geist sammelt man schneller Karma an als mit körperlichen oder sprachlichen Taten. In einer einzigen Minute können viele Arten geistigen Karmas angesammelt werden. Wenn allerdings der Wunsch, jemandem zu schaden, so stark anwächst, da er sich in Handlungen des Körpers oder der Rede niederschlägt, ist die im Bewusstseinsstrom zurückbleibende schädliche Prägung um so tiefer. Diese Unwissenheit ist der Nährboden für alle Leidenschaften (Klesha); denn Hass, Gier und die anderen Verunreinigungen des Geistes entstehen daraus – in Abhängigkeit von wechselnden äußeren Reizen. Leidenschaften wecken zum Beispiel den Wunsch, anderen Menschen zu schaden. Wenn ein solcher Wunsch erwacht, wird eine geistige Tat, ein geistiges Karma, erzeugt. Die Tat hinterlässt einen Eindruck, einen Samen im Geisteskontinuum, der zur Reife gelangt, wenn die notwendigen Bedingungen gegeben sind.

 

Reflexionen über Samsara (vom 17. Karmapa)

Vielleicht ist dies eine kindliche Sichtweise, aber ich finde, dass die vier großen Ozeane dieses Planeten mit den vier Arten des Leidens der Lebewesen gleichgesetzt werden können: Geburt, Alter, Krankheit und Tod. Jedes Lebewesen dieser Welt wünscht sich Glück und möchte Leiden vermeiden. Wie aber können sie Glück erreichen? Durch echte Dharma-Praxis in all ihren unterschiedlichen Formen. Samsara bzw. der Kreislauf der Existenzen und Nirvana, seine Überwindung, sind nicht wie Orte, die geografisch weit voneinander entfernt liegen. Es sind zwei Geisteszustände. Samsara ist ein Abweichen von der Erkenntnis, eine verzerrte Sichtweise der Wirklichkeit, die den Geist negativen Gefühlen unterwirft, während das Nirvana ein Zustand innerer Freiheit ist, befreit von jeglichem konzeptuellen und emotionalen Hindernis. Alles, einschließlich des Nirvana, geht aus Ursachen und Bedingungen hervor. Um Glück zu finden, ist eine richtige Sicht der Natur des Geistes und der Welt unerlässlich. Wer sich in Bezug auf diese Natur irrt, kann sich nicht wandeln, um Befreiung zu erlangen. Das, was man unter »rechter Sicht« versteht, ist nicht abhängig vom Glauben oder davon, Anhänger einer bestimmten Glaubensrichtung zu sein, sondern beruht auf einer klaren Erkenntnis, zu der man dank einer konsequenten Untersuchung der Wirklichkeit gelangt. Diese Untersuchung ermöglicht es, den Glauben, dass die Dinge tatsächlich und aus sich heraus existieren, in der unsere verzerrte Weltsicht verwurzelt ist, abzulehnen und durch die richtige Sicht zu ersetzen. Sich die richtige Sicht anzueignen, bedeutet auch zu erkennen, dass die Natur der Buddhaschaft in unserem Geist vorhanden ist, – leuchtend klar und rein von jeglicher Verwirrung. Es heißt auch, den Finger auf das zu legen, was uns daran hindert, diese Natur wahrzunehmen, und so Methoden anzuwenden, um der Verwirrung entgegenzuwirken. Als Voraussetzung für eine echte Dharma-Praxis müssen wir zunächst Vertrauen und Hingabe entwickeln. Wenn diese beiden stark und ungekünstelt vorhanden sind, werden wir schließlich die Ebene des Erwachens oder Buddhaschaft erreichen. Es ist mein aufrichtiger Wunsch, dass dies für euch alle wahr werden möge.      

Die folgenden Interviews mit Kalu Rinpoche und Trungpa Rinpoche sind auf die Praxis der vier außergewöhnlichen vorbereitenden Übungen und ihre Bedeutung für heutige Schüler des Buddhismus ausgerichtet.

Tschögyam Trungpa Rinpoche : Jede Form von spiritueller Disziplin, eines handwerklichen oder pädagogischen Programms, hat ihre anfänglichen, mittleren und abschließenden Stufen. Die vier vorbereitenden Übungen (sngon-‚gro, wörtlich »voran-gehend«, Einleitung) stehen am Anfang der Disziplin des Vajrayana. Natürlich ist das Vajrayana nicht die erste, sondern die dritte Stufe buddhistischer Praxis, welcher Hinayana und Mahayana vorausgehen. Diejenigen aber, welche mit der Disziplin des Vajrayana beginnen, tun dies mit den vier vorbereitenden Übungen. Im Einklang mit der Tradition erfordert die Praxis dieser grundlegenden Übungen gründliche Vorbereitung. In Tibet mussten sich die Menschen in früheren Zeiten einer umfassenden, langwierigen Schulung unterziehen, ehe sie die vorbereitenden Übungen praktizieren konnten. Diese umfasste grundlegende Ausbildung von innerer Geistesruhe und Einsichts-Meditation (Tib. Shine und Lhaktong, Skt. Samatha und Vipassana) ebenso wie eine gewisse Schulung im Mahayana, wozu das formelle Ablegen des Bodhisattva-Gelübdes gehörte.

Ehe der Praktizierende mit einer Meditationssitzung beginnt, schließt er alle Ablenkungen aus. Er kann dann ein Abbild derjenigen Visualisation aufstellen, welche in dieser Praxis angewendet wird, beispielsweise eine bildliche Darstellung von Vajrasattva (Dorje Sempa), ein Bild des Zufluchtsbaumes usw. Die eigentliche Praxis der vier besonderen vorbereitenden Übungen bezieht den Praktizierenden in ein intensives Geschehen ein, das körperliche, verbale und geistige Handlungen vereinigt. Während er jeden Abschnitt der liturgischen Darstellung rezitiert, visualisiert er diejenige Szene, welche darin Beschreibung findet, denkt über die Bedeutung der Gebete nach, und führt die angegebenen rituellen Handlungen aus. Währenddessen versucht er, seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Praxis zu konzentrieren. Damit er die Praxis vervollständigt, muss er traditionell jede der vier besonderen vorbereitenden Übungen 111.111 mal ausführen. Da die Zufluchtnahme auch 111.111 volle Verneigungen umfasst, ist die Gesamtzahl 555.555. Die Praxis wird von daher als die »Fünfhunderttausend« bezeichnet. Für Menschen im Westen, die aufgrund ihrer Lebensumstände nicht volle Anzahl der Übungen ausführen können, hat der 17. Karmapa eine kürzere Version verfasst.  

Worin besteht die Funktion einer jeden der vier besonderen vorbereitenden Übungen?

Kalu Rinpoche: Allgemein gesprochen, entfernen die ersten 444.444 Übungen (das sind die Zufluchtnahme und die Verneigungen, die Vajrasattva-Praxis und das Mandala-Opfer) die Verdunkelungen und Hindernisse,  und bewirken die zwei Formen der Ansammlung. Der Guru-Yoga verleiht uns großen Glauben an unseren Guru, was dazu führt, dass wir seinen Segen empfangen und Mahamudra erreichen können. Trungpa Rinpoche: Die vier besonderen vorbereitenden Übungen sind ein Entwicklungsprozess, in dem jede Begebenheit ihren festen Platz hat. Man könnte sie zu den vier Dharmas von Gampopa in Beziehung setzen. Bei der Zufluchtnahme richtet sich unser Geist allmählich auf den Dharma; dies ist der erste Dharma bei Gampopa. Unsere Einstellung zu uns selbst und zu allem in unserem Leben wird sich ganz auf die Dharma-Praxis beziehen. So etwas wie eine Unterscheidung zwischen Dharma und Profanem gibt es nicht mehr.

Wenn wir mit der Praxis beginnen wollen, müssen wir uns zuerst dem Dharma vollständig »ausliefern«. Dies wird erreicht durch die Ausführung von Verneigungen – ein Vorgang der völligen Hingabe und eindeutigen Verpflichtung. Ich glaube nicht, dass jemand mit der Praxis des Vajrayana ohne dies beginnen kann. Wenn wir das Bodhisattva-Gelübde ablegen, treten wir tatsächlich die Reise auf dem Dharma-Weg an: Bodhicitta, das große Mitgefühl und der Pfad des Bodhisattva. Das bezieht sich auf den zweiten Dharma bei Gampopa, der besagt, dass unsere Dharma-Praxis auf dem Wege wirklich von Erfolg sein kann.

Wenn wir die Praxis des Vajrasattva ausführen, reinigen wir dasjenige, was wir aufgegeben haben, alle unsere Unreinheiten, Verfehlungen und negativen Handlungen von Körper, Rede, Geist, und gestehen sie ein. Alle Unreinheiten müssen gereinigt werden. Nach der Reinigung bleibt immer noch etwas übrig: die bloße Person, welche noch einen Hauch von Arroganz, ein Körnchen der Idee von dauerhafter Existenz in sich tragen könnte.

In der Praxis des Mandala geben wir tatsächlich alles hin, die bloße Person eingeschlossen. Diese – den Geber – bringen wir ebenso wie alle Opfergaben als Opfer dar. An diesem Punkt existieren wir gewissermaßen nicht mehr weiter. Zum Zeitpunkt, wenn wir zu der Praxis des Guru-Yoga gelangen, sind wir psychologisch dazu bereit, eine Identifikation mit unserem Guru einzugehen. In unserem Geist entsteht grenzenlose Hingabe. Diese steht in Beziehung zu dem dritten Dharma bei Gampopa, der besagt, dass die Verwirrung geklärt werden kann, wenn wir dem Pfade folgen. Die tatsächliche Umwandlung von Verwirrung in Weisheit, der vierte Dharma bei Gampopa, bedeutet das Empfangen von Abhishekas bzw. Einweihungen und die Ausübung verschiedener Sadhanas. Das ist der Hauptteil der Disziplin des Vajrayana, welcher viel später kommt.    

Zuflucht

„Mein Haus. Mein Auto. Mein Pferd. Meine Frau.“ – Egal, in welcher Reihenfolge, wir Menschen binden uns an Dinge und andere Menschen, in der Hoffnung, dass sie uns Sicherheit und Sinn geben.  Natürlich bietet mir ein Haus ein Dach über dem Kopf, es schützt mich und ich kann mich darin sicher und geborgen fühlen. Und mein Auto bringt mich (je nachdem, wie gut ich fahre) sicher von einem Ort zum anderen. Über Pferde kann ich jetzt nicht viel sagen. Aber für viele Menschen ist das Haustier, das sie betreuen und lieben, ganz besonders wichtig und es bietet ihnen einen Halt im Leben. Ganz zu schweigen von einem Partner, mit dem wir gern unser Leben teilen wollen und von dem wir erwarten, dass er in allen Lebenslagen zu uns hält und für uns da ist – so wie wir das auch gern für ihn oder sie tun möchten. Aber sind Haus, Auto, Haustier, Partner bzw. Partnerin oder Familie wirklich eine Zuflucht, die bleibt und nicht vergeht?  Geht mir das Geld aus, ist es auch bald aus mit dem Schutz, den mir mein Haus bietet. Vielleicht muss ich in eine kleine Wohnung umziehen. Und nicht selten sieht man auch Menschen auf den Straßen, die gar kein Dach über dem Kopf haben – sie haben diese Zuflucht verloren. Und das kann jedem von uns genauso gehen, ob wir das wahrhaben wollen oder nicht.  Neulich bin ich mit meinem Auto auf der A8 havariert. Glücklicherweise ist niemandem etwas passiert, weder mir noch anderen Verkehrsteilnehmern und auch das Auto hat außer einem kaputten Kupplungspedal keine Probleme. Aber soviel zum Schutz, den wir in einer Ansammlung von technischen Gerätschaften und Blech suchen. Wenn das Auto auf dem Standstreifen der Autobahn und man selbst schlotternd in Regen und Matsch daneben steht, wird einem ganz schön schnell klar, dass das Auto nichts ist, auf das man setzen sollte, wenn es um Zuflucht geht.

Wie sieht es mit anderen Menschen aus? Diese können uns doch anleiten, uns Halt und Schutz sein, oder? Meine Familie war mir immer ein Halt, meine Eltern waren – auf ihre eigene Art – sehr gute Ratgeber, meine Freunde sind ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Dennoch hat jeder von uns schon einmal Freunde, Verwandte, geliebte Menschen verloren. Das menschliche Leben ist so verletzlich wie eine Seifenblase. Und wenn wir Zuflucht in einem bestimmten Menschen gesucht haben, verlieren wir nicht nur diesen Menschen, wenn er stirbt oder sich auch einfach nur von uns abwendet. Wir verlieren auch den Schutz, den wir uns von diesem einen Menschen erwartet haben. Möglicherweise fühlen wir uns dann noch viel verletzlicher und zielloser als zuvor. Die Sicherheit, die Menschen einem bieten können, ist doch nur relativ: Solange sie für uns da sind oder unsere Beziehung unverändert ist, mögen sie uns als Zuflucht erscheinen. Sind sie nicht mehr da, schwinden auch die Sicherheit und der Schutz, die wir mit ihnen verbunden haben. Worin sollen wir also Zuflucht suchen?

Die einzige Zuflucht, die Sinn ergibt, ist die Zuflucht zu Buddha. Der Grund, warum das so ist, liegt darin, dass Buddha in uns allen unveränderlich existiert. Wir alle haben die Buddhanatur in uns und damit das Potenzial, diese zu verwirklichen. Haben wir uns erst einmal auf den Weg begeben, dieses Potenzial mithilfe des Dharma zu entdecken und zu verwirklichen, wird uns immer deutlicher, dass all die weltlichen Dinge, zu denen wir bisher Zuflucht genommen haben, vergänglich und wandelbar sind. Wenn wir unser Herz an sie hängen, bleiben wir für immer im Kreislauf des Leidens gefangen. Befreien können wir uns daraus nur, wenn wir Zuflucht bei etwas suchen, das selbst schon frei ist – und das ist Buddha. Vor zweieinhalb Wochen haben wir in einer (corona-konformen!) Zeremonie im Samye Dzong Kirchheim eine Art vorläufige Zuflucht genommen, da alle Lehrer im Moment unerreichbar sind. Wir haben mit dieser Zufluchtnahme gemeinsam den ersten Schritt getan und uns zusammen auf den Weg gemacht, den wir nun Stück für Stück weitergehen wollen. Vielen herzlichen Dank, liebe Ani Semchi, dass Du uns das ermöglicht hast! (Sonja Molitor)    

Zufluchtnahme – aus Das Licht der Gewissheit (S. 89-93)

In dieser Welt suchen wir wie von selbst nach jemandem, der uns Schutz geben oder uns Zuflucht vor den Ursachen von Angst und Sorge, wie beispielsweise Krankheit usw., gewähren kann. Wir, die wir von zahllosen Ängsten in Anspruch genommen werden, welche uns während dieses Lebens, in zukünftigen Leben und im Bardo quälen, können leicht für immer im Ozean der Leiden des Existenzkreislaufes versinken. Weder unser Vater, unsere Mutter, Verwandte, Freunde, machtvolle Gottheiten, Nagas noch vergleichbare Wesen sind dazu fähig, dass sie uns Zuflucht vor den Leiden des Existenzkreislaufes gewähren – noch sind wir selbst dazu in der Lage, dieses Leiden zu vertreiben. Wenn wir nicht eine (wirksame Quelle der Zuflucht) finden, werden wir äußerst hilflos sein. 

Nur die Kostbarkeiten haben die Fähigkeit, dass sie uns vor Samsara erretten. Nur diejenigen, welche sich selbst retten können, werden andere zu retten vermögen. Die sechs Objekte der Zufluchtnahme setzen sich zusammen aus den Drei Juwelen und den Drei Wurzeln. Die Drei Juwelen sind Buddha, Dharma und Sangha, zu welchen das Mantrayana die Drei Wurzeln hinzufügt: 

1. Der Guru ist die Wurzel für allen Segen [Segen: Vorgang, mit dem ein Individuum einiges von seinem angesammelten Verdienst in den „Seinsstrom“ eines anderen hineinbringt].

2. Der Yidam ist die Wurzel für alle Siddhis [Siddhi: Fähigkeit oder Kraft]. 3. Die Dakinis und Dharmapalas sind die Wurzel für alle Buddha-Aktivität [Buddha-Aktivität: Anwendung der Siddhis; für gewöhnliche Menschen handelt es sich dabei um religiöse Betätigung mit Körper, Rede und Geist].

[…] Denke […] ständig an die Qualitäten der Kostbarkeiten; meditiere voller Glauben und Eifer. Sammle keine schlechten Taten dadurch an, dass du Unsinn redest oder andere verleumdest. Bezeuge voller Glauben und Hingabe den Symbolen [Statue oder Bild von Buddha, Buch mit seinen Lehren, Gefäß für Reliquien] von (Buddhas) Körper, Rede und Geist und ebenso denjenigen Menschen Verehrung, welche die gelben (Mönchs-) Gewänder tragen; dabei stellst du sie dir als die tatsächlichen Kostbarkeiten vor. Bringe alte Bildwerke wieder in Ordnung und fertige neue an. Lege sie nicht auf den blanken Boden oder an einen Platz, wo sie durcheinandergeraten können. Es ist undenkbar, dass mit einem solchen Bild für Nahrung Handel getrieben oder dass es gegen Bargeld verpfändet wird. Es ist falsch, wenn man selbst über ein Stückchen eines Tsa-tsa [Stupas oder Figuren von Buddhas oder anderen Erleuchteten in Miniaturgröße] oder einen einzigen Buchstaben läuft. 

[…] Was auch immer dir begegnet – Glück, Unglück, Ruhm oder Herabsetzung –, denke voller tiefen Vertrauens allein an die Kostbarkeiten. Lass dich nicht entmutigen. Kurz gesagt: Hast du einmal Zuflucht zum Buddha genommen, (1.) vertraue nicht auf weltliche Götter. Hast Du einmal Zuflucht zum Dharma genommen, (2.) weise Gedanken und Taten zurück, die für fühlende Wesen nachteilig sind. Hast Du einmal Zuflucht zum Sangha genommen, (3.) lass dich nicht mit Häretikern und ihren Gleichgesinnten ein. Wird die Zufluchtnahme richtig ausgeführt, so schließt sie die meisten Übungen auf dem stufenweisen Pfad zur Erleuchtung innerhalb des Sutrayana und des Mantrayana ein. […]

Wenn du die Zufluchtnahme stetig praktizierst und sie deine Gedanken niemals verlässt, wirst du zu einem Buddhisten. Deine kleineren Vergehen werden gereinigt; deine größeren nehmen ab. Menschliche und nicht-menschliche Hindernisse können keinen Eindruck auf dich machen. Deine Gelübde, Studien und andere nützliche Tätigkeiten werden zunehmend fruchtbarer. Wenn du den Kostbarkeiten wirklich vertraust, wirst du selbst dann nicht in den niederen Bereichen geboren werden, wenn du dich in diese Richtung gezogen fühlst.  

Trungpa, Rinpoche zu Verneigungen

Die Verneigungen kamen ursprünglich aus der indischen Tradition, wo man eine Geste der Verehrung gegen­über jemandem ausführt, der höher steht als man selbst. Die Vor­stellung bei den Verneigungen ist die, dass wir jemanden gefunden haben, der es vollkommen wert ist, dass wir uns ihm ganz öffnen. Daher fallen wir auf den Boden nieder und berühren seine Füße mit unserer Stirn. Dann entdecken wir, dass man noch mehr tun kann: Das sind die sogenannten neunfachen Verneigungen, bei denen neun Glieder unseres Körpers ganz den Boden berühren. Diese letztliche Vorstellung der Verneigungen ist weitaus mehr entwickelt und eindeutig festgelegt; auf der Ebene des Körpers haben wir hier wirklich etwas zu tun.    

Erklärungen zur Zuflucht

Am Anfang einer Sadhana nehmen wir Zuflucht und erzeugen Bodhicitta. Der Vorgang der Zufluchtnahme klärt für uns, wer unsere geistigen Führer sind, wer uns unsere spirituelle Richtung weist, und welches unser spirituelles Ziel ist. Ohne diese Klarheit ist es schwierig, eine spirituelle Praxis aufrechtzuerhalten und ihre Tiefen zu ergründen.  Indem wir die altruistische Absicht von Bodhicitta erzeugen, wird es uns möglich zu erkennen, weshalb wir diesem Pfad folgen. Dies ist ebenfalls wichtig, da das Ergebnis unserer spirituellen Praxis von der Motivation abhängt, mit der wir sie ausführen.  Zuflucht nehmen bedeutet, dass wir uns, wenn es um unsere spirituelle Führung geht, Buddha, Dharma und Sangha anvertrauen. Es beinhaltet, dass wir die buddhistischen Lehren analysiert haben, von ihrer Richtigkeit überzeugt sind und glauben, dass wir – wenn wir sie befolgen — unser gewünschtes Ziel erreichen: Befreiung oder Erleuchtung. Buddhist werden hat diese Bedeutung.  Als Anhänger des Buddha-Pfads sollten wir keine anderen Religionen kritisieren oder allgemeine intolerante Äußerungen machen. Die Existenz vieler Religionen in der Welt ist nicht nur praktisch, sondern auch von Vorteil. Jede Religion soll ihren Anhängern helfen, ethische Disziplin und ein gütiges Herz zu entwickeln Deshalb wird jeder, der die guten Lehren seiner Tradition wahrhaftig ausführt, zum Nutzen und zum Wohlergehen in der Welt beitragen. Da unterschiedliche Erklärungen, Symboliken und Übungen verschiedenen Menschen nutzen, ermöglicht die vorhandene Vielfalt an spirituellen Wegen, jedem Menschen zu wählen, was am besten zu ihm passt.  Menschen in Kategorien einzuteilen – „Er ist Christ (Buddhist, Jude, Moslem, Hindu oder glaubt an gar nichts)“ – und dabei zu glauben, wir verstünden sie deshalb, ist dumm von uns. Nicht jeder, der sich mit einer bestimmten Religion identifiziert, hat dieselbe Sichtweise oder praktiziert auf dieselbe Art. Ob wir Erleuchtung erlangen, hängt nicht davon ab, dass wir uns als „Buddhisten“ bezeichnen. Es hängt davon ab, was wir in unserem Herzen glauben, und wie wir uns darin üben, unseren Geist zu verändern. Jeder Mensch, der den Entschluss, sich vom Daseinskreislauf zu befreien, das altruistische Streben nach Erleuchtung und die Weisheit, die die Leerheit erkennt, entwickelt, kann zu einem Bodhisattva oder Buddha werden. Es spielt dabei keine Rolle, als was er sich selbst bezeichnet. Um beurteilen zu können, ob seine Erkenntnisse korrekt sind oder nicht, sollten wir darauf achten, was ein Mensch glaubt und was er praktiziert. Deshalb ist es wichtig, unterscheidende Weisheit, Achtsamkeit und Toleranz zu entwickeln.   (Thubten Chodron)    

Über Vajrasattva oder Dorje Sempa Praxis

Dies ist eine Praxis des Vajrayana-Buddhismus, das heißt, sie beinhaltet Visualisation und Mantra-Rezitation. Normalerweise brauchen Praktizierende Zuflucht, Einweihung, mündliche Authorisierung und Erklärungen der Praxis, um sie ausüben zu können. Aber auf Anregung von Lama Yeshe Rinpoche schließen wir sie seit einiger Zeit in die fortlaufenden Meditationsgruppen mit ein. Außerdem ist sie Teil der meisten Studienkurse oder der Ngondro-Retreats, die im Zentrum stattfinden. Was Lama Yeshe Rinpoche aber auf jeden Fall rät, ist so bald wie möglich, eine Einweihung zu erhalten. Gelegenheit dazu bestand im letzten Oktober in Kirchheim beim Besuch von Tulku Damcho Dawa. Wir hoffen, dass er uns regelmäßig weiterhin besuchen wird.

Dorje Sempa repräsentiert die kristallisierte, unzerstörbare Energie der Erleuchtung, die heilende Kraft und die Reinheit aller Buddhas. Genau diese Kraft zur Reinheit und Heilung steckt in uns, ist jedoch durch negative Gewohnheiten und   Emotionen blockiert. Durch die Praxis von Dorje Sempa arbeiten wir daran, diese Schleier und Behinderungen und deren negative Folgen aufzulösen. Dorje Sempa ist mit die kraftvollste und vielleicht meistpraktizierte Methode der Reinigung von Negativität und allem was uns in unserer Weiterentwicklung hindert.   Wenn wir auf dem spirituellen Weg Fortschritte machen wollen, ist es wichtig, an den in diesem und vielen früheren Leben angesammelten negativen Taten und den geistigen und körperlichen Hindernissen zu arbeiten. Im Moment ist unser Geist zu sehr erfüllt von negativen, unheilsamen Gewohnheiten und den Geistesgiften wie Anhaftung, Aggression, Stolz, Eifersucht, Unwissenheit. Dorje Sempa hat die besondere, unvergleichliche Kraft, die Folgen des Karmas, das wir durch die Geistesgifte seit anfangsloser Zeit geschaffen haben und ständig neu schaffen, auszulöschen.   Die Reinigung von allen negativen Eindrücken im Geist findet statt durch die vier Kräfte:

  • das Bedauern der begangenen negativen Handlung, egal ob körperlich, sprachlich oder im Geist
  • Unterstützende Einstellung und Hilfen wie verschiedene Gelübde, Versprechen – der Visualisation und Rezitation des Mantras von Dorje Sempa, entweder des langen 100-Silben-Mantras oder des 6-Silben-Mantras – Beschluss, die negativen Handlungen nicht zu wiederholen.

Es wird gesagt, dass Taten völlig gereinigt werden können, wenn wir diese vier Punkte aufrichtig und mit voller Konzentration, ohne Ablenkung praktizieren.

Die Vajrasattva oder Dorje Sempa Reinigungspraxis (Ken Holmes)

Auf allen Ebenen des Dharma ist die Reinigung von entscheidender Bedeutung. Es bildet die Hälfte des Reinigungs-Ansammlungs-Paares des Ngondros. In der Alltagssprache könnte man sagen, dass wir das, was in uns schädlich ist, loswerden, und das entwickeln müssen, was hilfreich ist. In allen Dharma-Traditionen sind die vier Reinigungskräfte die wesentliche Methode, um sowohl vergangene Missetaten zu reinigen, als auch unseren Geist so zu verändern, dass er nicht mehr in die falsche Richtung irrt. Im Vajrayana vereinen sich diese Kräfte der Reinigung, und nehmen als Praxis des Vajrasattva Gestalt an.

Von den vier Kräften der Dorje-Sempa Reinigungspraxis sind zwei besonders mächtig:

– Die Kraft des Heilmittels wird durch die Natur der Vajrayana-Meditation in ihrer höchsten Stufe als höchstes Yoga-Tantra bewirkt. Die Gottheit ist die Vereinigung von Leerheit und Manifestation. Von allen Heilmitteln ist das Heilmittel der Leerheit das wirksamste.

– Die Kraft der Unterstützung wird durch die beiden mächtigsten Unterstützungen bewirkt: Bodhicitta und absolute Wahrheit (Leerheit). Vajrasattva ist die Verkörperung, die Gegenwart von beidem, und die Praxis ist eine Öffnung für die höchste Wahrheit als tiefste Quelle der Reinigung. Es besteht ein sehr dringender Bedarf an intensiver Reinigung, wenn wir uns auf Mahamudra vorbereiten. Im Allgemeinen beschleunigt jeder Dharma-Fortschritt die Reifung des Karma. Das gute Karma, das wir aus früheren Leben haben, bietet die positiven Möglichkeiten des Dharma. Wir treffen auf authentische Lehrer und Lehren. Das Üben der Lehren magnetisiert jedoch automatisch das wichtigste negative Karma, das wir in uns tragen, da es ein echtes Hindernis für den Fortschritt darstellt, und bearbeitet werden muss.

In einer detaillierteren Lehre über die Natur der fünf Stufen des Weges zur Erleuchtung entdecken wir, dass ein Fortschritt über bestimmte Punkte hinaus unmöglich ist, während bestimmte Arten von schädlichem Karma, die noch durchlebt werden müssen, im Strom des Bewusstseins verbleiben. Zum Beispiel muss an einem Punkt alles Karma, das zum Tod führen könnte, behandelt werden, bevor sich die nächste Stufe des Pfades öffnen kann. Mahamudra ist die mächtigste aller Praktiken und wir sollten erwarten, dass es das Leben „interessant“ macht, indem durch diese Praxis viele Dinge beschleunigt werden. In dieser Hinsicht ist die Anwesenheit eines erleuchteten Wesens in unserem Leben wichtig, d.h. durch seine Anleitung kann ein Guru in unserem Leben einen erheblichen Einfluss darauf haben, die Reihenfolge der Reifung unserer Karmas aus früheren Leben neu zu ordnen.

Dies geschieht automatisch und zum Besten. Diese Fähigkeit ist eine der zehn Kräfte eines erleuchteten Wesens.   Die Haupthindernisse, die verhindern, dass all die außergewöhnlichen Erfahrungen und Erkenntnisse des tiefgreifenden Pfades entstehen, sind das schädliche Karma, das wir mit uns tragen, die verschiedenen mentalen Verdunkelungen und die Kraft der Gewohnheit. „Verschleierungen“ bedeutet die negativen Gewohnheiten und die dualistische konzeptuelle Aktivität, die die Buddhanatur verdunkeln. So wie die Oberfläche des Spiegels gereinigt werden muss, damit Dinge darin reflektiert werden können, müssen auch unsere Verdunkelungen beseitigt werden, damit die Verwirklichung wie eine Reflektion im Spiegel der universellen Basis erscheint. Der Buddha lehrte unzählige Reinigungsmethoden für diesen Zweck, aber die Beste von allen ist die Meditation und Rezitation von Vajrasattva.

Bei der Vajrasattva-Meditation sind zwei Faktoren entscheidend:

1. Zu lernen, eine absolut klare, eins-gerichtete Konzentration auf jedes Detail der Hauptvisualisierung aufrechtzuerhalten. Was dies in der Praxis bedeutet, wird deutlich, wenn jemand die vollständigen Anweisungen erhält.

2. Zu lernen, absoluten Glauben an den Prozess, und darüber hinaus, an die Gegenwärtigkeit der universellen Reinheit in Form des Gurus über dem eigenen Kopf, zu entwickeln. Obwohl die Zufluchts- oder Niederwerfungspraxis einen gewissen Grad an Visualisierung beinhaltet, ist die Vajrasattva-Praxis das erste Mal auf dem Mahamudra-Pfad, in dem es eine Eins-zu-Eins-Beziehung zum Guru gibt, die in einer erleuchteten Form (d.h. als Gottheit) visualisiert wird, in diesem Fall Vajrasattva. Wir können diese Praxis nicht Sadhana oder Puja nennen, da ihre Struktur dafür zu einfach ist. Trotzdem hat es viel von der Qualität einer Sadhana. Der Kern der Praxis ist die Rezitation von hunderttausend Vajrasattva-Mantras. Das Vajrasattva-Mantra ist bekannt als das Mantra mit hundert Silben aufgrund der Anzahl der Silben, die sich auf die hundert wichtigsten friedlichen und zornigen Gottheiten beziehen, aus denen es besteht. Es wäre nicht angebracht, das Mantra oder die Praxis mehr als dies zu diskutieren, da einige Leser möglicherweise keine Ermächtigung oder die grundlegenden Anweisungen erhalten haben.