Beiträge von S.H. XIV Dalai Lama
Dalai Lama zum Tag der Erde
22. April 2020
An diesem 50. Jahrestag des Tages der Erde steht unser Planet vor einer der größten Herausforderungen für die Gesundheit und das Wohlergehen seiner Menschen. Inmitten dieser Herausforderung werden wir an den Wert des Mitgefühls und der gegenseitigen Unterstützung erinnert. Ob uns das gefällt oder nicht: wir sind auf dieser Erde als Teil einer großen Familie geboren worden. Reich oder arm, gebildet oder ungebildet, der einen oder anderen Nation zugehörig: letztlich ist jeder von uns ein Mensch wie jeder andere. Darüber hinaus haben wir alle das gleiche Recht, nach Glück zu streben und Leid zu vermeiden. Wenn wir erkennen, dass alle Lebewesen in dieser Hinsicht gleich sind, fühlen wir automatisch Empathie und Nähe gegenüber anderen. Daraus erwächst ein echtes Gefühl universeller Verantwortung: der Wunsch, anderen aktiv bei der Bewältigung ihrer Probleme zu helfen.
Unsere Mutter Erde lehrt uns eine Lektion in universeller Verantwortung. Dieser blaue Planet ist ein wunderbarer Lebensraum. Sein Leben ist unser Leben und seine Zukunft ist unsere Zukunft. In der Tat ist die Erde für uns alle wie eine Mutter und als ihre Kinder sind wir von ihr abhängig. Angesichts der globalen Probleme, die wir durchleben, ist es wichtig, dass wir gemeinsam handeln.
Mir ist die Bedeutung von Umweltfragen erst nach meiner Flucht aus Tibet im Jahr 1959 bewusst geworden. In Tibet haben wir die Umwelt immer als rein betrachtetet und wenn wir zum Beispiel einen Fluss sahen, machten wir uns keine Sorgen darüber, ob es sicher war, daraus zu trinken. Leider ist heutzutage allein die Verfügbarkeit von sauberem Trinkwasser ein großes Problem in der ganzen Welt. Wir müssen dafür sorgen, dass die Kranken und das engagierte medizinischen Personal auf der ganzen Welt Zugang zur Erfüllung der grundlegenden Bedürfnisse von sauberem Wasser und ausreichenden sanitären Einrichtungen haben, um die unkontrollierte Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern.
Hygiene ist eine der Grundlagen einer effektiven Gesundheitsversorgung. Dauerhafter Zugang zu gut ausgerüsteten und mit Mitarbeitern ausgestatteten Gesundheitseinrichtungen wird helfen, die Herausforderungen der gegenwärtigen Pandemie, die unseren Planeten befallen hat, zu meistern, und wird uns eine starke Abwehr gegen zukünftige Krisensituationen im öffentlichen Gesundheitswesen bieten. Meines Wissens handelt es sich hierbei genau um die Vorgaben, die in den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen angeführt werden, in denen es um Herausforderungen der globalen Gesundheit geht.
Da wir diese Krise gemeinsam erleben, ist es unerlässlich, dass wir in einem Geist der Solidarität und Zusammenarbeit handeln, um die dringlichsten Bedürfnisse, insbesondere der weniger privilegierten Brüder und Schwestern auf der ganzen Welt, zu sichern. Ich hoffe und bete, dass in der kommenden Zeit jeder von uns alles in seiner Macht stehende tun wird, um eine glücklichere und gesündere Welt zu schaffen.
Aus einer Botschaft des Dalai Lama zum Thema „Mitgefühl“
Mitgefühl entwickeln
Einige meiner Freunde sagen, dass Liebe und Mitgefühl zwar wunderbar und gut sind, aber nicht wirklich relevant. Sie sagen, unsere Welt sei kein Ort, an dem solche Werte viel Einfluss oder Macht hätten. Ärger und Wut, behaupten sie, seien ein solch wesentlicher Bestandteil der menschlichen Natur, dass die Menschheit immer von ihnen dominiert werden wird.
Das glaube ich nicht. Wir Menschen existieren seit etwa hunderttausend Jahren in unserer jetzigen Form. Ich glaube, dass die Bevölkerungszahl zurückgegangen wäre, wenn der menschliche Geist in dieser Zeit überwiegend von Wut und Hass kontrolliert worden wäre. Doch trotz der vielen Kriege leben heute mehr Menschen auf der Erde als je zuvor. Das ist für mich ein klarer Hinweis darauf, dass Liebe und Mitgefühl in unserer Welt vorherrschen. Deshalb erscheinen unerfreuliche Ereignisse auch immer in den Nachrichten, während Begebenheiten, die mit Mitgefühl zu tun haben so sehr Teil unseres Alltags sind, dass sie für selbstverständlich betrachtet und weitgehend ignoriert werden.
Bisher habe ich nur über die Vorzüge gesprochen, die das Mitgefühl auf der mentalen Ebene hat. Allerdings trägt es auch viel zu unserer körperlichen Gesundheit bei. Aufgrund meiner persönlichen Erfahrung kann ich sagen, dass geistige Stabilität und körperliches Wohlbefinden direkt miteinander in Verbindung stehen. Zweifellos führt ein aufgewühlter, wütender Geist zu einer höheren Anfälligkeit für Krankheiten. Sind wir allerdings ruhig und ist unser Geist mit positiven Gedanken beschäftigt, wird auch unser Körper nicht so schnell krank. Es stimmt allerdings auch, dass uns allen eine gewisse Selbstzentriertheit innewohnt, die uns daran hindert, andere zu lieben.
Wenn wir also nach dem wahren Glück suchen, das nur durch einen ruhigen Geist erreicht werden kann, und wenn ein solcher Geist nur durch eine mitfühlende Einstellung entstehen kann, wie können wir diese erreichen? Ganz offensichtlich reicht es nicht aus, festzustellen, wie toll Mitgefühl ist! Wir müssen uns anstrengen, um es zu entwickeln; wir müssen jede Begebenheit unseres täglichen Lebens dafür nutzen, unser Denken und unser Verhalten umzuwandeln.
Zuallererst ist es wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, was mit Mitgefühl eigentlich genau gemeint ist. Viele Arten des Mitgefühls sind vermischt mit Gier und Anhaftung. So ist zum Beispiel die Liebe, die Eltern für ihr Kind verspüren oft eng mit ihren eigenen emotionalen Bedürfnissen verwoben. Es ist also kein reines Mitgefühl. Genauso ist es beim Heiraten, bei der Liebe zwischen Mann und Frau, wenn, vor allem am Anfang, die Partner den eigentlichen Charakter ihres Gegenübers noch gar nicht so gut kennen: Oft ist da mehr Anhaftung als wahre Liebe im Spiel. Unser Verlangen kann so groß sein, dass die Person, zu der wir uns hingezogen fühlen, uns gut erscheint, obwohl sie oder er in Wirklichkeit sehr negativ ist. Außerdem neigen wir dazu, kleine positive Eigenschaften überzubewerten. Wenn sich das Verhalten eines Partners dann ändert, ist der andere oft enttäuscht und verhält sich ebenfalls anders.
Daran kann man erkennen, dass die Liebe stärker aus einem emotionalen Bedürfnis heraus entstanden ist als aus dem ernsthaften Wunsch, für das Wohlergehen des Partners zu sorgen. Wahres Mitgefühl ist nicht nur einfach eine emotionale Reaktion, sondern eine starke, auf Vernunft basierende Verpflichtung. Deshalb kann eine wahrhaft mitfühlende Einstellung gegenüber anderen auch nicht erschüttert werden, wenn diese sich negativ verhalten. Eine solche Art von Mitgefühl zu entwickeln ist natürlich nicht einfach!
Lassen Sie uns zunächst die folgenden Fakten berücksichtigen: Ob jemand hübsch und nett oder unattraktiv und weniger sympathisch ist, letztlich ist er ein Mensch wie Du und ich. Genau wie wir strebt er nach Glück und möchte kein Leid erfahren. Und er hat das gleiche Recht, Leiden zu überwinden und glücklich zu werden, wie wir selbst. Wenn man nun erkannt hat, dass alle Wesen nach Glück streben und auch das Recht haben, es zu erreichen, fühlt man sich ihnen automatisch nah und verspürt Mitgefühl für sie. Indem man seinen Geist an diese Art des universellen Altruismus gewöhnt, entwickelt man ein Gefühl der Verantwortung für andere – den Wunsch, ihnen aktiv dabei zu helfen, ihre Probleme zu lösen. Dieser Wunsch ist nicht selektiv; er bezieht sich gleichermaßen auf alle. Solange es Menschen sind, die genau wie wir selbst Freude und Schmerz empfinden, gibt es keinen logischen Grund dafür, Unterschiede zu machen oder seine wohlwollende Einstellung zu ändern, wenn sich die anderen schlecht verhalten.
Ich möchte betonen, dass Sie durchaus dazu in der Lage sind, diese Art von Mitgefühl zu entwickeln, wenn Sie Geduld haben und sich Zeit nehmen. Sicherlich behindert unsere Selbstzentriertheit, unsere starke Anhaftung an das Gefühl, ein unabhängiges, aus sich selbst heraus existierendes Selbst zu besitzen, ganz fundamental die Ausbildung unseres Mitgefühls. Wahres Mitgefühl kann man tatsächlich nur entwickeln, wenn man dieses Greifen nach dem Selbst aufgibt. Wir können aber zunächst mit kleinen Schritten beginnen.
Wie sollen wir anfangen?
Wir sollten zunächst die größten Widersacher des Mitgefühls beseitigen: Wut und Hass. Wie wir alle wissen, sind dies extrem machtvolle Emotionen, die unseren gesamten Geist einnehmen können. Wir können sie aber unter Kontrolle bringen. Wenn wir ihnen freien Lauf lassen, peinigen diese negativen Gefühle uns – ohne dass sie sich selbst dafür anstrengen müssten! – und behindern uns in unserem Streben nach dem Glück, das durch einen liebenden Geist entsteht. Deshalb sollten wir zu Beginn erst einmal darüber nachdenken, ob Wut überhaupt für irgendetwas nützlich ist.
Manchmal, wenn wir in einer schwierigen Situation entmutigt sind, scheint es, als könne uns die Wut helfen, weil sie uns mehr Energie, Vertrauen und Entschlossenheit verleiht. Allerdings sollten wir an dieser Stelle unseren Geisteszustand genau erforschen. Es stimmt zwar, dass Wut Energie freisetzt, aber wenn wir genau untersuchen, was für eine Art Energie das eigentlich ist, werden wir feststellen, dass sie unberechenbar ist: Wir können nicht sicher sein, ob sie zu einem guten oder schlechten Ergebnis führt.
Das liegt daran, dass die Wut eine Hauptfunktion unseres Gehirns ausschaltet: die rationale Ebene. Die Energie, die aus Wut hervorgeht, ist deshalb so gut wie nie zu steuern. Sie kann zu einem sehr destruktiven Verhalten führen, das großen Schaden anrichtet. Nimmt die Wut überhand, wird man regelrecht wild und schadet dadurch sich und anderen. Es ist allerdings möglich, eine genauso kraftvolle, aber viel leichter steuerbare Art von Energie zu entwickeln, die wir in schwierigen Situationen einsetzen können. Diese kontrollierbare Energie ist nicht nur das Resultat einer mitfühlenden Einstellung, sondern auch das Ergebnis von Vernunft und Geduld, den stärksten Gegenmitteln gegen die Wut. Leider unterliegen viele Menschen dem Irrglauben, dass diese beiden Eigenschaften ein Zeichen für Schwäche sind.
Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall, nämlich dass sie in Wirklichkeit ein Ausdruck innerer Stärke sind. Mitgefühl ist von Natur aus sanft und friedlich, aber sehr kraftvoll. Menschen, die leicht die Geduld verlieren und unsicher sind, sind nicht stabil. Deshalb ist für mich Wut ein direktes Zeichen von Schwäche. Wenn ein neues Problem auftaucht, sollten Sie bescheiden und aufrichtig bleiben, und um ein faires Ergebnis bemüht sein. Natürlich können andere versuchen, Sie auszunützen. Wenn ihre ruhige Haltung nur ungerechtfertigte Aggressionen auslöst, dann bleiben Sie standhaft. Dies sollte allerdings mit Mitgefühl geschehen.
Wenn es nötig ist, ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen und starke Gegenmaßnahmen zu ergreifen, dann tun Sie das ohne Ärger oder Übelwollen. Sie sollten erkennen, dass, selbst wenn es so aussieht als fügten Ihnen Ihre Widersacher Schaden zu, diese sich letztlich durch ihr destruktives Handeln nur selbst schaden. Um Ihrem egoistischen Impuls nach Vergeltung entgegenzuwirken, sollten Sie sich daran erinnern, Mitgefühl zu praktizieren und die Verantwortung zu übernehmen, ihrem Gegenüber dabei zu helfen, dass es nicht unter den Folgen seiner Handlungen leiden muss. Dadurch dass Sie sich mit einem ruhigen Geist dafür entscheiden, welche Maßnahmen Sie ergreifen, sind diese besonders wirksam, zielgerichtet und kraftvoll. Rache, die aus blinder Wut verübt wird, führt selten zum Ziel.
Quelle: Die offizielle Webseite des Büros von Seiner Heiligkeit dem 14. Dalai Lama
Die Umwelt
S. H. 14. Dalai Lama
Für einen Bereich haben die Bildungsinstitutionen und die Medien meiner Meinung nach eine besondere Verantwortung: für unsere Umwelt. Dabei geht es weniger um Bewertungen wie richtig oder falsch, sondern einfach um die Frage, wie wir überleben wollen. Die Natur ist unsere Heimat. Sie ist nicht unbedingt heilig. Wir leben einfach in ihr. Deshalb müssen wir uns um sie kümmern. Das ist gesunder Menschenverstand.
Erst vor kurzem haben unsere Bevölkerung und die Macht von Wissenschaft und Technik so stark zugenommen, dass sie einen direkten Einfluss auf die Umwelt haben. Anders ausgedrückt: Bisher hat Mutter Erde es noch ertragen können, dass wir so achtlos mit ihr umgegangen sind. Jetzt ist allerdings ein Punkt erreicht, an dem sie unser Verhalten nicht mehr stillschweigend hinnehmen kann. Die Probleme, die durch Umweltkatastrophen verursacht werden, kann man als ihre Antwort auf unser verantwortungsloses Handeln begreifen. Sie warnt uns, dass auch ihre Toleranz irgendwann ein Ende hat.
Wir müssen unbedingt Herstellungsprozesse entwickeln, die die Umwelt nicht beeinträchtigen. Wir müssen unseren Verbrauch von Holz und anderen begrenzt verfügbaren natürlichen Rohstoffen verringern. Ich bin auf diesem Gebiet kein Experte, und ich kann keine Vorschläge machen, wie dieses Vorhaben umzusetzen ist. Ich weiß nur, dass es möglich ist, wenn die nötige Entschlossenheit vorhanden ist. Ich erinnere mich zum Beispiel, wie ich bei einem Besuch in Stockholm vor einigen Jahren hörte, dass zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder Fische in den Fluss zurückgekehrt waren, der durch die Stadt fließt. Davor hatte es aufgrund Verschmutzung durch Industrieabwässer lange Zeit keine Fische mehr dort gegeben. Und diese Veränderung war keineswegs darauf zurückzuführen, dass alle umliegenden Fabriken geschlossen worden wären.
Bei einem Besuch in Deutschland zeigte man mir eine Industrieanlage, die betrieben werden konnte, ohne die Umwelt zu belasten. Es gibt also durchaus Lösungen, die den Schaden an der Umwelt begrenzen, ohne dass gleichzeitig die Industrie zum Stillstand kommen müsste. Ich glaube allerdings nicht, dass wir uns nur auf Technologien verlassen sollten, um all unsere Probleme zu lösen. Genauso wenig glaube ich, dass wir es uns leisten können, destruktive Praktiken anzuwenden und dann zu hoffen, dass Techniken entwickelt werden, die den Schaden wieder beheben.
Es ist übrigens nicht die Natur, die reparaturbedürftig ist. Unser Verhalten gegenüber unserer Umwelt muss sich ändern. Ich bezweifle, dass man jemals eine Methode finden wird, Schäden zu beheben, die durch so große drohende Katastrophen wie den Treibhauseffekt entstehen, und sei es nur auf einer theoretischen Ebene. Und selbst wenn es uns gelänge, müssten wir uns fragen, ob es jemals möglich wäre, eine solche Methode auch in dem erforderlichen Umfang einzusetzen. Was würde das kosten? Und welchen Preis müssten wir in Bezug auf unsere natürlichen Rohstoffe zahlen?
Ich glaube, der Preis wäre zu hoch. Außerdem muss man berücksichtigen, dass schon jetzt in vielen anderen Bereichen wie z.B. der humanitären Hilfe bei Hungerkatastrophen die Mittel fehlen, um die nötige Arbeit zu leisten. Deshalb wäre der Einsatz so kostspieliger Methoden, selbst wenn man argumentieren könnte, dass das erforderliche Geld aufgetrieben werden könnte, in Anbetracht solcher Notlagen in moralischer Hinsicht kaum zu rechtfertigen. Es wäre nicht richtig, hohe Summen dafür bereitzustellen, damit die Industrienationen weiterhin ihre zerstörerischen Praktiken ausüben können, während Menschen in anderen Ländern nicht einmal in der Lage sind, sich zu ernähren. All dies zeigt, dass wir die universelle Dimension unseres Handelns erkennen und uns einschränken müssen. Glücklicherweise erkennen immer mehr Menschen, wie wichtig ethische Disziplin ist, wenn es darum geht, eine gesunde Lebensumgebung zu schaffen.
Deshalb bin ich zuversichtlich, dass eine Katastrophe verhindert werden kann. Vor noch nicht allzu langer Zeit hat sich kaum jemand Gedanken gemacht, welche Auswirkungen das menschliche Handeln auf unseren Planeten hat. Darüber hinaus ist die Tatsache, dass die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken, die Wälder und Ozeane, die Millionen unterschiedlicher Lebensformen beherbergen, sowie die Klimastrukturen, die unser Wettergeschehen bestimmen, allesamt jegliche nationalen Grenzen überschreiten, eine Quelle der Hoffnung. Das bedeutet, dass kein Land, und mag es noch so mächtig sein, es sich leisten kann, nichts für den Schutz unserer Umwelt zu tun.
Was uns als Einzelpersonen angeht, werden wir durch die Probleme, die aufgrund unserer Vernachlässigung der Umwelt entstanden sind, mit Nachdruck daran erinnert, dass wir alle einen Beitrag leisten müssen. Das Handeln eines Einzelnen mag zwar keine großen Auswirkungen haben – insgesamt aber hinterlassen die Taten von einer Million Individuen sicher einen spürbaren Effekt. Deshalb ist es an der Zeit, dass die Bewohner der Industrienationen sich ernsthaft überlegen müssen, wie sie ihren Lebensstil ändern können. Auch das ist wiederum weniger eine Frage der Ethik. Die Tatsache, dass die übrige Weltbevölkerung das gleiche Recht hat, ihren Lebensstandard zu verbessern, ist in jedem Fall viel wichtiger, als dass die Bewohner reicher Nationen ihren Lebensstil aufrechterhalten können.
Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, ohne der Umwelt irreparablen Schaden zuzufügen – mit all dem Unglück, das damit einhergehen würde -, dann müssen die reicheren Länder eine Vorbildfunktion übernehmen. Für einen immer weiter ansteigenden Lebensstandard müsste der Planet und mit ihm die gesamte Menschheit einen zu hohen Preis zahlen.
Wertvolle Anregungen für unser Leben vom Dalai Lama
Folge drei Regeln: Respektiere dich selbst, respektiere andere, übernehme die Verantwortung für alle deine Taten.
Erinnere dich, dass nicht zu bekommen, was du möchtest, manchmal ein großer Glücksfall ist. Lerne die Vorschriften, damit du weißt, wie du sie richtig brechen kannst. Lasse nicht den kleinsten Streit eine große Freundschaft verletzen. Wenn Du erkennst, dass du einen Fehler gemacht hast, unternehme sofort die Schritte, um sie zu korrigieren. Verbringe jeden Tag einige Zeit allein. Öffne deine Arme für Veränderungen, aber halte an deinen Wertvorstellungen fest. Denke daran, dass Stille manchmal die beste Antwort ist. Lebe ein gutes, ehrbares Leben.
Wenn du dann älter wirst und zurückschaust, wird es dir möglich sein, dich ein zweites mal daran zu erfreuen. Eine liebevolle Atmosphäre in deinem Heim ist die Grundlage für dein Leben. Bei Unstimmigkeiten mit jemanden, den du liebst, beschäftige dich nur mit der gegenwärtigen Situation. Bringe nicht die Vergangenheit zurück. Teile dein Wissen. Das ist ein Weg, um Unsterblichkeit zu erreichen. Sei sanft mit der Erde. Gehe einmal im Jahr an einen Platz, wo du nie zuvor warst. Erinnere dich daran, dass deine Liebe für den anderen, deine Forderungen an den anderen übersteigt. Beurteile deinen Erfolg an dem, was du aufgeben musstest, um etwas zu erreichen.
Widme dich der Liebe und dem Kochen mit Leib und Seele.
Wir wünschen uns Liebe
von S. H. XIV Dalai Lama
Der Grund dafür, dass Liebe und Mitgefühl das höchste Glück hervorbringen, liegt letztlich darin, dass uns diese Tugenden mehr bedeuten als alles andere. Der Wunsch nach Liebe ist in jeder menschlichen Existenz tief verwurzelt. Er entsteht, weil wir alle ganz grundlegend miteinander in Verbindung stehen und voneinander abhängig sind.
Ein Mensch mag noch so große Fähigkeiten haben – ist er auf sich selbst gestellt, kann er nicht überleben. Wie stark und unabhängig man sich auch in besonders guten Zeiten fühlen mag, so ist man doch immer auf die Unterstützung anderer angewiesen, wenn man krank, sehr jung oder sehr alt ist. Die wechselseitige Abhängigkeit ist ein grundlegendes Naturgesetz. Nicht nur höhere Lebensformen, sondern auch kleinste Insekten sind soziale Wesen, die ohne Religion, Gesetze oder Bildung überleben. Es gelingt ihnen durch kooperatives Miteinander, das auf ihrer gegenseitigen Verbundenheit basiert, die sie instinktiv erfassen. Auch auf der subtilsten Ebene der Materie herrscht das Gesetz der wechselseitigen Abhängigkeit.
Alle Phänomene, die uns auf der Erde umgeben – Ozeane, Wolken, Wälder, Blumen – sind Produkte subtiler Energiemuster. Wird ihr Zusammenspiel gestört, lösen sie sich auf und verschwinden. Weil wir als Menschen so abhängig von der Hilfe anderer sind, bildet die Liebe das grundlegende Fundament unserer Existenz. Deshalb brauchen wir einen gut ausgeprägten Sinn für Verantwortung und das ehrliche Bemühen, anderen zu helfen. Wir müssen immer daran denken, was uns Menschen eigentlich ausmacht. Wir sind keine maschinell hergestellten Objekte. Wäre dies so, dann könnten Maschinen alle unsere Leiden beseitigen und unsere Bedürfnisse erfüllen. Da wir aber nicht nur aus Materie bestehen, ist es ein Irrglaube, all unsere Hoffnungen auf Glück hingen allein von äußeren Umständen ab. Stattdessen sollten wir uns auf unsere Wurzeln, unsere wahre Natur besinnen, um herauszufinden, was wir wirklich brauchen.
Wenn man die komplexe Frage, wie unser Universum entstanden ist und sich entwickelt hat, einmal beiseite lässt, so können wir doch zumindest darüber übereinstimmen, dass jede:r von uns das Produkt der eigenen Eltern ist. In der Regel sind wir nicht nur aufgrund von sexuellem Verlangen entstanden, sondern auch weil sich unsere Eltern ein Kind wünschten. Eine solche Entscheidung basiert auf Verantwortungsgefühl und Altruismus – die Eltern verpflichten sich, sich um ihr Kind zu kümmern bis es in der Lage ist, für sich selbst zu sorgen. So kann man sagen, dass die Liebe unserer Eltern vom Moment der Empfängnis an ein elementarer Bestandteil unserer Entwicklung ist. Darüber hinaus sind wir von dem frühsten Stadium unserer Entwicklung an komplett abhängig von der Fürsorge unserer Mutter.
Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass der mentale Zustand einer Schwangeren, ob sie z.B. ruhig oder erregt ist, sich unmittelbar auf die körperliche Verfassung des Ungeborenen auswirkt. Liebe spielt auch zum Zeitpunkt der Geburt eine große Rolle. Das erste, was wir tun, ist an der Brust der Mutter zu saugen. Wir spüren auf ganz natürliche Weise ihre Nähe, und sie muss Liebe verspüren, um uns gut nähren zu können. Ist sie ärgerlich oder wütend, kann ihre Milch nicht gut fließen. Danach kommt die entscheidende Phase der Gehirnentwicklung – die Zeitspanne von der Geburt bis wir ca. drei oder vier Jahre alt sind. Während dieser Zeit ist der liebevolle körperliche Kontakt der wichtigste Faktor für die normale Entwicklung eines Kindes.
Wird ein Kind in dieser Phase nicht auf den Arm genommen, liebkost und geherzt, kann es sich nicht gut entwickeln und das Gehirn kann nicht richtig reifen. Ein Kind kann nicht ohne die Fürsorge anderer überleben, und Liebe ist seine wichtigste Nahrung. Eine glückliche Kindheit, die Besänftigung der vielen Ängste eines Kindes und die gesunde Entwicklung seines Selbstvertrauens hängen alle unmittelbar von der Liebe ab. Heutzutage wachsen viele Kinder in ungünstigen Verhältnissen auf. Wenn sie nicht die nötige Zuwendung erfahren, können sie später im Leben ihre Eltern nicht lieben und haben oft Schwierigkeiten, überhaupt andere Menschen zu lieben. Das ist sehr traurig.
Wenn Kinder älter werden und in die Schule kommen, muss die Unterstützung von den Lehrern kommen. Ein Lehrer vermittelt nicht nur akademisches Wissen, sondern übernimmt auch die Verantwortung dafür, seine Schüler auf das Leben vorzubereiten. Dadurch entwickeln die Schüler ein Vertrauensverhältnis und Respekt, und das Gelernte wird sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis einprägen. Themen, die von einem Lehrer unterrichtet werden, der seinen Schülern nicht die nötige umfassende Zuwendung zuteil werden lässt, werden nur flüchtig wahrgenommen und werden schnell wieder vergessen.
Genauso ist es, wenn man wegen einer Krankheit in einer Klinik behandelt wird und der Arzt Wärme und Menschlichkeit ausstrahlt: Man fühlt sich wohl, und alleine der Wunsch des Arztes, dem Patienten die bestmögliche Behandlung zuteil werden zu lassen, hat schon eine heilende Wirkung, unabhängig davon wie qualifiziert er ist. Fehlt dem Arzt allerdings menschliche Wärme, hat er eine unfreundliche, ungeduldige oder nachlässige Ausstrahlung, fühlt man sich unwohl, selbst wenn er besonders gut qualifiziert ist, die Krankheit korrekt diagnostiziert hat und die richtigen Medikamente verschreibt. Die Gefühle von Patienten haben einen großen Einfluss darauf, wie gut und wie vollständig ihre Krankheit geheilt wird.
Auch in der Konversation im Alltag ist es so: Wenn jemand mit Gefühl und Wärme mit uns spricht, hören wir bereitwillig zu und geben gerne Antworten. Das ganze Gespräch wird interessant, selbst wenn das Thema ziemlich unwichtig ist. Spricht jemand kalt und grob, fühlen wir uns unwohl und hoffen, dass das Gespräch bald vorbei ist. Egal wie wichtig eine Begegnung ist: Die Zuwendung und der Respekt der anderen entscheiden darüber, ob wir uns wohl fühlen.
Kürzlich traf ich eine Gruppe Wissenschaftler in den USA. Sie sagten, der Prozentsatz geistiger Erkrankungen in ihrem Land sei mit rund zwölf Prozent der Bevölkerung ziemlich hoch. Während unserer Diskussion wurde deutlich, dass die Hauptursache für Depressionen nicht ein Mangel an materiellem Besitz, sondern die fehlende Zuwendung anderer ist.
Aus dem, was ich bisher geschrieben habe, wird eines für mich ganz deutlich: Ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht – von dem Tag an, an dem wir auf die Welt kommen, haben wir das Bedürfnis nach menschlicher Zuwendung direkt im Blut. Selbst wenn dieses Bedürfnis von einem Tier gestillt wird oder von jemandem, den wir sonst als Feind betrachten, fühlen wir uns als Kind und Erwachsener zu diesem Wesen hingezogen. Ich glaube, niemand wird ohne den Wunsch nach Liebe geboren. Dies zeigt, dass Menschen nicht als rein physische Wesen definiert werden können, selbst wenn einige moderne Denkschulen es versucht haben. Kein materielles Objekt, wie schön oder kostbar es auch sein mag, kann uns das Gefühl geben, geliebt zu werden, da unsere tiefere Identität und unser wahrer Charakter in der Subjektivität unseres Geistes zu finden sind.
Der Dalai Lama
26. Mai 2021
Zu diesem glückverheißenden Anlass, an dem wir der Geburt Buddhas, seiner Erleuchtung und seines Eintritts ins Mahaparinirvana gedenken, möchte ich meine Grüße an alle buddhistischen Mitmenschen auf der ganzen Welt richten.
Buddha Shakyamuni wurde als Prinz des Shakya-Clans im alten Indien vor etwa 2600 Jahren geboren. Die Pali- und Sanskrit-Traditionen erklären, dass der Buddha die Erleuchtung in der Morgendämmerung des Vollmondtages erlangte, den wir Buddha Purnima nennen. Beide Traditionen stimmen darin überein, dass er nicht von Anfang an erleuchtet war, sondern zum Buddha wurde, indem er die richtigen Bedingungen erfüllte und sich bemühte, die beiden Ansammlungen von Verdienst und Weisheit anzuhäufen. Nach der Sanskrit-Tradition musste er dies über viele Zeitalter oder Äonen hinweg tun, was dazu führte, dass er die vier Körper eines Buddha manifestierte – den Körper der Natürlichen Wahrheit, den Körper der Weisheitswahrheit (Dharmakaya), den Körper des vollständigen Genusses (Samboghakaya) und den Körper der Emanation (Nirmanakaya).
Die vollständige Absorption eines Buddhas in der Meditation über die Leerheit ist der Weisheits-Wahrheits-Körper, aus dem heraus er sich in verschiedenen Formen manifestiert. Der Körper des vollkommenen Genusses erscheint den Arya-Bodhisattvas (besonders hoch entwickelte Bodhisattvas ab der 8. Bodhisattva-Stufe), während der Emanationskörper für alle sichtbar ist. Buddha Shakyamuni war ein Höchster Emanationskörper, die Quelle eines kontinuierlichen Flusses von Aktivitäten zum Wohle der fühlenden Wesen.
Die Lehre des Buddha ist im Wesentlichen praktisch. Sie ist nicht nur für eine Gruppe von Menschen oder ein Land gedacht, sondern für alle fühlenden Wesen. Die Menschen können diesem Pfad entsprechend ihrer Fähigkeit und Neigung folgen. Ich zum Beispiel habe meine buddhistische Ausbildung als Kind begonnen, und obwohl ich jetzt fast 86 Jahre alt bin, lerne ich immer noch. Deshalb ermutige ich, wann immer ich kann, Buddhisten, die ich treffe, Buddhisten des 21. Jahrhunderts zu sein, zu entdecken, was die Lehre wirklich bedeutet und sie in die Tat umzusetzen. Das bedeutet, zuzuhören und zu lesen, über das Gehörte und Gelesene nachzudenken und sich tief damit vertraut zu machen.
Obwohl sich unsere Welt seit der Zeit des Buddha wesentlich verändert hat, ist die Essenz seiner Lehre heute noch genauso relevant wie vor 2600 Jahren. Sowohl die Pali-Tradition als auch die Sanskrit-Tradition verfügen über Methoden, um Befreiung von Unwissenheit und Leiden zu erlangen. Der Rat des Buddha lautete, einfach ausgedrückt, anderen nicht zu schaden und ihnen zu helfen, wann immer wir können und auf welche Weise auch immer.
Wir können damit beginnen, indem wir erkennen, dass alle anderen genauso sind wie wir, indem sie Glück wollen und Leiden ablehnen. Das Streben nach Freude und Freiheit von Leiden ist das Geburtsrecht aller Wesen. Aber das persönliche Glück hängt sehr stark davon ab, wie wir uns anderen gegenüber verhalten. Indem wir ein Gefühl des Respekts für andere und eine Sorge um ihr Wohlergehen entwickeln, können wir unsere eigene Selbstbezogenheit reduzieren, die die Quelle vieler unserer eigenen Probleme ist, und unsere Gefühle der Freundlichkeit verstärken, die eine natürliche Quelle der Freude sind.
An diesem verheißungsvollen Tag werden Buddhisten an heiligen Orten wie Bodhgaya, Lumbini und Kandy sowie in anderen buddhistischen Ländern Gebetsgottesdienste abhalten. Lassen Sie uns gemeinsam alles tun, was wir können, um die globalen Bedrohungen zu überwinden, mit denen wir konfrontiert sind, einschließlich der Covid-19-Pandemie, die so viel Schmerz und Not über die Welt gebracht hat.
Mit meinen Gebeten und guten Wünschen,
Dalai Lama, 26. Mai 2021
Über eine Begegnung mit dem Dalai Lama
S.H. der Dalai Lama besuchte eine Obdachlosenunterkunft in N Street, Washington D.C. Dort unterrichtet der buddhistische Mönch Tenzin Lhamo Meditation. Zwölf obdachlose Frauen, mit Alkoholentzug kämpfend, begegneten dem Dalai Lama. Er sprach herzlich mit jeder von ihnen, während er sich strahlend und sich verbeugend durch den Raum bewegte.
Wir sind alle gleich, denn wir alle haben das gleiche gute Potenzial. Es ist sehr wichtig, das zu erkennen.
sagte der Dalai Lama dem Kreis der Bewohner, die Teilnehmer eines wöchentlichen Meditationsprogramms in der Obdachlosenunterkunft sind. In seiner Rede vor etwa 300 Menschen, darunter Bewohner, ehemalige Bewohner und Unterstützer des Heims, sprach er über den Nutzen von Mitgefühl. Den Frauen von N Street sagte er: „Ich selbst bin auch obdachlos.“ Seine Lehre bekam eine besondere Bedeutung, als er sagte: „Die Praxis des Mitgefühls ist von unermesslichem Nutzen.“
Mehrere Frauen bestätigten, dass sie enorm von dem Meditationsprogramm des Frauenhauses profitiert hätten, und dass es ihnen ermöglicht habe, sich von Drogen und Alkohol fernzuhalten und psychisch stabil zu bleiben. „Mein Inneres war durcheinander. Ich habe ein Leben im Chaos geführt“, sagte eine 49-jährige Bewohnerin, die jahrelang auf der Straße lebte, bevor sie in die Unterkunft kam. Sie erklärte, dass sie durch Meditation Kraft gefunden hat und hofft, das angebotene Meditationsprogramm beizubehalten.
Der Dalai Lama sprach über Vegetarismus und forderte seine Zuhörer auf, sich Gedanken zu machen über die Bedeutung der Nähe zu anderen, und über die Empfindsamkeit aller Lebewesen nachzudenken. Lachend gab er zu, dass er sich dabei ertappt, wie er darüber nachdenkt, was Moskitos wohl denken, wenn er beobachtet, wie eine von ihnen ihn sticht und ihm das Blut aussaugt. Freiwillige Helfer und Mitarbeiter der Washington Humane Society, dem einzigen frei zugänglichen Tierheim des Bezirks, zusammen mit zwei Hunden, die derzeit dort untergebracht sind, waren ebenfalls im Publikum.
Das Tierheim hat eine Partnerschaft mit der Obdachlosenunterkunft, wobei obdachlose Frauen helfen, ausgesetzte Tiere zu trainieren, zu pflegen und für die Adoption vorzubereiten. Eine freiwillige Mitarbeiterin brachte einen Hund auf die Bühne und sagte zum Dalai Lama: „Ich habe immer Tiere geliebt, aber ich mochte die Menschen nicht. Ich habe ihnen nicht getraut. Durch Tiere habe ich Mitgefühl für andere Menschen gelernt. Ich lerne auch Mitgefühl für mich selbst.“
Der Dalai Lama umarmte sie und verbeugte sich vor dem Hund namens Daisy.
Ein Essay über Berge
S. H. 14. Dalai Lama
In Tibet werden Berge oft als etwas besonders betrachtet. Amnye Machen zum Beispiel, ein Berg im Nordosten Tibets, gilt als Heimat von Machen Pomra, einer der wichtigsten Gottheiten von Amdo, meiner Heimatprovinz. Da alle Menschen in Amdo Machen Pomra als ihren besonderen Freund betrachten, pilgern viele von ihnen zum Fuß des Berges.
Wenn die Menschen in Lhasa gelegentlich zum Vergnügen kletterten, wählten sie Berge von angemessener Größe, und wenn sie den Gipfel erreichten, zündeten sie Weihrauch an, sprachen Gebete und entspannten sich bei einem Picknick. Nur Einsiedler, wilde Tiere und im Sommer Nomaden mit ihren Herden, leben tatsächlich hoch oben in den Bergen. In der Einfachheit und Stille unserer Berge herrscht mehr Seelenfrieden als in den meisten Städten der Welt. Da es in der buddhistischen Praxis darum geht, die Phänomene als leer von einer ihnen innewohnender Existenz zu betrachten, ist es für einen Praktizierenden hilfreich, in den weiten, leeren Raum zu schauen, den man von einem Berggipfel aus sieht.
In diesen Schatzkammern der Natur fanden unsere Ärzte viele der wertvollen Kräuter und Pflanzen, aus denen sie ihre Medikamente zusammenstellten, während die Nomaden reiches Weideland für ihre Tiere fanden, das für die tibetische Wirtschaft so wichtig ist. Noch weitreichendere Auswirkungen haben die Berge im Land des Schnees, in denen viele der großen Flüsse Asiens entspringen. Die jüngsten massiven Überschwemmungen auf dem indischen Subkontinent und in China lassen sich zum Teil auf die massive Abholzung und Umweltzerstörung zurückführen, die auf die gewaltsame Besetzung Tibets durch China folgte.
Seit über 1.000 Jahren halten wir Tibeter uns an spirituelle und ökologische Werte, um das empfindliche Gleichgewicht des Lebens auf dem Hochplateau, auf dem wir leben, zu erhalten. Inspiriert von Buddhas Botschaft der Gewaltlosigkeit und des Mitgefühls und geschützt durch unsere Berge, haben wir versucht, jede Form von Leben zu respektieren, und somit konnten auch unsere Nachbarn ungestört leben.
Wenn wir heute über die Erhaltung der Umwelt sprechen, ob wir nun die Tierwelt, die Wälder, die Meere, die Flüsse oder die Berge meinen, muss die Entscheidung zum Handeln letztlich aus unserem Herzen kommen. Das Wichtigste ist meines Erachtens, dass wir alle ein echtes Gefühl der universellen Verantwortung entwickeln, nicht nur für diesen schönen blauen Planeten, der unser Zuhause ist, sondern auch für die unzähligen fühlenden Wesen, mit denen wir ihn teilen.
Quelle: The Official Website of The Office of His Holiness the 14th Dalai Lama
Freunde und Feinde
Tenzin Gyatso, der 14. Dalai Lama
Ich muss noch einmal betonen, dass die bloße Idee darüber, dass Mitgefühl, Vernunft und Geduld gut sind, nicht ausreicht, um sie tatsächlich zu entwickeln. Wir müssen warten, bis sich Schwierigkeiten ergeben, und dann versuchen, diese Qualitäten zu praktizieren.
Und wer schafft solche Gelegenheiten? Natürlich nicht unsere Freunde, sondern unsere Feinde, das heißt, Menschen und Umstände, die uns das Leben schwer machen, die uns herausfordern, zunächst unglücklich machen. Das, was uns am meisten zu schaffen macht. Wenn wir also wirklich lernen wollen, sollten wir Feinde als unsere besten Lehrer betrachten!
Für einen Menschen, der Mitgefühl und Liebe entwickeln möchte, ist die Praxis der Toleranz unerlässlich, und dafür ist ein für uns schwieriger Mensch unverzichtbar. Wir sollten also denen, die uns herausfordern dankbar sein, denn sie sind es, die uns am besten helfen können, einen ruhigen Geist zu entwickeln! Außerdem kommt es sowohl im persönlichen als auch im öffentlichen Leben häufig genug vor, dass Feinde zu Freunden werden, wenn sich die Umstände ändern.
Zorn und Hass sind immer schädlich, und wenn wir unseren Geist nicht schulen und nicht daran arbeiten, ihre negative Kraft zu verringern, werden sie uns weiterhin stören und unsere Versuche, einen ruhigen Geist zu entwickeln, durchkreuzen. Zorn und Hass sind unsere wahren Feinde. Das sind die Kräfte, die wir am dringendsten bekämpfen und besiegen müssen, nicht die vorübergehenden Feinde, die im Laufe des Lebens immer wieder auftauchen.
Natürlich ist es richtig, dass wir alle Freunde wollen. Ich scherze oft, dass man, wenn man wirklich egoistisch sein will, sehr altruistisch sein sollte! Man sollte sich gut um andere kümmern, um ihr Wohlergehen besorgt sein, ihnen helfen, ihnen dienen, mehr Freunde finden, mehr lächeln. Was ist wohl das Ergebnis eines solchen Verhaltens? Wenn wir selbst Hilfe brauchen, werden wir viele Freunde und Helfer finden! Wenn wir dagegen das Glück der anderen vernachlässigen, sind wir auf lange Sicht der Verlierer. Entsteht Freundschaft durch Streit und Ärger, Eifersucht und Konkurrenzdenken? Das glaube ich nicht. Nur Zuneigung bringt uns echte, enge Freunde.
In der heutigen materialistischen Gesellschaft hat man scheinbar viele Freunde, wenn man Geld und Macht hat. Aber es sind nicht wahre Freunde, sondern die Freunde deines Geldes und deiner Macht. Wenn du deinen Reichtum und deinen Einfluss verlierst, wird es schwer werden, diese Leute aufzuspüren.
Auch wenn die Leute manchmal lachen, wenn ich das sage, wünsche ich mir selbst immer mehr Freunde. Ich liebe das Lächeln. Deshalb habe ich das Problem, dass ich nicht weiß, wie ich noch mehr Freunde finden kann und wie ich mehr Lächeln erhalte, vor allem echtes Lächeln. Denn es gibt viele Arten des Lächelns, z. B. sarkastisches, künstliches oder diplomatisches Lächeln. Viele Arten zu Lächeln erzeugen kein Gefühl der Zufriedenheit, und manchmal können sie sogar Misstrauen oder Angst erzeugen, nicht wahr? Aber ein echtes Lächeln gibt uns ein Gefühl der Frische und ist, meiner Meinung nach, einzigartig für den Menschen. Wenn wir dieses Lächeln wollen, müssen wir selbst die Ursachen dafür schaffen, dass es entsteht.
Quelle: Compassion and the Individual
Ein Auszug aus einem Interview mit dem Dalai Lama:
Frage: Wenn man nun also davon ausgeht, dass Sie Chenrezig (Avalokiteshvara) tatsächlich verkörpern, wie fühlen Sie sich in dieser Rolle? Nur sehr wenige Menschen wurden bisher in irgendeiner Form als göttliche Wesen gesehen. Ist die Rolle für Sie eine Last oder etwas Angenehmes?
Antwort: Sie ist sehr hilfreich. In dieser Rolle kann ich den Menschen einen großen Nutzen erweisen. Deshalb mag ich sie. Ich fühle mich wohl in ihr. Es ist offensichtlich, dass ich anderen in dieser Rolle sehr gut helfen kann und dass ich die karmischen Anlagen habe, sie auszuüben. Außerdem ist auch klar, dass ich insbesondere zum Volk der Tibeter eine karmische Verbindung habe. Man könnte also vor dem Hintergrund dieser Umstände sagen, ich habe großes Glück. Hinter dem Wort Glück verbergen sich allerdings handfeste Gründe und Ursachen. Da ist sowohl die karmische Kraft für meine Fähigkeit, diese Rolle anzunehmen, als auch die Kraft, die durch meinen Wunsch entstanden ist, es zu tun. Hierzu gibt es ein Zitat aus dem Werk Bodhicaryāvatāra (Anleitungen auf dem Weg zur Glückseligkeit) des großen Meisters Shantideva, worin es heißt, ‚Solange der Raum besteht, und solange es fühlende Wesen gibt, solange möge auch ich verweilen, um das Leid der Wesen zu beenden.‘ Diesen Wunsch habe ich in diesem Leben, und auch in früheren Leben habe ich ihn bereits verspürt.
Frage: Mit dieser Motivation verfolgen Sie ein sehr großes Ziel. Wie gehen Sie in diesem Zusammenhang damit um, dass Sie persönlich als Mensch gewissen Einschränkungen unterworfen sind?
Antwort: Die Antwort findet sich wieder bei Shantideva. ‚Wenn selbst der gesegnete Buddha nicht allen fühlenden Wesen helfen kann, wie könnte ich es dann?‘ Selbst ein erleuchtetes Wesen mit grenzenlosem Wissen und der Kraft und dem Wunsch, alle anderen Wesen von ihrem Leid zu befreien, kann nicht das Karma jedes einzelnen Wesens aufheben.
Wer das ganze Interview nachlesen möchte, findet es hier: Die offizielle Webseite des Büros von Seiner Heiligkeit dem 14. Dalai Lama
Mitgefühl – Wie können wir beginnen?
14. Dalai Lama
Wir sollten damit beginnen, die größten Hindernisse für Mitgefühl zu beseitigen: Wut und Hass. Wie wir alle wissen, sind dies äußerst starke Emotionen, die unseren gesamten Geist überwältigen können. Dennoch können sie kontrolliert werden. Wenn man sie jedoch nicht kontrolliert, werden uns diese negativen Emotionen plagen – ohne dass wir uns besonders anstrengen müssen! Sie behindern unser Streben nach dem Glück eines liebenden Geistes.
Für den Anfang ist es also sinnvoll, zu untersuchen, ob Ärger einen Wert hat oder nicht. Manchmal, wenn wir durch eine schwierige Situation entmutigt sind, scheint Wut tatsächlich hilfreich zu sein und mehr Energie, Zuversicht und Entschlossenheit mit sich zu bringen.
In diesem Fall müssen wir jedoch unseren geistigen Zustand sorgfältig prüfen. Es stimmt zwar, dass Wut zusätzliche Energie bringt, aber wenn wir die Natur dieser Energie erforschen, stellen wir fest, dass sie blind ist: Wir können nicht sicher sein, ob ihr Ergebnis positiv oder negativ sein wird. Das liegt daran, dass die Wut den besten Teil unseres Gehirns verdunkelt: seine Rationalität. Die Energie der Wut ist also fast immer unzuverlässig. Sie kann eine große Menge an destruktivem, unglücklichem Verhalten verursachen. Wenn die Wut ins Extreme steigt, wird man wie ein Verrückter und handelt auf eine Weise, die für einen selbst ebenso schädlich ist wie für andere. Es ist jedoch möglich, eine ebenso kraftvolle, aber viel kontrolliertere Energie zu entwickeln, mit der man schwierige Situationen bewältigen kann.
Diese kontrollierte Energie entsteht nicht nur durch eine mitfühlende Haltung, sondern auch durch Vernunft und Geduld. Dies sind die stärksten Gegenmittel gegen Wut. Leider werden diese Eigenschaften von vielen Menschen als Zeichen der Schwäche missverstanden. Ich glaube, dass das Gegenteil der Fall ist: Sie sind die wahren Zeichen der inneren Stärke. Mitgefühl ist von Natur aus sanft, friedlich und weich, aber es ist sehr mächtig. Diejenigen, die leicht die Geduld verlieren, sind unsicher und unbeständig. Daher ist für mich die Erregung von Wut ein direktes Zeichen von Schwäche.
Wenn also ein Problem auftaucht, sollten wir versuchen, bescheiden zu bleiben, eine aufrichtige Haltung einzunehmen und darauf zu achten, dass das Ergebnis gerecht ist. Natürlich kann es vorkommen, dass andere versuchen uns auszunutzen, und wenn unsere Zurückhaltung nur zu ungerechten Aggressionen führt, sollten wir eine starke Position einnehmen. Dies sollte jedoch mit Mitgefühl geschehen, und wenn es notwendig ist, unsere Ansichten zu äußern und starke Gegenmaßnahmen zu ergreifen, tun Sie dies ohne Zorn oder böse Absicht.
Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass unsere Gegner, auch wenn es den Anschein hat, dass sie uns schaden, mit ihrem destruktiven Handeln letztlich nur sich selbst schaden. Um unseren eigenen egoistischen Drang nach Vergeltung zu zügeln, sollten wir uns auf unseren Wunsch besinnen, Mitgefühl zu üben und die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass die andere Person nicht unter den Folgen ihrer Handlungen leidet. Da die Maßnahmen, die wir ergreifen, in aller Ruhe ausgewählt wurden, werden sie wirksamer, genauer und durchgreifender sein. Vergeltungsmaßnahmen, die auf der blinden Energie des Zorns beruhen, treffen nur selten das Ziel.
Der 14. Dalai Lama über die Schulung des Geistes
Buddha sagt im Dhammapada: Wenn der Geist diszipliniert und ruhig ist, führt er zu Glück und Freude; wenn der Geist undiszipliniert ist, führt er zu Leid und Schmerz.
Der schwierige Punkt ist: Wie geht man vor, um seinen Geist zu disziplinieren? Es gibt zwei Hauptmethoden, um den Geist zu schulen: die eine beschäftigt sich hauptsächlich mit Emotionen, die andere mit dem Verstand. Es gibt Emotionen wie Hingabe, Liebe, Mitgefühl und so weiter, und andere wie Anhaftung, Ärger und Eifersucht, die eher impulsiv sind. Sie sind stark, kraftvoll, und entstehen ganz instinktiv, ohne jedes rationale Denken, und können sehr intensiv sein.
Wir können diese Emotionen auf einen physiologischen Zustand oder auf karmische Prägungen aus der Vergangenheit zurückführen. Indem man den Intellekt und die Vernunft einsetzt, ist man in der Lage, die Vorteile von Liebe und Mitgefühl sowie die Unzulänglichkeiten von Zorn und so weiter zu betrachten. Je mehr man über Liebe, Mitgefühl und ihren Wert, ihre Grundlage usw. nachdenkt, desto mehr ist man in der Lage, die eigenen Qualitäten und positiven Eigenschaften zu verbessern. Wir werden eine solide, gültige Erfahrung machen und erkennen, welche Emotionen kultiviert werden müssen und welche aufgegeben werden müssen.
Dies ist ein wichtiger und integraler Bestandteil der Schulung des Geistes. Bei beiden Ansätzen ist es wichtig, einen stabilen Geist zu haben. Daher ist es äußerst wichtig, als Grundlage einen auf einen Punkt ausgerichteten Geist zu kultivieren (Shine-Meditation). Sobald diese Fähigkeit entwickelt ist, verbindet sie sich mit einer kraftvollen Analyse, und man erlangt die Fähigkeit, in die Natur der Realität einzudringen. Mit dieser Fähigkeit sind wir in der Lage, unsere geistige Energie zu kanalisieren und unseren Geist erfolgreich zu entwickeln und zu disziplinieren.
Daher sind die Praxis von Shamatha (ruhiges Verweilen) und die von Vipassana sehr eng miteinander verbunden. Diese kurze Beschreibung vermittelt ein Bild der grundlegenden Methoden, die dem gesamten buddhistischen Pfad gemeinsam sind. Je nach Motivation und letztendlichem Ziel gibt es Unterteilungen in verschiedene Yanas oder Fahrzeuge. Man könnte die buddhistischen Lehren in drei Yanas unterteilen: Sravakayana, Pratyekabuddhayana und Bodhisattvayana. Man könnte auch den gesamten buddhistischen Pfad in Bezug auf die Praktizierenden in drei Bereiche unterteilen: Praktizierende mit anfänglicher, mittlerer und großer Fähigkeit. Dies beschreibt vier Haupttypen von Menschen, die sich auf einen spirituellen Weg begeben.
Diejenigen, die als letztendliches Ziel die Erlangung der vollen Erleuchtung anstreben; diejenigen, deren Hauptpriorität darin besteht, Befreiung von samsarischer Knechtschaft zu erlangen; diejenigen, deren Hauptanliegen darin besteht, eine positivere Wiedergeburt zu haben; und diejenigen, die nur eine glückliche Zukunft in diesem Leben anstreben. Viele von uns haben das Gefühl, dass unser zukünftiges Leben zwar wichtig sein mag, aber die Bedingungen des gegenwärtigen Lebens wichtiger sind. Die meisten unserer Gedanken und Handlungen sind durch den Wunsch motiviert, unsere gegenwärtige Situation zu verbessern. Das ist eine berechtigte Einstellung.
Wenn wir in der Lage sind, ein glückliches und friedliches Leben zu führen, dann wird dies definitiv zur Verbesserung unseres zukünftigen Lebens beitragen. Wenn wir dagegen immer nur darüber reden, aber in der Gegenwart ein unproduktives Leben führen, werden wir unglücklich und unzufrieden sein, ganz zu schweigen von dem Nutzen für die Zukunft. Es ist von Vorteil, eine weite, langfristige Perspektive zu entwickeln, mit der Fähigkeit, das Leben in seinem größeren Zusammenhang zu sehen, nicht übermäßig empfindlich auf Situationen zu reagieren und sich nicht von der kleinsten Enttäuschung oder Freude beeinflussen zu lassen.
Es ist auch sehr wichtig, die Fähigkeit zur Liebe, zum Mitgefühl und zur Toleranz zu verbessern und ein gütiges Herz zu entwickeln. Meiner Erfahrung nach halte ich es für den wichtigsten Faktor in unserem täglichen Leben, aufgeschlossener zu sein. Das ist etwas sehr Hilfreiches. Aufgeschlossen zu sein bedeutet, dass man empfindsam sein muss, aber gleichzeitig nicht zu ernsthaft sensibel sein darf. Um diese Art von Offenheit zu entwickeln, ist der wichtigste Faktor ein gutes Herz.
Ich kann sagen, dass dies definitiv wahr ist. Entwickeln wir eine geistige Haltung mit mehr Mitgefühl, mehr Zuneigung und denken wir mehr an andere, so wie wir auch an uns selbst denken. Kümmern wir uns mehr um das Wohlergehen und die Gesundheit der Menschen, nicht nur um unser eigenes Wohlbefinden. Dadurch öffnet sich automatisch eine innere Tür, wir haben weniger Angst und mehr Selbstvertrauen. Infolgedessen können wir viel leichter mit anderen Mitmenschen kommunizieren, mit dem Gefühl „Oh, wir sind eine echte Gemeinschaft“. „Ich bin ein Mitglied einer glücklichen Gemeinschaft“ wird entstehen. Diese Art von Gefühl reduziert automatisch Angst, Selbstzweifel und Gedanken wie „Ich habe keinen Wert“ und „Ich bin einfach hoffnungslos“.
Daher denke ich, dass eine der Schlüsseltechniken für mehr Offenheit des Geistes eine mitfühlende Geisteshaltung ist. Daran besteht kein Zweifel. Deshalb sage ich den Menschen, ob sie nun gläubig oder ungläubig sind, dass wir versuchen sollten, eine positivere Geisteshaltung einzunehmen, d. h. eine altruistische Einstellung. In Anbetracht der äußerst komplexen Natur unserer Existenz in dieser modernen Welt bin ich mir sicher, dass wir, wenn wir aufmerksam genug sind, viele Gründe finden werden, die uns zwingen, mehr über die Notwendigkeit einer altruistischen Lebenseinstellung und über das Wohlergehen anderer Menschen nachzudenken.
Dalai Lama
Die innere Welt des Bewusstseins
Wenn wir Begriffe wie „Bewusstsein“ oder „Geist“ verwenden, neigen wir oft dazu, den Eindruck zu erwecken, dass wir über eine einzige, untrennbare Einheit sprechen; aber das ist irreführend. Unsere eigene persönliche Erfahrung zeigt, dass die geistige Welt ungeheuer vielfältig ist. Wenn wir darüber hinaus jeden Moment der Wahrnehmung oder mentalen Erfahrung untersuchen, stellen wir fest, dass sie sich alle entweder auf interne oder externe Objekte beziehen. Wenn wir zum Beispiel einen Moment der Wahrnehmung untersuchen, stellen wir fest, dass er einen Aspekt des Objekts annimmt, auf das er sich in diesem Moment gerade konzentriert. Und da wir oft falsche Eindrücke bilden, die auf verzerrten Wahrnehmungen beruhen, können wir sagen, dass einige unserer Wahrnehmungen gültig sind, während andere es nicht sind.
Im Großen und Ganzen können wir zwei Hauptkategorien im Bereich des Bewusstseins – also unserer subjektiven Erfahrungswelt – identifizieren. Es gibt solche, die sich auf Sinneserfahrungen beziehen, wie z. B. das Sehen und Hören, bei denen die Auseinandersetzung mit Objekten direkt und unmittelbar ist; und es gibt solche, bei denen unsere kognitive Auseinandersetzung mit der Welt über Sprache, Konzepte und Gedanken vermittelt wird. In diesem Modell wird Wahrnehmung in erster Linie als eine direkte Erfahrung von Objekten auf der Sinnesebene verstanden. Dies geschieht durch die Vermittlung von Sinnesdaten, beinhaltet aber kein Urteil darüber, ob das Objekt begehrenswert oder unerwünscht, attraktiv oder unattraktiv, gut oder schlecht ist. Diese Urteile entstehen erst auf der zweiten Stufe, wenn das begriffliche Denken ins Spiel kommt.
Beziehen wir dies nun auf unsere persönliche Erfahrung. Wenn wir etwas betrachten, haben wir in diesem ersten Augenblick der Wahrnehmung eine direkte, unvermittelte visuelle Erfahrung des Objekts. Wenn wir dann die Augen schließen und über dasselbe Objekt nachdenken, haben wir immer noch sein Bild im Kopf, aber jetzt beschäftigen wir uns mit ihm auf der Ebene des begrifflichen Denkens. Diese beiden Erfahrungen sind qualitativ unterschiedlich, in dem Sinne, dass das begrifflich erzeugte Bild eine Verschmelzung von Zeit und Raum beinhaltet.
Zum Beispiel sehen wir eine schöne Blume in einer Ecke eines Gartens. Am nächsten Tag sehen wir dieselbe Blumenart in einem anderen Teil desselben Gartens und wir denken: „Oh, diese Blume habe ich schon einmal gesehen.“ In Wirklichkeit sind diese beiden Blumen jedoch völlig unterschiedlich und befinden sich in verschiedenen Teilen des Gartens. Außerdem ist die Blume, die wir gestern gesehen haben, nicht die Blume, die wir heute sehen. Obwohl diese beiden Blumen also räumlich und zeitlich getrennt waren, vermischen wir in diesem Moment in unseren Gedanken sowohl Zeit als auch Raum und projizieren das Bild der Blume, die wir gestern gesehen haben, auf das, was wir jetzt sehen. Diese Vermischung von Zeit und Raum in unseren Gedanken, die oft durch Sprache und Konzepte vermittelt wird, legt wiederum nahe, dass einige unserer Wahrnehmungen gültig und andere falsch sind.
Wenn es einfach so wäre, dass diese verzerrten oder falschen Wahrnehmungen keine negativen Folgen hätten, wäre das in Ordnung. Aber so ist es nicht. Unsere verzerrte Art, die Welt zu verstehen, führt zu allen möglichen Problemen, indem sie Verwirrung in unserem Geist erzeugt. Diese Verwirrung beeinflusst die Art und Weise, wie wir uns mit der Welt auseinandersetzen, was wiederum Leiden für uns selbst und für andere verursacht. Da wir uns natürlich wünschen, glücklich zu sein und das Leiden zu überwinden, ist es wichtig zu erkennen, dass eine grundlegende Verwirrung in unserem Verständnis der Welt (einschließlich unseres eigenen Selbst) die Wurzel für viele unserer Leiden und Schwierigkeiten ist. Da unsere Erfahrungen von Glück und Leid und die grundlegende Unwissenheit, die unserem Leiden zugrunde liegt, allesamt mentale Phänomene sind, müssen wir, wenn wir wirklich die Erfüllung unseres natürlichen Strebens nach Glück und Überwindung des Leidens anstreben wollen, zumindest die grundlegende Funktionsweise unserer inneren Welt, nämlich der Welt des Bewusstseins, verstehen lernen.
14. Dalai Lama – Introduction to Buddhism: Teachings on the Four Noble Truths, the Eight Verses on Training of Mind and the Lamp for the Path of Enlightenment
Das Morgengebet des Dalai Lama
Seine Heiligkeit der Dalai Lama betrachtet diesen Text als DIE Quelle für die Entwicklung von Altruismus, für den „Geist des Erwachens“, in unserem Charakter. Wenn wir das Gebet in unsere Morgenpraxis aufnehmen, sind wir in guter Gesellschaft!
Jeden Morgen setzt sich der 14. Dalai Lama auf ein Gebetskissen, nimmt den Dorje in die Hand – und betet für die Menschheit. Es sind alte und poetische Verse, die bis heute nichts von ihrer Kraft und Aktualität verloren haben. Verfasst hat sie der buddhistische Mönch Shantideva im siebten oder achten Jahrhundert. Für den Dalai Lama gehört dieser Text zum täglichen Morgenritual und er empfiehlt ihn auch uns zur Entwicklung von Mitgefühl. Wir können uns in einer aufrechten Haltung hinsetzen und dieses Gebet laut oder im Stillen, aber ganz bewusst, rezitieren. Dann machen wir noch ein paar tiefe, langsame Atemzüge und bedanken uns für einen neuen Tag.
Bodhisattva-Gebet für die Menschheit:
Möge ich ein Wächter für diejenigen sein, die Schutz brauchen Ein Leitfaden für diejenigen, die auf dem Weg sind Ein Boot, ein Floß, eine Brücke für diejenigen, die die Flut überqueren wollen Möge ich eine Lampe in der Dunkelheit sein Ein Ruheplatz für die Müden Ein Heilmittel für alle Kranken Eine Vase voller Fülle, ein Baum der Wunder Und für die grenzenlose Vielzahl von Lebewesen Möge ich Nahrung und Erwachen bringen Dauerhaft wie die Erde und der Himmel Bis alle Wesen von Leid befreit sind Und alle erwacht sind .
S.H. der 14. Dalai Lama und Erzbischof Desmond Tutu
Im April 2015 feierte Desmond Tutu den achtzigsten Geburtstag mit dem Dalai Lama. Dabei ergründeten sie eine der Wichtigsten Fragen überhaupt: „Wie können wir Freude finden trotz des Leidens in der Welt?“
Sie tauschten fünf Tage lang ihre außergewöhnlichen Lebenserfahrungen aus. Das „Buch der Freude“ lässt uns diese wegweisende Begegnung zweier der bedeutendsten Persönlichkeiten unserer Zeit miterleben. Es folgt ein Auszug aus dem 1. Kapitel zum Thema Sichtweisen. Ein zentrales Thema im Buddhismus, darum hier einige Gedanken aus dem Treffen.
1. Blickwinkel: Es gibt viele verschiedene Sichtweisen.
Erzbischof Tutu beginnt das Treffen mit dem Beitrag, dass die Freude ein Nebenprodukt ist. Er sagt: »Wenn du dir vornimmst Ich will glücklich sein, und entschlossen die Zähne zusammenbeißt, dann wirst du todsicher den Bus verpassen.« Wenn also Freude und Glück Nebenprodukte sind, wovon sind sie denn eigentlich Nebenprodukte? Wir müssen nun tiefer eintauchen in die Geistes- und Herzenseigenschaften, die wir zu stärken haben, so wir denn diesen »Bus« erreichen, sprich die Gelegenheit nicht verpassen wollten.
Im Gespräch von Dalai Lama und Desmond Tutu kamen die Teilnehmer so zu der Erkenntnis, dass die geistige Immunität Angst, Wut und andere Hemmnisse auf dem Weg zur Freude aus dem Weg räumen kann. Aber der Dalai Lama erklärte, dass diese geistige Immunität unseren Geist und unsere Herzen gleichzeitig mit positiven Gedanken und Gefühlen erfüllt. In ihrem Austausch einigten sie sich schließlich auf acht Säulen der Freude.
Vier davon waren Geisteshaltungen: Blickwinkel, Bescheidenheit, Humor und Akzeptanz. Dazu kamen vier Eigenschaften des Herzens: Vergebung, Dankbarkeit, Mitgefühl und Großzügigkeit.
Gleich am ersten Tag des Treffens hatte der Erzbischof die rechte Hand auf sein Herz gelegt, um dessen Bedeutung zu betonen. Am Ende gelangten sie tatsächlich zu den Begriffen Mitgefühl und Großzügigkeit, und beide Männer waren sich darin einig, dass diese beiden Eigenschaften für das Erlangen dauerhafter Freude wahrscheinlich die entscheidenden waren. Dennoch müssen wir beginnen mit grundlegenden Geisteshaltungen, die es uns erlauben, uns leichter und häufiger auf mitfühlende und großzügige Verhaltensweisen einzulassen. Wie der Dalai Lama beim Beginn der Dialoge gesagt hatte, bereiten die Menschen sich das meiste Leid selbst und sollten deshalb in der Lage sein, auch mehr Freude zu schaffen. Der Schlüssel dazu sei unser Blickwinkel; unsere Gedanken, Gefühle und Handlungen ergäben sich dann daraus.
Der überwiegende Teil der Ergebnisse der Gespräche dieser Tage ist durch wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt. Die Faktoren, die der Psychologin Sonja Lyubomirsky zufolge den größten Einfluss auf unser Glück haben, decken sich weitgehend mit den acht Säulen. Da ist zunächst einmal unsere Perspektive auf das Leben zu nennen oder, wie es Lyubomirsky beschreibt, unsere Fähigkeit, unsere Situation in einem positiveren Licht zu sehen. Andere Faktoren sind die Fähigkeiten, Dankbarkeit zu empfinden und uns anderen gegenüber gütig und großzügig zu erweisen.
Ein vernünftiger Blickwinkel ist tatsächlich Grundlage für Freude und Glück, denn so, wie wir die Welt sehen, erleben wir sie auch. Wenn wir unsere Perspektive verändern, erfahren wir die Welt auch anders und handeln anders, was umgekehrt die Welt verändert. Oder, wie der Buddha im Dhammapada sagt: »In unserem Geist schaffen wir uns unsere eigene Welt.«
»Zu jedem Ereignis im Leben«, bemerkte der Dalai Lama, »gibt es verschiedene Blickwinkel. Betrachtet man dasselbe Ereignis in einem größeren Rahmen, empfinden wir weniger Sorge und Angst und verspüren größere Freude.« Die Bedeutung einer weiter gefassten Perspektive hatte der Dalai Lama bereits an dem Beispiel erläutert, wie er den Verlust seines Heimatlandes als Chance hatte begreifen können. Den Teilnehmern blieb der Mund offenstehen, wie er ein halbes Jahrhundert im Exil »in einem positiveren Licht betrachtete«. Er hatte nicht nur das gesehen, was verloren war, sondern auch das, was er gewonnen hatte: mehr Kontakt und neue Verbindungen, weniger Formalitäten und mehr Freiheit, die Welt zu entdecken und von anderen zu lernen. Er hatte daraus geschlossen: »Betrachten wir etwas nur aus einer Richtung, dann denken wir: »Oh, wie schlimm, wie traurig!« Sehen wir dasselbe Unglück aber aus einem anderen Blickwinkel, dann erkennen wir, dass es uns neue Möglichkeiten bringt.«
Edith Eva Eger berichtet von einem Besuch bei zwei ehemaligen Soldaten am William Beaumont Army Medical Center in Fort Bliss. Beide waren durch Verletzungen an der Front querschnittsgelähmt und konnten ihre Beine nicht bewegen. Sie hatten dieselbe Diagnose und dieselbe Prognose. Tom, der erste Kriegsveteran, lag in Embryonalhaltung gekrümmt auf seinem Bett, schimpfte auf sein Leben und haderte mit dem Schicksal. Der zweite, Chuck, saß im Rollstuhl und erklärte, es käme ihm vor, als habe er eine zweite Chance für sein Leben bekommen. Während er sich im Rollstuhl durch den Garten schob, hatte er bemerkt, dass er den Blumen nun viel näher war und den Kindern direkt in die Augen sehen konnte.
Eger zitiert häufig einen Ausspruch von Viktor Frankl — Auschwitz-Überlebender wie sie —, der besagte: „Unsere Einstellung in jeder Situation zu wählen ist unsere letzte und endgültige Freiheit“. Sie erklärt, unsere Perspektive trage die Macht in sich, uns am Leben zu erhalten oder unseren Tod zu bewirken. Eine Mitgefangene in Auschwitz war schwer erkrankt und sehr schwach, und die anderen in der Baracke fragten sie, was sie am Leben erhielte. Sie antwortete, sie habe gehört, dass sie bis Weihnachten alle befreit sein würden. So hielt sie trotz allem durch, starb aber am Weihnachtstag, als sie noch nicht befreit waren.
Ein Teilnehmer erklärte, es ist zwar schwierig, unsere Gefühle zu verändern, aber bei unserem Blickwinkel ist das vergleichsweise leicht. Er gehört zu jenem Teil unseres Geistes, über den wir die Kontrolle haben. Die Art, wie wir die Welt sehen, und die Bedeutung, die wir dem beimessen, was wir sehen, beeinflusst die Weise, wie wir fühlen. Dies kann der erste Schritt einer »geistigen und neuronalen Reise sein, die zu mehr und mehr Gelassenheit führt, sodass Freude immer mehr zu unserem Normalzustand wird«, wie es der Psychologe und Autor Daniel Goleman formulierte. Der Blickwinkel ist dabei nichts anderes als der Generalschlüssel zu allen Türen, die unser Glück gefangen halten.
Wie kann es sein, dass sich ein Perspektivenwechsel so entscheidend auswirkt? Und wie genau ist dieser ideale Blickwinkel, den der Dalai Lama und Desmond Tutu vorleben und der sie all dem Leid in unserer Welt mit so viel Frohsinn begegnen lässt?
Der Dalai Lama verwendete die Begriffe »größerer Rahmen« und »weite Perspektive«. Dazu müssen wir im Geist einen Schritt zurücktreten und das ganze Bild betrachten; wir müssen unsere beschränkte Eigenwahrnehmung und unsere Eigeninteressen hinter uns lassen. Jede Situation, der wir im Leben gegenüberstehen, entsteht aus dem Zusammenwirken vieler Faktoren. Der Dalai Lama hatte erklärt: »Wir müssen jede Situation und jedes Problem von vorn und von hinten betrachten, von den Seiten und von oben und unten, also mindestens aus sechs verschiedenen Blickwinkeln. So erhalten wir eher ein vollständiges und ganzheitliches Bild der Realität und können viel wirkungsvoller darauf reagieren.“