Karmapa OrgyenTrinley Dorje über Meditation

Meditation ist uns selbst Zeit zu geben, nur wir selbst zu sein. Nichts anderes, nichts Besonderes, nur uns erlauben zu entspannen und wir selbst zu sein, ohne Sorgen, was in der Vergangenheit passierte oder was in der Zukunft sein wird. Einfach entspannen und im eigenen natürlichen Zustand ruhen, das ist alles, was wir tun müssen. Wenn wir uns diese Gelegenheit geben, erkennen wir, dass sich diese Gegenwärtigkeit in andere Bereiche unseres Lebens ausdehnt. Dann verlieren wir die eigene wahre Natur nicht, wenn wir unseren täglichen Aktivitäten nachgehen.    

Gedanken vom Karmapa

Am ersten Tag hat er in seiner kurzen Einleitung vor den Gebeten über Interdependence oder gegenseitige Abhängigkeit gesprochen und betont, wie wichtig es ist, uns über dieses zentrales Thema Gedanken zu machen und entsprechend unser Verhalten und unsere Einsicht zu verändern. Die Pandemie hätte sich seiner Meinung nach nicht so verbreiten können, wenn wir uns über gegenseitige Abhängigkeit mehr bewusst wären. Normalerweise empfinden wir eine Distanz zwischen uns und anderen, wir fühlen uns getrennt und unabhängig von anderen als völlig eigenständig existierende Personen.

Aber nun wird auf schmerzhafte Weise deutlich, dass diese Distanz nicht so groß ist, wie wir meinen.   Wegen unserer Ego-Zentriertheit oder unseres Egoismus sehen wir unsere Familien, Länder, Kontinente als separat und getrennt an und nehmen Dinge nur ernst, wenn sie uns direkt betreffen. Aber jetzt können wir beobachten, dass die Pandemie uns alle betrifft, und die Situation macht deutlich, dass wir uns ständig gegenseitig beeinflussen. Jeder unserer Atemzüge hat eine Auswirkung auf andere. Wir sind abhängig und nicht ohne Bezug, wir sind betroffen und abhängig davon, was andere tun, was in anderen Ländern, was auf der Welt geschieht. Daher ist diese Zeit auch eine Chance, diese grundlegende gegenseitige Abhängigkeit tiefer und direkter zu verstehen, zu verinnerlichen und somit in unserer Praxis zu wachsen.

Durch diese Auseinandersetzung haben wir die Chance zu erfahren, dass die Distanz oder der Unterschied zwischen unserem Leben, also der Person, die Dharma praktiziert und der Dharma-Praxis selbst, immer geringer wird. Wir und das Dharma sollten immer mehr zur Einheit oder eins, und wir somit zu wirklichen Dharma-Praktizierenden werden.   Dharma ist nichts außerhalb unseres Lebens. Es sollte nichts von uns Getrenntes sein, wir hier und die Dharmapraxis dort, sondern wir werden zum Dharma, wir sind ständig davon durchdrungen und begleitet.

Wir praktizieren es nicht nur äußerlich und wenn wir auf dem Meditationskissen sitzen. Es geht dabei nicht um religiöse Dinge, sondern darum, wie wir ein besseres, gutes Lebewesen werden, nützlich für uns selbst und andere. Es geht darum, unsere natürlichen Qualitäten wie Herzensgüte und Mitgefühl zu verbessern. Wir haben nun die Chance zu realisieren, dass wir als Menschen die Verantwortung: für uns selbst, für unsere Familie, Freunde, die ganze Welt haben. Wir können nicht ohne all diese überleben.

Dieses Verständnis wird natürliche Fürsorge für die Umwelt erzeugen.   Sind wir aber nur auf uns selbst konzentriert und gefangen in EgoZentriertheit, ist unser Potential, anderen zu nutzen und ein bedeutungsvolles Leben zu führen, begrenzt. Dieses Gefühl der Verantwortung kann aber zum Druck und zu schwerer Bürde werden durch einen Mangel an Mitgefühl. Egoismus schließt die Tür zu Mitgefühl, darum brauchen wir Anregung, unser Leben in großer, nutzbringender Weise zu leben, und dieses Leben, das so wertvoll ist, bedeutungsvoll zu machen. Laut Karmapa können wir als Menschen so viel erreichen – wie wunderbar das ist!!    

Integration der formalen Praxis in unser Leben

von 17. Karmapa Ogyen Trinley Dorje

Im Allgemeinen ist die Dharma-Praxis nicht nur etwas, das man in Klöstern, Tempeln, auf einer Klausur oder zurückgezogen in seinem eigenen Zimmer machen muss. Sie ist etwas, das man überall tun kann: im Büro oder an Orten der Freizeit, wie bei einem Picknick. Sie kann sogar in Gefängnissen durchgeführt werden. Wenn man die Essenz der Dharma-Praxis wirklich erfasst hat, kann man überall und in jeder Situation praktizieren. Wie einige große Dharma-Meister gesagt haben, kann man den Dharma sogar im Schlaf praktizieren, wenn man weiß, wie man es macht. Unser Leben verbringen wir halb wach und halb schlafend, wenn wir also im Schlaf nützliche Dinge vollbringen können, ist das sehr gut.

Diese Art von Praxis soll jedoch nicht die formale Praxis vollständig ersetzen. Wir müssen eine gewisse formale Praxis ausüben. Wenn wir zum Beispiel morgens aufstehen, sollten wir in unseren Schreinraum gehen, wenn wir einen haben. Wenn wir keinen haben, dann haben wir vielleicht einen ruhigen Ort, an dem wir sitzen können. Wenn wir dorthin gehen, setzen wir uns hin und entspannen unseren Geist für eine Weile – wir denken über die Qualitäten und die Lehren unseres Lehrers nach; denken wir über Zuflucht nach. Wenn wir eine formale Praxis haben, Rezitationen oder ähnliches, tun wir das. Dann entspannen unseren Geist ein wenig.  

Als Nächstes sollten wir uns ein klares und starkes Ziel für den Tag setzen und sagen: „Heute werde ich etwas tun, das nützlich ist. Ich werde etwas tun, das für die Menschen nützlich und hilfreich ist. Selbst wenn ich nichts Gutes tun kann, werde ich zumindest versuchen, nichts Schädliches zu tun.“ Es ist wichtig, sich ein solches Ziel zu setzen. Wenn wir das tun, dann wird der Tag höchstwahrscheinlich nützlich und verheißungsvoll werden.

Wenn wir dann im Büro oder an unserem Arbeitsplatz ankommen, setzen wir uns auf unseren Stuhl oder an einen anderen Platz, den wir finden können, und lassen wir unseren Geist wieder ein wenig zur Ruhe kommen. Wenn wir unser Haus verlassen und uns auf den Weg zur Arbeit machen, wird unser Geist im Allgemeinen unterwegs in Aufruhr versetzt. Das hat zur Folge, dass unser Geist den ganzen Tag über unruhig und unruhig ist. Nehmen wir uns also bei unserer Ankunft auf der Arbeit etwas Zeit, um die Ruhe wiederzufinden, mit der wir unser Haus verlassen haben. Ich meine damit, dass wir uns zwei oder drei Minuten lang entspannen sollten.

Denken wir während dieser Zeit daran, dass die Arbeit, die wir tun, etwas ist, das für die Gesellschaft notwendig und nützlich ist. Nehmen wir uns vor oder verpflichten wir uns, unsere Arbeit auf eine positive Art und Weise auszuführen, so dass sie nützlich und förderlich sein wird. Wenn wir dies mit einer echten Motivation tun, dann kann die Arbeit, die wir verrichten, auch zu einer Praxis des Gebens werden, zu einer Form der Großzügigkeit.

Wenn wir nach der Arbeit nach Hause zu unserer Familie und Kindern (falls wir welche haben) zurückkommen, wollen wir uns liebevoll um sie kümmern. Wir wollen unsere Kinder so erziehen, dass sie für die Welt nützlich sind, jetzt und in der Zukunft. Die Erziehung unserer Kinder wird also auch zur Praxis des Dharma. Das heißt nicht, dass man die Kinder in den Dharma einführen muss, damit es als Dharma-Praxis gilt. Sich das Ziel zu setzen, die Kinder so zu erziehen, dass sie der Welt nützlich sind, und aufrichtig darauf hinzuarbeiten, ist selbst eine wahrhaft edle Praxis.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es äußerst wichtig ist, sich Zeit zu nehmen, um zur Ruhe zu kommen, bevor man sich um Kinder kümmert oder mit der Arbeit beginnt. Wir können auch sagen, dass dies eine Art formale Übung ist. Das ist sehr wichtig. Man muss sich einen Moment Zeit nehmen, um zielgerichtet oder bewusst über das Streben bei der Aufgabe nachzudenken, denn es geschieht nicht von selbst. Wir müssen uns bewusst darum bemühen, auf diese Weise zu sehen, zu fühlen und zu denken. Es ist wichtig, vor allem für Anfänger, bewusst zu denken, unsere Bestrebungen zu formulieren und zu versuchen, unseren Geist auf diese Bestrebungen auszurichten, bevor wir eine Aufgabe in Angriff nehmen. Das ist ein sehr wichtiger Schritt, um unser Üben zu formalisieren.

Quelle: 17th Gyalwang Karmapa’s Teachings — “Living The Dharma”

Die Nützlichkeit des Dharma

Die Vorteile, welche der Dharma mit sich bringt und wie sie vom Buddha und seinen Schülern dargelegt werden, sind das Ergebnis angemessener Dharma-Praxis. Du kannst den Nutzen nicht wirksam erfahren, indem du nur ein paar Unterweisungen zuhörst. Wenn du nicht praktizierst, wirst du glauben, dass der Dharma nicht funktioniert – besonderes, wenn Probleme auftauchen und du mit diesen nicht umzugehen versteht. Vielleicht gibst du den Dharma dann sogar ganz auf und hast nie einen Nutzen davon. Um dich über seine positiven Auswirkung zu freuen, praktiziere ihn erst einmal.

S. H. XVII Karmapa Ogyen Trinley Dorje – Die Zukunft ist jetzt

Persönliche Erlebnisse von SH  17. Karmapa Ogyen Trinley Dorje

Bis zum Alter von sieben Jahren lebte ich ein normales Leben, und hatte ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zu meiner Familie. Unsere war nicht diese Art von Familie, deren Vater weggeht, weil er woanders eine Arbeit hat, und in der die Mutter ebenfalls arbeitet. Wir waren die meiste Zeit zusammen. In den Abendstunden saßen wir gewöhnlich im Kreis um ein Feuer, und meine Eltern, oder andere ältere Verwandte erzählten Geschichten. Dadurch entstand ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl in der Familie.

Wie ich schon erwähnte, war ich ein Nomadenkind, und wir zogen häufig von einem Ort zum nächsten. Wir waren viel unterwegs und besaßen sehr viel Freiheit. In der weiten, offenen Landschaft, die uns umgab, konnten wir Kinder überall hinrennen, wohin wir wollten. Die Gefahr, von einem Auto angefahren zu werden, bestand dort nicht. Es gab in unserer Umgebung nicht einmal feste Gebäude – außer da, wo wir im Winter waren –, und im Sommer lebten wir in einem Zelt aus Yakhaar. Daher wuchs ich mit großer Bewegungsfreiheit auf.

Im Alter von sieben Jahren verließ ich ganz plötzlich meine Familie, um in einem weit entfernten Kloster zu leben. Das Kloster Tsurphu hat drei Stockwerke, und man quartierte mich in Wohnräumen ein, die sich ganz oben befanden. Ich war nun von meiner Familie getrennt, und mein früheres Lebensgefühl wurde durch ein neues verdrängt. Als das passierte, fühlte ich etwas, das man als Leiden oder Unglücklichsein bezeichnen könnte. Kinder brauchen andere Kinder im selben Alter, um mit ihnen zu spielen, aber als ich nach Tsurphu kam, gab es dort niemanden, der gleichaltrig mit mir war. Alle um mich herum waren alt, und nicht genug, dass sie alt aussahen, sie strahlten auch noch Ernst aus. Sie schauten mich so an, als wollten sie sagen: „Ich will nicht mit dir spielen. Was machst du da eigentlich?“

Ich erzähle das, weil ich in dieser Situation herausfand, dass auch andere die Rolle meiner Eltern und Freunde übernehmen konnten. Ich hielt also Ausschau. Viele Menschen aus der ganzen Welt kamen, um mich zu sehen. Die meisten von ihnen sahen mich als ihren Lehrer an. Für sie war ich eine hochgestellte Persönlichkeit, und sie nahmen mich sehr ernst. Ich dagegen vermisste meine Eltern und meine Freunde. In mir gab es eine Leere, und ich versuchte, die Lücke, die sie hinterlassen hatten, zu füllen.

Wenn ich mich umschaute, sah ich, dass mir das meiste, was ich besaß, von anderen gegeben worden war. Das weckte in mir das Gefühl, dass da immer Menschen waren, die sich um mich kümmerten. Langsam erkannte ich, dass ich nicht nur meine biologischen, sondern auch andere Arten von Eltern hatte, die mir halfen. Wenn es darum geht, die Welt von innen heraus zu verändern, dann beinhaltet dies das Kultivieren von starker Liebe und Zuneigung im eigenen Geist. Dies geschieht schrittweise, aus freien Stücken und auf eine Weise, die sich sehr angenehm anfühlt. Entwickelt man so Mitgefühl, dann entsteht es ganz natürlich und ist authentisch.

S. H. XVII Karmapa Ogyen Trinley Dorje -Mitgefühl entfalten und leben   

Gedanken von HH. 17. Karmapa zu einem bedeutungsvollen Leben

Ein bedeutungsvolles Leben hängt vollkommen von anderen Lebewesen ab. Wir existieren nicht isoliert von anderen Wesen und ob unser Leben Bedeutung hat oder nicht, hängt davon ab, dass andere da sind, denen wir helfen oder nutzen können. Karmapa erklärt, dass das Glück und die Freude in den Augen der Menschen zu sehen, ihm das Gefühl gibt, dass sein Leben bedeutungsvoll ist.  

Die Bedeutung des Widmens

S. H. XVII Karmapa Ogyen Trinley Dorje

Wir alle haben heilsame Aktivitäten durchgeführt. Ob sie ein umfassendes Resultat erzielen oder nicht, hängt vor allem vom Widmen des Verdienstes ab. Es ist daher sehr wichtig, dass wir unsere Widmung so umfassend wie möglich machen. Damit eine Widmung vollständig ist, müssen eine Reihe von Faktoren zusammenkommen. Zunächst sollten wir wissen, welche Verdienste, das heißt also, welche positiven, heilsamen Aktivitäten von Körper, Rede, Geist, wir widmen wollen. Traditionell werden sie in zwei Kategorien unterteilt: diejenigen, die wir selbst gesammelt haben, und jene, die andere gesammelt haben.

Die erste Kategorie enthält zum einen die Verdienste, die darauf beruhen, dass wir die Lehren studiert und über sie nachgedacht haben, und auch tugendhafte Handlungen, zu denen uns andere ermutigt haben. Die zweite Kategorie umfasst die Verdiente der anderen – sowohl die, über die wir uns gefreut haben, als auch solche, zu denen wir keine offensichtliche Verbindung haben.  

Als Nächstes überlegen wir, welchem Zweck wir unsere tugendhaften Handlungen oder Verdienste  widmen wollen. Es steht uns frei, sie dem Zweck zu widmen, ein mächtiger und gütiger Führer zu werden oder in einem Höheren Bereich Wiedergeburt zu erlangen, und das diesem Bereich entsprechende Glück zu erleben. An dieser Art der Widmung ist im Prinzip nichts auszusetzen. Allerdings wird sich der Vorrat an angesammelten Tugenden aufbrauchen, sobald wir das Resultat einer solchen Widmung erleben.

Außerdem können wir diesen Vorrat an angesammelter Tugend zerstören, falls wir ärgerlich werden, ehe wir das Resultat der Widmung erlangen. Deshalb sollten wir einen geeigneten Zweck für unsere Widmung wählen. Das höchste Ziel ist das Verwirklichen der vollkommenen Erleuchtung. Widmen wir unsere Verdienste diesem Zweck, werden sie sich bis zum Erlangen der vollkommenen Erleuchtung nicht verringern, sondern sogar vermehren. Selbst wenn wir vor Ärger oder einer anderen negativen Emotion überwältig werden, ehe wir das Resultat erlangt haben, wird dieser Zwischenfall unsere Verdienste nicht zerstören, da sie durch das Widmen sehr wirkungsvoll und umfassend geworden sind.

Drittens gilt unsere Widmung dem Wohl der anderen, damit unendlich viele Wesen von Leid befreit werden und wirkliches Glück sowie den endgültigen Ort des Glücks, die Ebene des kostbaren Erwachens, erlangen mögen. Es ist zwar legitim, die Verdienste nur dem eigenen Wohl zu widmen, doch wir sollten wissen, dass wir dann auch nur eine begrenze Wirkung erzielen. Deshalb ist es gut, wenn unsere Widmung umfassend ist und auch dem Wohl der anderen gilt.   Ich möchte noch einen weiteren wichtigen Punkt erwähnen.

Während wir widmen, sollten die drei Aspekte (auch bekannt als die der Sphären oder drei Räder) gänzlich rein oder leer sein. Dies sind das Subjekt, das die Widmung durchführt, die Handlung des Widmens und das Objekt der Widmung. Alle drei sind von ihrer eigentlichen Natur her leer, und in diesem Bewusstsein führen wir die Widmung durch. Wenn wir bei unserer Widmung diese drei Aspekte beachten, ist sie vollständig rein und wirksam.

Anfängern wird es jedoch unter Umständen etwas schwer fallen, Verdienste in dem Bewusstsein zu widmen, dass die drei Aspekte der Handlung leer sind. Diese Art von Fokus ist nicht so einfach. Wenn wir nicht in der Lage sind, auf solche Art zu widmen, können wir das folgende Wunschgebet sprechen: „Wie die großen Bodhisattvas, zum Beispiel Chenrezig und Manjushri, ihre Verdienste in der Erkenntnis gewidmet haben, dass die drei Aspekte leer sind, so möchte auch ich meine Verdienste widmen.“

Ich bete dafür, dass Sie imstande sein werden, auf diese hervorragende Art zu praktizieren.    

Die Dichtkunst des 17. Karmapa

Die tibetische Literatur ist von Poesie durchwoben. Fast alle meditativen Praktiken und viele philosophische Texte sind in Versform abgefasst.  Die poetische Form beflügelt die Einsicht und dient zudem als Gedächtnisstütze, wobei das metrische Maß dazu beiträgt, sich die Worte besser einprägen zu können. Der Karmapa sagt:

Etwa drei oder vier Jahre  nach meiner Ankunft in Tsurphu habe ich damit begonnen, Gedichte zu schreiben. Mein erster Lehrer auf diesem Gebiet war Lama Nyima, der mir den Spiegel der Poesie erklärt hat. Im Anschluss an seine Erklärung habe ich angefangen, ein wenig zu dichten, wenn ich nicht zu viele Gefühle habe, weder starke Glücksgefühle noch starke Leidensempfindung. Manchmal schreibe ich aber auch, wenn ich freudvoll bin. Wenn ich betrübt bin, schreibe ich nur wenig, nicht viel.

Auf die Frage nach dem Anfang seiner Malerei antwortete der Karmapa: „Richtig damit angefangen habe ich erst in Gyuto in Indien. Als ich noch in Tibet war, habe ich aber bereits etwas mit Farben gearbeitet und vorgezeichnete Umrisse ausgemalt. Als ich in Indien angekommen war, fing ich dann wirklich an zu zeichnen. Es gibt eine enge Verbindung zwischen Poesie und Malerei. In der Malerei benutzt man schön gezeichnete Formen wie die von Bergen, Seen und Bäumen, um etwas den Augen Angenehmes zu erschaffen. In der Poesie, die ja an Sprache gebunden ist, verwendet man Worte, um etwas Interessantes und Schönes zu erschaffen. Musik und Gesang sind angenehm für das Ohr und eng mit der Dichtkunst verbunden. Als ich die Poesie schätzen lernte, fing ich an, auch die anderen Künste zu mögen.“  

Karmapa komponiert auch gern Musik. Über die Verbindung zwischen Musik und Meditation sagt er: „Eine schöne Melodie zu hören kann deinen Weisheitskörper erwecken, und dadurch eine friedvolle und harmonische Wirkung auf deinen Geist ausüben, und zwar auf gleiche Weise, wie die Meditation des Ruhigen Verweilens inneren Frieden herbeiführt. Wenn du Ruhe bewahren kannst, wirst du dich innerlich weiterentwickeln, und durch tiefere Einsicht den langen Weg bis hin zur höchsten Ebene der Realisation emporsteigen.“

Poesie des 17. Karmapa

Der Mond der Glückseligkeit
Dieser junge weiße Mond, Schatzhaus des Geistes, glänzt mit seinen Zeichen und Merkmalen. 
Ein hörbarer Nektar lässt die süße Melodie der Lehren erklingen, die zu Reife führen und befreien. 
Möge ein Freude spendender Nektar-Regen aus diesem Mond großer Glückseligkeit über, unter und auf dieser Erde, Glück verheißende Herrlichkeit aufscheinen lassen.

Anmerkungen:

Dieses reich verwobene Gebet gehört zu der Tradition von Tashi- oder Wunschgebeten oder Glück verheißenden Gebeten, die als Teil der Widmung am Ende einer Praxis stehen. Die angestrebte Wirkung besteht darin, das Universum erstrahlen zu lassen; alle Verdienste und alles Gute sollen sich überallhin ausbreiten. Mit Zeichen und Merkmalen sind die speziellen eines Buddha gemeint. Die Lehren, die zur Reife führen und befreien, beziehen sich auf das Vajrayana.

S. H. XVII Karmapa Ogyen Trinley Dorje – Augenblicke der Erleuchtung, Teil II

Zeit

Manchmal denken die Menschen an Dharma als ein Ritual, etwas, das man mit seinem Körper und mit seiner Rede ausübt, oder als eine Art besondere Handlung mit einigen besonderen Aktivitäten. Diese Art der Dharma-Praxis findet gewöhnlich zu einer besonderen Zeit im Schreinraum oder Meditationsraum statt.

Aber wenn man genau hinsieht, ist der Dharma nicht nur das. Dharma ist kein Ritual, nicht etwas, das man nur mit seinem Körper oder seiner Sprache tut. Dharma ist tatsächlich etwas, das den Geist transformiert, etwas das deinen Geist verändern sollte. Wenn wir aggressiv oder wütend sind, versuchen wir zu verstehen, warum es nicht so sein sollte. Wir belehren uns selbst. Wir versuchen, uns zu ändern, und wir werden langsam weniger wütend. Oder wenn wir jemand sind, der sehr anhänglich ist und sich an andere klammert, dann tun wir etwas dagegen.

Wir verwandeln uns selbst. Wir transformieren uns von innen heraus und beginnen, die Kraft dieser Emotion abzuschwächen. Das ist es, was wir eigentlich mit Dharma-Praxis meinen. Bei dieser Art von Dharma-Praxis braucht man keine besondere Zeit. Man kann sie im Alltagsleben praktizieren. Man kann die Dharma-Praxis auch dann ausüben, wenn man bei der Arbeit ist.

Dharma ist etwas, bei dem du deine Denkweise, dein Streben, dein Handeln und Reagieren betrachtest und überprüfst, wie du diese ändern kannst, und wie du mit anderen Menschen in Kontakt kommen und ein Gefühl der Verbundenheit entwickeln kannst. All diese Aspekte untersuchst du und wirst dir bewusst wie du denkst und handelst. Diese Art von Praxis ist sehr wichtig.

S. H. XVII Karmapa Ogyen Trinley Dorje

Zehn Dinge, die wir tun können, um der Umwelt zu helfen

Wunschgebete sprechen
Wir sprechen Wunschgebete für alle Lebewesen. Diese sollten auch die Erde einschließen, die uns trägt und uns das Leben schenkt. Wir können für eine harmonischere Welt beten, in der die Menschen erkennen, wie ihre Handlungen der Erde geschadet haben, und dass sie ihr Verhalten entsprechend ändern.

Verständnis für Umweltfragen entwickeln
Darüber lesen, diskutieren über diese Fragen und wie sie uns und unsere Gemeinschaft beeinflussen.

Vegetarier werden
So werden wir nicht nur Mitgefühl für alle Lebewesen praktizieren, sondern wir werden auch weniger Rohstoffe verbrauchen. Man benötigt rund 10.000 Liter Wasser, um ein Kilogramm Rindfleisch zu produzieren, aber nur 750 Liter Wasser für die Produktion von einem Kilogramm Weizen.

Einfach leben
Unsere grundlegenden Vinaya-Gelübde praktizieren und so einfach wie möglich leben, ohne unnötigen Besitz.

Den Menschen ökologische Werte nahebringen
Wann immer es möglich ist, lehren wir Geschichten und buddhistische Traditionen, die die Harmonie zwischen Natur und Mensch veranschaulichen.

Unsere Umwelt nicht verschmutzen
Wir sammeln unseren eigenen Müll und entsorgen ihn ordnungsgemäß.

Weniger Papier benutzen
Eine Menge Bäume werden einfach nur gefällt, um daraus Papier zu machen. Schon eine kleine Entscheidung wie z.B. die, Papier auf beiden Seiten zu bedrucken, macht einen großen Unterschied.

Weniger Plastik benutzen
Wir benutzen Plastiktaschen und Plastikdinge für einige wenige Stunden, manchmal nur für ein paar Minuten. Es dauert jedoch mehr als 500 Jahre, bis Plastik auf der Mülldeponie vollständig abgebaut ist.

Für Opfergaben etwas Gesundes auswählen
Wir kaufen lieber Früchte anstelle von Süßigkeiten, die oft noch einzeln verpackt sind, oder Topfpflanzen anstelle von Schnittblumen.

Licht und Strom ausschalten
Wenn wir ein Licht oder elektrisches Gerät sehen, das eingeschaltet ist, aber nicht benutzt wird, so schalten wir es aus.

S.H. der 17. Karmape Ogyen Trinley Dorje

Ego-Fixierung

Die Dharmapraxis dient dem Zweck, die störenden Emotionen und Konzepte zu beruhigen, mit denen unser Geist angefüllt ist. Wenn wir die Belehrungen innerlich verarbeiten und sie unseren Geist durchdringen, kann sich die Kraft des Dharma entfalten und die störenden Emotionen und Konzepte zur Ruhe bringen. Erwecken wir jedoch lediglich äußerlich den Anschein, den Dharma zu praktizieren, ohne dass sich unsere Konzepte und störenden Gefühle verringern, dann nennen wir uns bloß Praktizierende, ohne es jedoch zu sein. Das soll nicht heißen, dass unser Verhalten, das wir nach außen hin zeigen, wie unsere Umwelt uns wahrnimmt, unwichtig wäre, doch entscheidend ist die Schulung, die unseren Geist zähmt.

Hauptsächlich zähmen wir die drei wichtigsten Geistesgifte Unwissenheit, Anhaftung und Abneigung. Unwissenheit, die Wurzel der anderen beiden, wird definiert als das fortgesetzte Anhaften an einem Selbst, von dem wir annehmen, es sei beständig und unabhängig. Dieses Festhalten am Ego ist die Hauptursache für unsere ewige Wiederkehr im Samsara. Es geht uns um den eigenen Vorteil, wenn wir uns wünschen, wir wären im Paradies. Ebenso wünschen wir zu unserem eigenen Vorteil, wir könnten alles Leiden beenden. Wir klammern uns an dieses „Ich“ und halten es für etwas so Besonderes, dass wir meinen, wir sollten nicht mit Problemen behelligt werden, sondern Reichtum, Kraft und Charisma genießen.

Wenn wir unseren Geist ehrlich prüfen, ist diese Art des groben und offensichtlichen Greifens nach einem Selbst sehr leicht zu erkennen. Es gibt auch subtilere Formen des Anhaftens an ein Selbst und das, was zu ihm gehört („mein“), wie den nur kurz aufblitzenden Gedanken an uns selbst, bevor wir an den Nächsten denken. Dadurch, dass wir den Dharma praktizieren, zähmen wir das grobe und das subtile Festhalten an einem Selbst. Geschieht dies nicht, werden wir unsere störenden Gefühle nur vorübergehend unterdrücken können, indem wir uns eine Weile von ihnen distanzieren. Um sie vollständig zu durchtrennen, müssen wir regelmäßig und ausdauernd praktizieren.

Es gibt viele Mittel, um Ego-Fixierung zu lockern und schließlich ganz aufzulösen. Diese Praktiken sind grundlegend, da das Anhaften an einem Selbst die Ursache für die Geistesgifte und die von ihnen motivierten Handlungen bildet und so das Leiden und die Wiedergeburt im Daseinskreislauf erzeugt. Wir erkennen einfach nicht, dass es ein getäuschter Geist ist, der denkt „ich bin“, der an einen Selbst festhält, und es dann hegt und pflegt. Beim Praktizieren sollten wir auch darauf achten, dass wir das Anhaften an einem Selbst nicht gegen das Anhaften am Dharma eintauschen. Denn wenn wir am Dharma anhaften, wird uns dies nur zum Anhaften an unser Ego führen, statt dazu, dieses zu durchtrennen.

S. H. XVII Karmapa Ogyen Trinley Dorje – Augenblicke der Erleuchtung, S. 74-76

Erklärungen zum ersten der acht Verse des Geistestrainings

Indem ich alle fühlenden Wesen für kostbarerer halte
als jedes wunscherfüllende Juwel,
um das höchste Ziel zu erreichen,
werden sie mir stets am Herzen liegen

Ziemlich lange habe ich gebraucht, um herauszufinden, was hier mit „wunscherfüllendes Juwel“ gemeint ist und wie man es am besten erklären kann. Das wunscherfüllende Juwel ist ein Edelstein, der aus dem Ozean stammt. Er ist äußerst schwer zu erlangen. Man muss auf eine lange Seereise gehen, um ihn vom König der Nagas zu erhalten. Hast du das Juwel erst einmal gefunden und betest zu ihm und opferst Gaben, dann wird es, laut dem Mythos, all deine Wünsche erfüllen.

Für mich war es sehr schwierig, etwas zu finden, mit dem wir das Juwel ersetzen könnten. Ich habe aus mehreren Blickwinkeln darüber nachgedacht und schließlich fiel mir ein, dass wir heutzutage oft Geld für etwas Ähnliches wie ein wunscherfüllendes Juwel halten, denn wir können unsere Wünsche erfüllen, wenn wir Geld haben. Man kann gutes Ansehen erreichen, Einfluss nehmen und so weiter. Geld zu haben ist also eigentlich dasselbe wie ein wunscherfüllendes Juwel zu besitzen. Das wunscherfüllende Juwel verschafft Glück oder Buddhaschaft ebenso wenig wie Geld das kann.

Heutzutage halten wir Geld für besonders wichtig. In Wirklichkeit ist Geld aber nur ein Mittel, um uns materielles Glück zu verschaffen. Und dennoch identifizieren wir Geld irrtümlicherweise als das Glück selbst und es wird zu unserem Hauptaugenmerk. Bei diesem Vers also, denke ich, wird es einfacher, die Bedeutung des wunscherfüllenden Juwels zu verstehen, wenn man erkennt, dass alle fühlenden Wesen weitaus wichtiger als Geld sind. Was ist der Grund dafür, dass die fühlenden Wesen sogar bedeutsamer und wichtiger als das wunscherfüllende Juwel sind? Der Grund ist, dass das wunscherfüllende Juwel uns nur äußerlichen Reichtum bringen kann; es kann nicht unser Mitgefühl entwickeln. Es kann uns nicht prajna (große, umfassende Weisheit) geben. Es kann uns kein Glück verschaffen. Es kann uns nicht die Buddhaschaft bringen. Und doch, wenn wir die fühlenden Wesen hochschätzen, wenn wir in uns selbst die Haltung und die Motivation tragen, für den Nutzen der anderen zu arbeiten, dann werden wir liebende Güte, Mitgefühl, prajna, den Zustand der Buddhaschaft und Glück entwickeln können.

Aus diesem Grund ist es wertvoller, andere hochzuschätzen als ein wunscherfüllendes Juwel zu besitzen. Normalerweise stellen wir Buddhas und Bodhisattvas an eine sehr hohe Stelle. Wir opfern ihnen und werfen uns vor ihnen nieder. Aber wenn wir jemanden sehen, der nicht so schön ist, der vielleicht schmutzige Kleidung trägt und dessen Gesicht dreckig ist, dann tun wir alles, was wir können, um diese Person von uns fern zu halten, sie daran zu hindern, uns zu nahe zu kommen. Wenn wir aber eigentlich von allen fühlenden Wesen als Buddhas denken, dann können wir den Ton-Vergleich ziehen: Wir können aus Ton viele verschiedene Formen schaffen, aber das Wesen des Tons bleibt das gleiche. Wenn wir dann diesen Ton nehmen und ihm die Form eines Buddhas geben und ihn an eine besondere Stelle stellen, dann schätzen wir ihn, machen Opfer und werfen uns nieder. Wenn wir denselben Ton in die Form eines Hundes oder eines Schweins bringen würden, dann würden wir all das nicht tun. Das Material ist dasselbe, aber die Form ist eine andere – die eine Form ist ein Buddha, die andere ein Hund oder ein Schwein.

Wenn wir meinen, die äußere Form sei wichtiger als der Ton selbst, dann werden wir Hunden und Schweinen weder einen besonderen Platz einräumen noch ihnen Opfer darbringen. Dieser Vers drückt dies aus: Wenn wir selbst Glück und den Zustand der Buddhaschaft erreichen wollen, dann müssen wir verstehen, dass es keinen Unterschied zwischen Buddhas und fühlenden Wesen gibt; was das Material, die Qualitäten, den Nutzen betrifft, sind sie ein und dasselbe. Es sei wichtig, wird gelehrt, den Buddhas Opfer darzubringen und zum Nutzen der fühlenden Wesen zu handeln, um Buddhaschaft zu erlangen, und wir betrachten Buddhas, Bodhisattvas und Gottheiten als am wichtigsten. Aber wir müssen auch die fühlenden Wesen wertschätzen und ihre Qualitäten anerkennen.

Aus: Finding Genuine Practice – the Eight Verses of Training the Mind, ein Teaching von S.H. Karmapa Ogyen Trinley Dorje

Eine bessere Zukunft von HH 17th Karmapa

Unsere Hoffnung auf eine bessere Zukunft legt eine schwere Verantwortung auf jüngere Generationen. Wie dieser Herausforderung begegnen? Versuche dich auf Gebieten zu bilden, die der Gesellschaft von Nutzen sein werden. Lerne und praktiziere spirituelle Disziplinen, die dein Herz und deinen Geist öffnen. Arbeite mit anderen zusammen und stelle mit allen Menschen harmonische Beziehungen her, ungeachtet ihrer Volkszugehörigkeit, ihres Geschlechtes oder Alters. Tu alles, was du kannst, um Missbrauch unserer natürlichen Ressourcen und die Zerstörung unserer Umwelt zu beenden. Mit ethischem Urteilvermögen könnt ihr Blüte und Wohlstand für die Welt und die Menschheit schaffen. Andernfalls blicken wir in eine trostlose Zukunft    

Welleneffekte

Interdependenz oder gegenseitige Abhängigkeit beinhaltet Kausalität – die Art und Weise, wie Dinge aufgrund des Zusammentreffens von bestimmten Ursachen und Bedingungen geschehen. Je genauer und tiefgründig unser Verständnis von Kausalität ist, desto effektiver können wir die Ergebnisse erreichen, die wir uns wünschen – sei es ein gesünderer Planet, eine gerechtere Gesellschaft oder ein glücklicheres Leben. Während einiges von dem, was wir im Leben erleben, das direkte Ergebnis unserer Bemühungen ist, sind andere Bedingungen, die uns betreffen, überhaupt nicht von uns gewählt.

Es ist viel einfacher, unsere Rolle in den Ergebnissen unserer absichtlichen Handlungen zu erkennen. Schwieriger ist es, unsere Rolle in den indirekten Ergebnissen dieser Handlungen zu erkennen. Heirat und Berufswahl sind Bedingungen, die das Leben eines Menschen prägen und die er oder sie direkt bewusst schafft. Aber unsere Handlungen haben auch viele Folgen, die wir vielleicht nicht vorhergesehen haben. Unsere Handlungen wirken sich direkt oder indirekt auf andere aus, und sie schaffen auch Bedingungen, die wir später selbst erleben müssen, ob wir wollen oder nicht. Dass wir uns in Situationen befinden die wir uns nicht ausgesucht haben, sondern die durch unsere früheren Handlungen entstanden sind, ist einfach eine weitere Facette des Lebens innerhalb des Netzes der Kausalitäten, die wir auf eigene Gefahr hin meist ignorieren.

Wenn wir uns durch die Welt bewegen, lösen wir eine lange Reihe von Ereignissen aus, von denen jedes die Ursache für das nächste ist. Eine einzelne Handlung wirkt sich auf einen viel größeren Bereich aus, als wir im Allgemeinen erkennen und für möglich halten. Unsere Handlungen haben Welleneffekte jenseits jener direkten Ergebnisse, die wir leicht wahrnehmen und als Folgen unserer Handlungen erkennen. Im Buddhismus verwenden wir oft den Begriff Karma, um die Beziehung zwischen absichtlichen Handlungen und ihrer gesamten Bandbreite an Ergebnissen zu beschreiben. Es ist jedoch nicht notwendig, solche Begriffe zu verwenden, um zu verstehen, dass aufgrund der gegenseitigen Abhängigkeit, alles was wir tun, eine Auswirkung nicht nur auf uns und unsere unmittelbare Umgebung hat, sondern weit darüber hinaus.

Die Erweiterung unseres Blickfeldes ist entscheidend, wenn wir die subtileren Abläufe der gegenseitigen Bedingtheit aller Dinge verstehen und voll schätzen wollen. An Anfang mag unser Fokus auf unsere unmittelbare Umgebung gerichtet sein und auf die Art und Weise, wie die gegenseitigen Abhängigkeiten uns persönlich als Individuum beeinflussen. Aber um die Rolle der Interdependenz bei der Gestaltung unserer Welt und unserer Erfahrung mit ihr voll zu schätzen, müssen wir ein Bewusstsein für Ursachen und Wirkungen, Aktionen und Reaktionen, in einem stark erweiterten Kontext entwickeln.

Interconnected: Embracing Life in Our Global Society von S. H. 17. Karmapa Ogyen Trinley Dorje, S. 24 und 25  

Was ist oder wer war Arya Kshema?

Das Winter-Dharma-Treffen wurde 2014 von S. H. dem 17. Gyalwang Karmapa, Ogyen Trinley Dorje, gegründet, als Teil seines Engagements, das Niveau der Ausbildung von Nonnen durch das abgestufte Studium der buddhistischen Philosophie und Debatte zu erhöhen, um es auf das gleiche Niveau wie das der Mönche zu bringen. Obwohl das Arya Kshema in erster Linie für Nonnen innerhalb der Karma-Kagyü-Linie gedacht ist, sind auch Nonnen aus anderen Kagyu-Linien und tibetisch-buddhistischen Schulen willkommen. Während der Winter-Dharma-Versammlung basiert das Studienprogramm der Nonnen auf denselben Lehrbüchern, die die Mönche während ihrer Winter-Debatten-Sitzung verwenden, und die speziell von Seiner Heiligkeit und einem Team von Gelehrten und Shedra-Studenten zusammengestellt wurden.

Der Karmapa entschied sich, das Arya Kshema nach der gleichnamigen Nonne zu benennen, die die bedeutendste der weiblichen Schüler des Buddha war, die weiseste der Weisen und die selbstbewussteste. Dies soll der Anlass für die Nonnen sein, besser ausgebildet und selbstbewusster zu werden.

Darüber hinaus ist das Arya Kshema Teil einer fortlaufenden Strategie, die Nonnen zu stärken und sie zu ermutigen, mehr Verantwortung zu übernehmen, sowohl innerhalb ihrer eigenen Nonnenklöster als auch im weiteren Sinne bei der Aufrechterhaltung der buddhistischen Lehren. Jedes Jahr übernimmt eines der teilnehmenden Nonnenklöster die Verantwortung für die Organisation des Arya Kshema, und die Chöpons, Gesangsleiter und Musiker werden von einem anderen Nonnenkloster bereitgestellt.

Darüber hinaus fanden während des Arya Kshema auch die ersten Schritte der Initiative des Gyalwang Karmapa zur Wiedereinführung der Bhikshuni-Linie (das heißt der vollen höchsten Ordination der Nonnen zur Gelongma) in die Karma Kagyü Tradition statt.  

„Ich denke, es ist wichtig für mich, alles zu tun, was ich kann, um die Lehren und die Praxis der Nonnen zu unterstützen und ihr Studium, ihre Kontemplation und ihre Meditation zu fördern. Deshalb möchte ich mich von ganzem Herzen so viel wie möglich dafür einsetzen. Ich denke, das ist etwas, das für mich von jetzt an bis zum Ende dieses Lebens angemessen ist. Ich denke, es ist etwas, das gut zu den Aktivitäten der früheren Karmapas passt, und es ist auch etwas, das in unserer heutigen Gesellschaft definitiv notwendig ist.“

17th Gyalwang Karmapa,- 2. Arya Kshema, January 2015

Quelle: Arya Kshema – Winter Dharma Gathering for the Kagyu Nuns

Wie wir Frieden finden können

In der Vergangenheit war Tibet reich an Wissen und spirituellen Traditionen, die anderen Überlieferungen in nichts nachstanden. Doch in den vergangenen Jahren haben die Tibeter viel Unglück erlebt. Ihre spirituellen Traditionen und Wissensschätze sind in vielen Bereichen stark im Niedergang begriffen. Wir setzen unsere ganze Kraft hinein, dieses Wissen und diese Traditionen lebendig zu erhalten. Natürlich müssen wir sie studieren, aber nicht nur das: Es gilt, eine aufrichtige Absicht und ein reines Herz zu entwickeln.

Wir sind ein Volk, das seit Jahren sowohl viel Glück, als auch viel Leid erfahren hat. Für jeden von uns ist es entscheidend, einen starken Geist zu entwickeln. Die Lehren des Dharma sind Tibets spezielles Erbe. Sie sind so umfangreich, dass wir sie unermesslich nennen. Außerdem sind sie allgemein anerkannt, weil sie auf den gültigen Erkenntnissen in ihren Schriften und auf logischer Beweisführung beruhen. Frieden und Wohlergehen lassen sich durchaus in dieser Welt finden. Selbst für Tibet ist Frieden nicht unmöglich. Wir sollten verstehen, dass die anderen Menschen ebenso nach Glück streben wie wir selbst.

In der Welt von heute entstehen viele Probleme, weil die Menschen sich nicht für Dinge einsetzen, die sie auf einen Pfad leiten, der ihnen nützt, und sie wirklich glücklich macht. Wenn wir den ganzen Tag vom morgendlichen Aufwachen bis zum Schlafengehen am Abend mit einer warmherzigen Einstellung und einem fröhlichen Gesicht verbringen, mit allen Menschen auf gutem Fuß stehen und freundlich mit ihnen sprechen, werden wir abends beim Zubettgehen geistig entspannt sein. Verbringen wir jedoch den Tag in Streit und Konkurrenz mit anderen, werden wir, selbst wenn wir die Oberhand behalten haben, beim Schlafengehen unruhig sein und vieles bereuen.

Ein reines Herz ist etwas Kostbares, das wir nicht einfach in der Apotheke kaufen, wie ein Medikament einnehmen, oder uns durch eine Kur einverleiben können. Selbst wenn wir in eine Großstadt gehen würden, um dort ein reines Herz zu kaufen, müssten wir feststellen, dass es um keinen Preis zu haben ist. Wie finden wir es also? Mit dem aufrichtigen Wunsch, es zu entdecken, disziplinieren wir unseren Geist mithilfe unseres eigenen Geistes. Wenn eine solche Motivation in uns entsteht, profitieren wir selbst und alle anderen davon, und unser Leben erhält einen Sinn.

Möge sich ein jeder von uns mit beständiger, reiner Motivation und unbeirrbarem Mut bemühen, sein Leben sinnvoll zu gestalten.

S.H. 17. Karmapa – Augenblick der Erleuchtung, S. 22-23

Die Macht von Mitgefühl vom 17. Karmapa Ugyen Trinley Dorje, Bonn 2015

Unter den vielen verschiedenen Religionen, verschiedenen Rassen und Traditionen, die diese Welt teilen, scheint es oft bemerkenswert wenig Sinn für Einheit zu geben. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wir viele unnötige Ängste und Zweifel anderer beseitigen können“, sagte er, „wenn wir uns nur an die grundlegende Realität unserer grundlegenden menschlichen Gleichheit erinnern könnten.“ Wir sind häufig nicht fähig, Bezug zu dem Leiden anderer herzustellen, es sei denn, ihre Probleme wirken sich auf uns aus. In dieser Hinsicht kann ein größeres Bewusstsein für das Prinzip der gegenseitigen Abhängigkeit helfen, ebenso wie unser Training in der bewussten Entwicklung von Güte und Mitgefühl. Über unsere persönliche Praxis: Wir sollten uns nicht auf einen spirituellen Weg begeben, in der Erwartung, dass man sich wohl und glücklich fühlt, wenn man sein Mitgefühl entwickelt.

„Das Training in Liebe und Mitgefühl ist nicht immer glücklich und fröhlich „, warnt er.“ Wenn wir erwarten, dass wir uns beim Training wohl fühlen, besteht die Gefahr, dass wir entmutigt werden, wenn wir widrigen Bedingungen ausgesetzt sind.“ Er beschreibt die Erwartung, dass unsere Praxis angenehm verläuft, als den Hauptgrund, warum wir steckenbleiben und nicht weiterkommen. Stattdessen sollten wir tatsächlich auf widrige Bedingungen hoffen, damit wir lernen können, sie zu überwinden, und unsere Liebe und unser Mitgefühl wirklich zu stärken. Er wies darauf hin, dass Bodhisattvas gerade deshalb als heldenhaft angesehen werden, weil sie die Herausforderungen, die sich aus widrigen Bedingungen auf dem Weg ergeben, nicht scheuen. „Jeder kann heldenhaft und mutig sein, wenn die Dinge angenehm sind“, sagte er. „Es braucht einen wahren Helden, um angesichts von Schwierigkeiten mutig zu sein“.

Karmapa reflektierte, dass eine Schlüsselqualität von Bodhisattvas darin besteht, dass sie sich selbst ermutigen und ihre eigene Entschlossenheit aufrechterhalten können. Die Praxis von Chenrezig ist eine Methode, mit der wir lernen können, uns auf ähnliche Weise zu ermutigen. Wenn wir uns als Chenrezig vorstellen, das heißt, wenn wir daran denken, dass wir Ausdruck der Kraft des Mitgefühls aller Buddhas sind, gibt uns das definitiv mehr Stärke und Überzeugung.  „Dies dient als Methode, um in sich die Superkraft des Mitgefühls zu stärken.“  

Gegenseitige Abhängigkeit vom 17. Karmapa Ogyen Trinley Dorje

Wir tendieren dazu, den Wert eines Elefanten hoch einzuschätzen, weil er groß ist. Schaut man dagegen ein Insekt an, so kann es einem im Vergleich so vorkommen, als sei es unbedeutend und zu nichts fähig. Man könnte denken, es sei unnütz, aber in Wirklichkeit haben alle Lebewesen auf diesem Planeten ihre spezielle Aufgabe. Der genaue Grund dafür ist die Tatsache, dass sich alle in einer gegenseitigen Abhängigkeit befinden und sich gegenseitig unterstützen. Alle sind formgebende Teile desselben biologischen Systems. Eine Biene etwa hat nur einen kleinen Körper, ist aber von großem Nutzen. Bienen nehmen von den Blüten den Pollen auf und befruchten so andere Pflanzen. Für den Planeten und die Menschheit ist das außerordentlich wichtig.

Man hört immer häufiger von Wissenschaftlern, welche speziellen Funktionen die einzelnen Arten erfüllen. Tatsache ist, dass wir alle miteinander verbunden sind. Alles auf diesem Planeten – das Belebte und das Unbelebte und besonders die Lebewesen – steht alles miteinander in Wechselbeziehung und ist miteinander vernetzt. Alles ist mit allem verbunden. Im Buddhismus gibt es eine sehr schöne und treffende Bezeichnung, um diese Art der Beziehung zu beschreiben: man spricht von der „Beziehung zwischen Mutter und Kind“. Diese Bezeichnung bedeutet nicht, dass zwischen voneinander getrennten Objekten ein Bezug hergestellt wird, so als wäre hier irgendeine Mutter und dort irgendein Kind. Gemeint ist mit „Beziehung von Mutter und Kind“ in diesem Kontext stattdessen eine enge und positiv besetzte Verbindung, eine geistige Nähe oder ein gemeinsames Potenzial. Das, was die „Beziehung von Mutter und Kind“ ausmacht, kann auf andere Bezüge übertragen werden.

So gewinnen wir ein klares, positives Bild von uns selbst in einer vergleichbar vertrauten Verbindung zu der uns umgebenden Welt, der belebten wie der unbelebten. Aus dem Gefühl der Autonomie und Unabhängigkeit von anderen heraus haben wir alle das Empfinden, da sei ein Selbst in uns, beziehungsweise es existiere tatsächlich ein Selbst. Wir glauben, wir könnten ohne andere auskommen, und halten an der Vorstellung fest, wir seien von anderen getrennt. Wenn man aber genauer darüber nachdenkt, wie die Realität ist, und sich fragt, ob tatsächlich ein unabhängiges oder autonomes Selbst vorhanden ist, erkennt man, dass sich die Bezeichnung „ich“ meistens auf den eigenen Körper bezieht.

Wir nehmen einen physischen Körper wahr, und dieser dient uns als wichtigster Bezugspunkt. An ihm machen wir unsere Vorstellung eines eigenständig existierenden Selbst oder Ich fest, obwohl sich deutlich zeigt, dass der Körper nicht autark ist. Im Gegenteil: Es waren unsere Eltern, die bewirkten, dass er existiert. Eine andere, eher feinstoffliche Beschreibung wäre, dass er aus den Substanzen anderer entstand. Einen Körper zu besitzen ist außerdem nicht genug: Man muss ihn auch unterhalten. Wenn uns Kleidung, Essen und viele andere Dinge fehlen, die wir zum Leben brauchen, verwandelt sich der Körper in eine Leiche. Und wo kommen das Essen und die Kleidung, die unser Körper braucht, her? Auch das kommt von anderen.  

In den Meditationsgruppen geht es immer wieder um die letztendliche oder „absolute“ Realität aller Dinge, der Leerheit von eigenständiger, unabhängiger, fester Existenz. Dazu folgen einige Gedanken aus einem Vortrag von HH. 17. Karmapa Ogyen Trinley Dorje. „Das Verständnis der Leerheit kann unser wichtigster Grund sein, über Herzensgüte und Mitgefühl zu meditieren.“ Seine Heiligkeit der Karmapa deutete auf eine falsche Tendenz hin, die Leerheit als eine Form des Nihilismus negativ zu betrachten, und unterstrich die Wichtigkeit, Leerheit positiver zu sehen. Er präsentierte die Leerheit als Grundlage aller Möglichkeiten.

Leerheit kann als der inhärente Raum der Möglichkeit angesehen werden, der für uns alle existiert. Leerheit ist Freiheit von Vorurteilen jeglicher Art. Es ist der Raum der angeborenen Freiheit. Da alle Phänomene von Natur aus leer sind, kann sich alles manifestieren, alles entstehen. Auf diese Weise ist die Leerheit die Quelle oder der Ursprung von allem. Es ist wirklich nicht so, dass Leerheit der Ort ist, an dem alles nicht mehr existiert. Es ist eher so, dass die Leerheit die Quelle ist, aus der alles entsteht.

Es besteht eine enge Verbindung zwischen der philosophischen Sichtweise der Leerheit und der der gegenseitigen Abhängigkeit aller Dinge. Beginnend mit dem Kosmos und endend mit der Kombination von atomaren Partikeln. Alles, was existiert, ist nur durch das Zusammentreffen mehrerer miteinander verbundener Ursachen und Bedingungen entstanden.

Wenn alles für sich allein existieren würde, ohne Verbindung zu irgendetwas anderem, wäre es unmöglich, dass neue Dinge entstehen. Dies zeigt uns, dass den Dingen ihre eigene unabhängige oder getrennte Identität fehlt, und daher gesagt werden kann, dass sie voneinander abhängig sind oder keine unabhängige Essenz aufweisen. Leerheit oder gegenseitige Abhängigkeit sind also zwei Möglichkeiten, sich derselben fundamentalen Realität zu nähern.

Es geht nicht darum, die Leerheit als philosophische Darstellung zu verstehen. Es ist sehr wichtig, dass wir ständig erforschen, wie Leerheit uns in unserem täglichen Leben zugute kommen kann und insbesondere, wie sie unserer Praxis des Mitgefühls unterstützt. Unser beharrliches Selbstverständnis, das uns als etwas betrachtet, das von anderen getrennt oder unabhängig besteht, ist ein großes Hindernis für Mitgefühl, das überwunden werden kann, indem wir unser Verständnis von Leerheit auf unsere Lebenserfahrungen anwenden. Wir können die wichtige Arbeit des Abbaus dieses dualistischen Verständnisses beginnen, indem wir einfach die unzähligen Arten beobachten, in denen wir – von unseren physischen Körpern bis zu unserer Identität – von dem abhängen, was wir „andere“ nennen.

Wenn wir sagen, dass das Selbst auf diese Weise nicht existiert oder in seiner Natur leer ist, meinen wir, dass das Selbst nicht so existiert, wie wir es uns vorstellen. Wir sagen nicht, dass es überhaupt kein Selbst gibt. Dies ist ein entscheidender Punkt. Wir lernen über die Leerheit als über die Gesamtheit dessen, wer wir sind. Dies ist der erste Schritt zur Entwicklung des Mitgefühls, indem wir das Verständnis der Leerheit fest in der Sorge begründen, Mitgefühl in die Tat umzusetzen, und die volle Realität davon zu verstehen, wer wir sind.

Dann können wir den zweiten Schritt machen, nämlich zu versuchen, unser Mitgefühl zu nutzen, und es auf andere auszudehnen. Wenn wir diesen zweiten Schritt machen, ohne die Leerheit zu verstehen oder ohne zu wissen, was dieses Ich ist oder wer wir sind, dann ist es wirklich schwierig, diesen zweiten Schritt des Mitgefühls auf echte Weise zu machen.  Karmapa erklärte es mit der Analogie eines extrem scharfen Schwertes, das Metall durchtrennen kann, und vergleicht die Schärfe des Schwertes mit unserem Verständnis der Leerheit und den Auswirkungen auf unsere tatsächliche Existenz, die untrennbar ist mit anderen.

Wenn wir das Schwert der Leerheit oder des Wissens über gegenseitige Abhängigkeit sehr scharf machen, werden wir in der Lage sein, das gesamte Eisennetz, das uns in Selbst und Selbstsucht verstrickt, vollständig zu durchschneiden und zu durchbrechen. Er verglich die festen Mauern, die wir durch unsere Selbstbezogenheit und Selbstfixierung um uns herum schaffen mit einem Gefängnis, und forderte sein Publikum auf, der Schärfe des Schwertes die Kraft des Mitgefühls hinzuzufügen. Da die Kraft, mit der man unser Schwert führen muss, um unsere Ketten zu durchschneiden, so groß ist, scherzte der Karmapa, dass es besser wäre, die Analogie einer Kettensäge zu verwenden, die an die Hochspannung intensiven Mitgefühls angeschlossen ist.

Abschließend regte er das Modell eines Aktivisten des Mitgefühls an – jemand, der nicht nur Mitgefühl empfindet, sondern jemand, der Mitgefühl tut. Das Verständnis von Leerheit und gegenseitiger Abhängigkeit kann als klarer Weg dienen, der uns dazu führt, unser Mitgefühl zu entfalten. Ebenso könnten wir uns vorstellen, wie die Welt wäre, wenn es überhaupt kein Mitgefühl gäbe. Wir können bereits die Auswirkungen eines Defizits an Mitgefühls beobachten, und die Erkenntnis der extremen Gefahr eines Mangels an Mitgefühl kann uns auch motivieren, den Weg zu beschreiten, um auf der Grundlage von Mitgefühl zu handeln.

Im Allgemeinen scheint es zu viel Abstand zwischen dem, was wir sagen und dem, was wir tun, zu geben. Karmapa persönlich sieht es so, dass es wichtig ist, sich nicht nur damit zufrieden zu geben, Dinge zu sagen oder sich mit intellektuellem Verständnis zufrieden zu geben. Vielmehr sollten wir unser Verständnis so sinnvoll wie möglich auf unseren Geist anwenden, und es in unsere Erfahrung und Praxis einbringen.     

Zufrieden sein, mit weniger Bedürfnissen

Karmapa Ogyen Trinley Dorje. 2016 – Bulach, Schweiz

In dieser Unterweisung verknüpfte der Karmapa die Anregung, mit weniger zu leben, mit der Frage nach der Umwelt: „Ich möchte darüber sprechen, einfacher zu leben und mit weniger zufrieden zu sein, um die Umwelt zu schützen“, erklärte er. Die Wissenschaft habe viele Informationen über die Umweltkrise geliefert, fuhr er fort, aber das Wissen an sich ist nicht genug. Der springende Punkt ist, wie man das Wissen in die Tat umsetzen kann. Der Karmapa gab mehrere Empfehlungen.

Erstens könnten sich Umweltwissenschaftler mit religiösen Führern beraten und mit ihnen zusammenarbeiten, um Wege zum Schutz der Umwelt zu finden. Zweitens sollte jeder von uns eine ehrliche Einschätzung seines täglichen Lebens und seiner Auswirkungen auf die Umwelt vornehmen, damit wir unsere Lebensweise zum Schutz der Umwelt ändern können. Drittens, da Motivation der Schlüssel ist, müssen wir alle die entsprechende Motivation entwickeln und sie stärken. Informationen, Statistiken und Wissen regen zwar unseren Intellekt an, bewirken aber nicht unbedingt einen Sinneswandel oder eine Verhaltensänderung. Die Unwissenheit ist so stark, dass wir oft nicht erkennen, wie die Dinge wirklich sind. Viertens müssen wir innere Zufriedenheit entwickeln, die Karmapa als „eine natürliche Ressource“ bezeichnete. Wenn wir zufrieden sind, haben wir das Gefühl, dass wir alles haben, was wir brauchen. Zu lernen zufrieden zu sein, ist wichtig, denn ohne Zufriedenheit werden wir nie zur Ruhe kommen. Wir werden immer unerfüllte Wünsche haben und das Gefühl, dass uns etwas fehlt.  

Karmapa schlug vor, wie wir durch Meditationspraxis Zufriedenheit entwickeln können. Indem wir unser Gewahrsein auf dem Atem ruhen lassen, konzentrieren wir uns auf den gegenwärtigen Moment und jagen nicht Erinnerungen aus der Vergangenheit hinterher oder spekulieren über die Zukunft. Durch Praktiken wie diese kann die innere Zufriedenheit allmählich wachsen. Wenn wir uns manchmal ein wenig hilflos fühlen oder denken, dass uns etwas fehlt, oder wir uns verloren fühlen und uns dann daran erinnern, uns auf unseren Atem zu konzentrieren, können wir Glück erfahren. Darüber hinaus erinnert uns die Konzentration auf den Atem an unsere gegenseitige Abhängigkeit mit der Umwelt und den Pflanzen, denn sie versorgen uns mit dem nötigen Sauerstoff. Wir erkennen, dass das Atmen zu etwas Wunderbarem werden kann.   Aufgrund unserer ständigen Begierden können unser Geist und unser Körper keine Ruhe finden.

„An einem gewissen Punkt müssen wir sagen, genug ist genug“, riet Karmapa, denn die Wünsche können grenzenlos sein, und wenn wir viele Wünsche haben, werden wir nicht in der Lage sein, Zufriedenheit zu finden. Letztendlich müssen wir einen weiteren Schritt machen und uns von unseren Wünschen abwenden, und die Anhaftung loslassen. Dies ist Entsagung. Das Prinzip der Entsagung beinhaltet die Ablehnung von schädigenden sozialen Konstrukten der Gesellschaft, in der wir leben. Karmapa wies auf ein Beispiel aus Neu-Delhi in Indien hin. Als er im Jahr 2000 nach Indien kam, gab es viel weniger Autos auf den Straßen, aber jetzt gibt es überall Staus und die Luft ist stark verschmutzt.

Ein großer Teil des Problems sind die mehr als fünf Millionen Privatautos, und es wird noch dadurch verschlimmert, dass jeden Tag zwischen 4000 und 5000 neue Autos hinzukommen. Er erzählte, wie er einmal einen tibetischen Fahrer gefragt hatte, warum es so viele Autos gibt, und der Fahrer antwortete: „Wenn dein Nachbar ein Auto kauft, musst du auch ein Auto kaufen.“ „Das ist die heutige Situation“, kommentierte Karmapa. Anstatt unsere eigene Intelligenz und Weisheit zu nutzen, folgen wir aufgrund der Macht unserer Unwissenheit einfach dem, was andere Menschen tun. Wir stehen unter dem Einfluss von äußeren Faktoren und Umständen, die unser Leben bestimmen.

Wenn wir über Entsagung und das Loslassen von Verlangen sprechen, bedeutet das, dass wir nicht mehr unter diesen Einflüssen stehen, sondern die Intelligenz und Weisheit haben, unseren eigenen Weg zu wählen. Wir müssen erkennen, dass das, was die Gesellschaft als real darstellt, eher eine Lüge ist, fuhr er fort, und dann können wir unseren eigenen Weg gehen. Am Ende geht es darum, Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen. Wenn wir ein Auto kaufen, ist das unsere Entscheidung, aber diese Entscheidung hat Konsequenzen. Wenn wir mit diesem Auto auf der Straße fahren, tragen wir zur Luftverschmutzung, zu Verkehrsstaus und so weiter bei.

Wir können es nicht vermeiden, in der Gesellschaft zu leben, und wir sollten in Harmonie mit allen leben, aber es ist von größter Wichtigkeit, dass wir wissen, wie wir uns richtig verhalten.   Der Karmapa öffnete die Runde für Fragen.  In Beantwortung der Frage ob sich die Erde erholen könnte, wenn die Menschen ihr Verhalten ändern würden, sagte er: „Zu hoffen, dass sich die Erde erholen wird, hilft nicht viel. Wir müssen tatsächlich etwas tun.“ Weitere Naturkatastrophen könnten ein Weckruf sein, aber es ist nicht einfach, unser Verhalten und unsere Einstellung zu ändern.

Die Umweltkrise hat ein riesiges Ausmaß und es ist schwierig, die Situation insgesamt zu ändern. Es gibt jedoch ein tibetisches Sprichwort „Tropfen für Tropfen wird der Ozean gefüllt. Tropfen für Tropfen wird ein Loch in den Felsen gehöhlt.“ Wenn wir alle zusammenarbeiten, können wir etwas tun. Wenn wir auf die Regierung warten, könnte es lange dauern, also müssen wir unsere eigene Entscheidung treffen und etwas unternehmen. Wir können uns dafür entscheiden, Dinge zu verwenden, die weniger schädlich für die Umwelt sind. Wenn wir unsere Art zu konsumieren ändern, werden wir ein Beispiel für andere setzen, und auch eine Veränderung in ihrer Einstellung bewirken.      

Über Meditation vom 17. Karmapa Ogyen Trinley Dorje

Es ist sehr wichtig, dass wir, bevor wir meditieren, unsere Motivation für die Ausübung der Praxis überprüfen. Manchmal konzentrieren wir uns so sehr auf die Meditationstechniken, dass wir das Gesamtbild aus den Augen verlieren – welche Art von geistiger Landschaft wir für uns selbst schaffen. Wir können auch viel Zeit damit verbringen, uns Gedanken darüber zu machen, ob wir eine bestimmte Technik richtig praktizieren oder nicht. Doch wenn wir die Situation genau betrachten, ist die geistige Atmosphäre, die wir schaffen – mit anderen Worten, die Grundeinstellung, mit der wir in die Meditation gehen – wichtiger als die Frage, wie genau wir eine bestimmte Methode der Praxis ausführen.

Zur Veranschaulichung können wir eine Geschichte aus der Biographie des dritten Karmapa, Rangjung Dorje (1284-1339), heranziehen, der als großer Meditationsmeister berühmt war und viele Schüler hatte, die als vollendete Meditierende galten. Eines Tages wandte sich jemand an den Karmapa und fragte: „Ich habe gehört, dass es eine spirituelle Unterweisung gibt, mit der man die Befreiung erreichen kann, ohne zu meditieren. Wenn es so etwas gibt, dann gib es mir bitte.“ Rangjung Dorje antwortete: „Ja, eine solche Anleitung zur Nicht-Meditation existiert, aber wenn ich sie dir geben würde, bin ich mir nicht sicher, ob sie dir helfen würde, denn ich bin mir nicht sicher, ob du in der Lage wärst, sie zu verstehen und zu realisieren. Du würdest vielleicht eher eine erfundene Meditation praktizieren als die wahre Absicht der Unterweisung. Selbst wenn ich sie dir geben würde, glaube ich also nicht, dass diese Lehre dir helfen würde.“  

Der Hauptpunkt der Meditation ist, zu lernen, wie man den Geist in sich selbst entspannen kann. Zu lernen, wie man einfach loslässt, ist der wesentliche Punkt der Meditation. Bei der Shamatha-Praxis, der Meditation des ruhigen Verweilens, besteht die Hauptanweisung darin, dass wir unseren Geist auf einem Objekt der Konzentration ruhen lassen. Wir konzentrieren die Energie unseres Geistes und lenken sie auf eine bestimmte Weise. Eine Analogie dafür ist das Gießen von Wasser durch ein Rohr. Heutzutage, in unserer modernen Welt und besonders in den geschäftigen Städten, wird der Geist der Menschen ständig von all den äußeren Objekten abgelenkt – die ständige Zurschaustellung materieller Dinge und weltliche Sorgen rauben uns die Aufmerksamkeit.

Um dem entgegenzuwirken, ermutigt uns die Praxis des ruhigen Verweilens, unseren Geist nach innen zu ziehen, anstatt ihn nach außen zu ziehen. Wir lernen, unseren denkenden Geist zur Ruhe kommen zu lassen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir eine gewisse Anstrengung aufbringen müssen, um unseren Geist auf einen Punkt zu fokussieren, aber wir tun dies auf eine entspannte Weise. Diese Konzentration auf einen Punkt und der entspannte Zustand sind sehr wichtig für die Praxis der Meditation im Allgemeinen. Manche Menschen meinen, sie müssten Entspannung absichtlich herbeiführen, aber das ist nicht wirklich gemeint. Die wahre Bedeutung von Entspannung ist vielmehr, sich nicht anzustrengen, denn wenn wir das tun, dann sind wir natürlich nicht entspannt.   Ein weiteres Missverständnis, das wir haben könnten, ist, unseren Geist wie ein schweres Objekt zu behandeln, das wir direkt auf unseren Atem legen, um es zu verankern. Aber das ist kein nützlicher Ansatz. Einige Menschen haben mir erzählt, dass sie, wenn sie diese Meditation auf den Atem praktizieren, dieser anhält, und da dies sehr unangenehm ist, müssen sie aufhören.

Es scheint, dass sie einen zu festen Ansatz wählen und den Geist wie ein schweres Objekt behandeln, das auf den Atem drückt. Diese Art der Praxis wird uns nicht helfen. Vielmehr sollten wir unseren Geist als etwas Flüssiges erleben, wie fließende Luft, die sich zusammen mit dem Atem bewegt. Wenn wir ausatmen und die Luft durch unsere Nasenlöcher strömt, denken wir einfach: „Ah, der Atem geht aus“, und wir lassen unseren Geist zusammen mit dem Atem fließen. Die Qualität unserer Aufmerksamkeit sollte also geschmeidig sein – nicht angespannt, sondern frei von Fixierung und Steifheit. Wir können den Geist so leicht sein lassen wie Luft, die sanft mit dem Atem mitfließt. Im Gegensatz dazu behandeln manche Menschen den Geist in der Meditation wie einen Scharfschützen, der durch das Visier eines Gewehrs starrt und das Ziel fest im Visier hat. Diese Verengung ist nicht das, was wir in der Meditation anstreben; vielmehr sollte unser Geist leicht und fließend sein.

Wenn wir meditieren, atmen wir außerdem ganz natürlich, wie wir es normalerweise tun. Wir müssen uns nicht besonders anstrengen und unseren Atem in ein bestimmtes Muster zwingen – wir atmen einfach normal. Viele meditieren auch, indem sie die Atemzüge zählen, die Atemrunden nummerieren oder zählen, wie viele Ein- und Ausatmungen sie haben. Ich denke, dass es vorerst besser wäre, das Zählen des Atems nicht zu betonen und sich einfach zu entspannen, während man sich sanft auf den Atem selbst konzentriert. Der Grund dafür ist, dass das Zählen des Atems zusätzlich zur Aufrechterhaltung der Konzentration die Praxis ein wenig zu kompliziert und hektisch machen kann. Für den Moment ist es besser, sich zu entspannen und nicht zu zählen.

Wenn wir uns monatelang der Shamatha-Meditation widmen und uns wirklich darin vertiefen, können wir die Qualitäten eines Geistes, der in einem Zustand des Friedens verweilt, verkörpern. Abgesehen davon bringt uns eine tägliche kleine Übung nicht so weit. Natürlich hat es den Vorteil, dass es dazu beiträgt, unseren Geist zu beruhigen und unsere Fähigkeit, uns zu konzentrieren, zu verbessern, aber es wird uns nicht den ganzen Weg zu dem Zustand des ruhigen Verweilens bringen, wie er in den traditionellen Texten gelehrt wird. Darüber hinaus ist es heutzutage sogar schwierig, einen Rückzug zu machen.

In den Texten heißt es, dass wir uns an einen abgelegenen Ort begeben sollen, aber heutzutage gibt es sogar in abgelegenen Gegenden Handyverbindungen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, die Meditation von Anfang an richtig zu praktizieren. Wenn wir unsere Energie von Anfang an in die richtige Praxis stecken können, besteht eine gute Chance, dass unsere Meditation gut voranschreitet. Wenn wir jedoch mit schlechten Gewohnheiten beginnen, werden sich Tendenzen entwickeln, die unsere Praxis schließlich beeinträchtigen, und es wird schwierig sein, sie später zu beseitigen.

Eines der schwierigsten Dinge bei der Meditation ist, dass sie ziemlich langweilig sein kann; sie ist nicht so aufregend, wie wir uns normalerweise unterhalten lassen. Eigentlich ist unser Geist wie ein Kind, das Aufregung und ständige Ablenkung braucht. Ein Kind kann sich für eine kurze Zeit konzentrieren, aber dann rennt es schnell zu etwas anderem weg.

Quelle: Freedom through Meditation by The Seventeenth Gyalwang Karmapa Ogyen Trinley Dorje, translated by David Karma Choephel, Tyler Dewar, and Michele Martin (editor), published by KTD Publications 2018

Über den Schutz des Waldes

Bäume haben im Buddhismus eine große Bedeutung. Buddha Shakyamuni wurde geboren, als seine Mutter an einen Baum lehnte, erlangte seine Erleuchtung sitzend unter dem Bodhi-Baum und schließlich ging er ins Paranirvana ein zwischen zwei Bäumen. Die Wälder in Tibet und dem Himalaya sind besonders reich und voller Ressourcen. Sie spielen überall auf der Welt eine wichtige, lebensspendende Rolle. Sie versorgen Millionen von Menschen mit Holz für Brennmaterial, Bauholz für Häuser, Futter für Tiere, Nahrung und Medizin. 

Sie sind auch die Heimat für erstaunliche Wildtiere wie Tiger, Elefanten, Bären, Leoparden, eine Vielzahl von Vögeln, die in den Bäumen nisten, und eine große Vielfalt an Amphibien und Insekten. Wälder haben einen weiteren sehr wichtigen Zweck: Sie sind Teil eines natürlichen Kreislaufs, der für sauberes Wasser und saubere Luft sorgt. Jeder Atemzug, den wir einatmen, besteht aus Sauerstoff. Wenn wir ausatmen, atmen wir Kohlendioxid aus. Bäume hingegen nehmen Kohlendioxid auf und atmen Sauerstoff aus. In einem Jahr atmet ein durchschnittlicher Baum 12 Kilogramm Kohlendioxid ein und atmet genug Sauerstoff für eine vierköpfige Familie aus. 

Da Bäume auch Wasser aufnehmen und lange speichern, sorgen Wälder für viel Feuchtigkeit in der Luft. Wenn diese Feuchtigkeit verdunstet, verschwindet sie nicht, sondern kondensiert zu Wolken, die schließlich zu Regen führen. Aus diesem Grund regulieren Wälder den Wasserfluss in vielen Gebieten und können Überschwemmungen eindämmen. Außerdem verringern sie die Bodenerosion. Dies ist besonders wichtig in den Bergregionen des Himalaya und des tibetischen Plateaus, wo es viele Überschwemmungen und Erdrutsche gibt. 

Da die durch Umweltverschmutzung und Klimawandel verursachten Probleme immer größer werden, ist der Schutz unserer Wälder eine der wenigen Chancen, ein natürliches Gleichgewicht wiederherzustellen.

Quelle: Karmapa Ogyen Trinley Dorje – Environmental Guidelines

Eine Frage an den 17.  Gyalwang Karmapa bei seinem Besuch im Root Institute in Bodhgaya

März 2012

Frage: Wie können wir das Herz öffnen, achtsam sein und nicht unseren störenden Emotionen folgen, während wir ein aktives, alltägliches Leben führen?

Die Hauptsache ist, dass wir Achtsamkeit und Bewusstsein für das, was wir tun, entwickeln. Wir haben die gewohnheitsmäßige Tendenz, untugendhafte, unheilsame Dinge zu tun, und aus diesem Grund müssen wir unsere Achtsamkeit und unser Gewahrsein wirklich anwenden. Etwas, das wir verstehen müssen, ist: Wir haben eine Menge störender Emotionen und viele Arten von Leiden, und deshalb müssen wir aufmerksam und bewusst sein und Achtsamkeit anwenden. Der Grund dafür ist, dass wir seit unzähligen Lebenszeiten, genauer gesagt seit anfangsloser Zeit, an die Leiden und störenden Emotionen gewöhnt sind. Wir haben eine sehr alte Gewohnheit daraus entwickelt. Deshalb müssen wir diese alte Gewohnheit durch eine neue Gewohnheit ersetzen und unsere Achtsamkeit nutzen, um diese neue Gewohnheit in unserem Geist zu schaffen.

Es ist ähnlich, wie wenn wir über liebevolle Güte als Gegenmittel für Hass meditieren. Wir müssen darüber meditieren und es anwenden. Wir müssen achtsam und bewusst sein, um es zu einer neuen Gewohnheit zu machen. Wir meditieren also immer wieder über die liebende Güte, und wenn wir über sie meditieren, müssen wir sie mit unserer Achtsamkeit, unserem Gewahrsein und unserer Sorgfalt schützen. Wenn wir sie nicht bewahren, werden wir sie einfach verlieren. Es ist also sehr wichtig für uns, unsere neuen Gewohnheiten zu schützen, und das Wichtigste ist, dass wir eine tiefe Entschlossenheit in unserem Herzen und Geist empfinden.

Manchmal ist es, als gäbe es zwei Personen in unserem Geist. Eine Person ist auf der Seite der störenden Emotionen und die andere auf der Seite der Tugend. Und es ist, als ob wir in der Mitte zwischen den beiden festsäßen. Manchmal unterstützen wir die eine und manchmal die andere Seite, und es ist nie sicher, welche Seite wir unterstützen werden. Wir sollten die ganze Kraft unseres Körpers, unserer Sprache und unseres Geistes einsetzen und entscheiden, welche Seite wir unterstützen wollen: die tugendhafte oder die untugendhafte Seite. Wir müssen die Natur der störenden Emotionen kontemplieren, und wenn wir die Erfahrung machen, dass wir die Probleme und Fehler erkennen können, sollten wir von diesem Punkt an mit Entschlossenheit daran arbeiten, nicht mehr von dem, was uns Leiden verursacht, überwältigt zu werden.    

Fragen an HH. 17 Karmapa Ogyen Trinley Dorje

Buddha-Dharma bedeutet, den Geist zu reinigen  

Frage: Was genau bedeutet „Emotionen transformieren“ im Vajrayana? 

Antwort: Buddha-Dharma, also Alles, was Buddha gelehrt hat, dient dazu, alle Unreinheiten aus dem Geist zu entfernen. Daher kann alles Dharma als direktes Gegenmittel für negative Emotionen oder Kleshas angesehen werden. Unterschiedliche Lehren und Methoden zielen auf unterschiedliche Emotionen ab. Das Hauptaugenmerk einer Übung könnte auf Anhaftung, Ignoranz, Abneigung oder Wut gerichtet sein. Dies hängt von den Bedürfnissen der Menschen und ihrem individuellen Übungsstand ab. Im Allgemeinen gibt es drei Möglichkeiten, mit dem Geist umzugehen.

Als Anfänger versuchen wir, den Kleshas oder Geistesgiften auszuweichen. Wir vermeiden es, mit ihnen in Kontakt zu treten, vermeiden entsprechende Situationen, Menschen, Orte, die Geistesgifte hervorrufen könnten. Das ist die erste Stufe. Zweitens, man beginnt, sich diesen Kleshas tatsächlich zu stellen. Wir fordern sie heraus und arbeiten direkt mit ihnen, um uns von diesen negativen Emotionen zu befreien. In der dritten Stufe  wird Weisheit mit viel mehr Klarheit und Stärke erleuchtet. Hier werden unsere Weisheit und unsere geschickten Mittel reifer und unsere geistige Kraft wird stärker. In dieser Phase entwickeln wir die Fähigkeiten, diese Kleshas als Freunde und nicht als Feinde zu betrachten. Indem wir uns mit negativen Emotionen anfreunden, können wir sie geschickt nutzen, um Einsicht in die wahre Natur des Geistes zu gewinnen. Indem wir unser Bewusstsein anwenden, können wir erkennen, dass sich die Natur dieser Kleshas nicht von der wahren Natur unseres Geistes unterscheidet.

Um zu dieser Einsicht zu gelangen, gibt es verschiedene Ebenen. Wir müssen Schritt für Schritt daran arbeiten, während sich unsere geistige Stärke entwickelt.

Quelle: 17th Gyalwang Karmapa’s Teachings — “Living The Dharma”      

Schätze alle fühlenden Wesen und sorge dich um ihr Glück (17. Karmapa Ogyen Trinley Dorje)

Alle Phänomene in unserem Leben hängen von anderen Dingen, Situationen oder Menschen ab und sind mit etwas Anderem verbunden, ob wir nun über unser eigenes Glück oder unser eigenes Leid nachdenken, oder ob wir darüber nachdenken, berühmt zu werden oder mehr Freiheit und Kontrolle über unser Leben zu erlangen. All dies ist von anderen Phänomenen abhängig.

Auf jeder Stufe der Beziehung, die wir mit anderen Dingen in unserem Leben eingehen, gibt es also eine Möglichkeit für uns, eine positive Verbindung in dieser Beziehung herzustellen. Da alles, mit dem wir in Beziehung stehen, voneinander abhängig ist, ist es sehr wichtig, dass wir versuchen, positive Verbindungen herzustellen, harmonische Verbindungen, die eine Verbesserung zum Guten bewirken.

In unseren Beziehungen zu anderen gibt es sowohl Nutzen als auch Schaden. Wir könnten uns auf die negativen Aspekte konzentrieren, die Schwierigkeiten, die uns von anderen fühlenden Wesen zugefügt wurden. Aber wir können wirklich nicht viel Nutzen daraus ziehen, wenn wir uns ausschließlich auf unsere schädlichen Beziehungen konzentrieren, oder auf die Art und Weise, wie andere uns geschädigt haben.  

Wenn wir uns dagegen auf die nützlichen Verbindungen zwischen uns und anderen fühlenden Wesen konzentrieren, dann ist das etwas, das uns wirklich einen Gewinn oder Nutzen bringen kann. Es kann uns helfen, unsere Wertschätzung in unserem Herzen zu erhöhen und unser Mitgefühl zu steigern. Ich denke also, dass es für uns sehr wichtig ist, uns auf unsere wechselseitigen Beziehungen zu anderen aus einem positiven Blickwinkel heraus zu konzentrieren, den Nutzen zu schätzen, den andere fühlende Wesen uns bieten, und auch auf das Glück anderer fühlender Wesen zu achten.

Mögen auch wir für die Wesen da sein, solange der Weltraum besteht.

In der traditionellen buddhistischen Praxis gibt es Möglichkeiten, über die Praxis des großen Mitgefühls und der großen Liebe zu den Lebewesen zu sprechen, in denen wir die Metapher des Himmels und der Planeten, der Sterne, der Sonne und des Mondes verwenden, um unsere Verpflichtung zu veranschaulichen,  ein Herz voller Liebe und Mitgefühl für alle Lebewesen zu entwickeln. Wir streben danach, dass, solange der Weltraum besteht, solange Sonne und Mond am Himmel stehen, auch wir mit dem Herzen liebevoller Güte und Mitgefühl da sein mögen, um den Lebewesen zu helfen. Möge diese Verbindung zwischen uns und den Lebewesen bestehen bleiben.

In meiner persönlichen Betrachtung denke ich oft an den Mond als den Hüter der Liebe. So wird der Mond zur Metapher oder zum Symbol der dauerhaften Qualität der Liebe und der Verbindung zwischen Wesen voller liebevoller Güte und Mitgefühl. Auch wenn man nicht mit anderen fühlenden Wesen physisch anwesend ist, können wir selbst und die anderen Wesen in den Himmel schauen und den Mond sehen und durch diese Verbindung die Liebe spüren, die man für sie empfindet. Wir können gegenseitig die Liebe spüren, die wir füreinander empfinden, unabhängig davon, ob wir körperlich am gleichen Ort anwesend sind, und auch egal, wie viel Zeit vergangen ist, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.

Dies sind also die Arten von Bestrebungen, die wir in den buddhistischen Praktiken der liebenden Güte und des großen Mitgefühls haben, und ich denke, wenn wir diese Praktiken mit einer völlig reinen Motivation machen, dann können sie wirklich eine Wirkung haben. Es ist nicht mehr nur eine Symbolik, mit der wir arbeiten, sondern es ist wirklich wahr.

Quelle: His Holiness the Karmapa Speaks on Compassion and the Nature of Mind on the Eve of His Departure to India

Worte des Siebzehnten Gyalwa Karmapa über Thrangu Rinpoche zu dessen 90. Geburtstag

Anlässlich des 90. Geburtstages unseres großen spirituellen Freundes Kyabje Khenchen Thrangu Rinpoche bete ich, und bringe ich meinen Wunsch zum Ausdruck, dass er ein gesundes Leben führen möge, das sogar länger als das eines Berges ist. Es gibt ein Sutra, das besagt: „Er hat das Boot des Dharma gebaut, die Trommel des Dharma geschlagen, das Muschelhorn des Dharma geblasen, das Banner des Dharma gehisst, die Samen für Samsara blockiert, die Natur des Nirvana gelehrt, die falschen Pfade abgeschnitten, den richtigen Pfad gelehrt, schlechtes Karma aufgehoben und die Bereiche der verdienstvollen Handlungen korrekt gelehrt.

“ Welche anderen Worte könnten die großen Qulitäten von Thrangu Rinpoche so treffend beschreiben?   Im Laufe der letzten Jahrzehnte hatte Kyabje Thrangu Rinpoche Zehntausende von Schülern unterrichtet, und ohne jegliche Voreingenommenheit oder Bevorzugung hat er jedem von ihnen Anleitung und Ratschläge gegeben, die ihren eigenen individuellen Bedürfnissen entsprachen. Mit großem Geschick und Hingabe hat er sie schrittweise auf den Pfad geführt. Aus diesem Grund ist es unmöglich, die Zahl der Schüler, die er auf den Pfad der Reifung und Befreiung gebracht hat, zu erfassen.

Egal, welche Veränderungen die Zeit mit sich gebracht hat, egal, was passiert ist, ob gut oder schlecht, Kyabje Rinpoche hat bis zum heutigen Tag Müdigkeit und Erschöpfung außer Acht gelassen, um uns mit seiner Rede zu leiten und mit seinem Körper trotz Beeinträchtigungen zu handeln, ohne jemals nachzulassen. Zeigt dies nicht, dass seine Wärme und Güte für uns viel tiefer sind als ein Ozean?   Wie könnten ein paar kurze Worte ausdrücken, wie bedeutsam und wertvoll Rinpoche ist? Wir müssen, so gut wir können, verstehen, wie unschätzbar wertvoll und ohne Konkurrenz er ist. Wir müssen uns aus tiefstem Herzen daran erinnern, dass jeder Augenblick, den wir mit einem so großen Wesen wie ihm verbringen, ein außerordentlich großes Glück ist.

Wir sollten uns Rinpoches große Liebe vor Augen halten, mit der er uns nie im Stich gelassen hat, und die tiefe Freundlichkeit, die er uns gezeigt hat. Ganz gleich, wie viel ich sage, es gibt keine Möglichkeit, in Worte zu fassen, wie sehr ich ihm ergeben bin und wie stark mein Glaube ist. Dennoch bete ich noch einmal inständig, dass er lange bei guter Gesundheit bleiben, das Rad des Dharma kontinuierlich drehen und den fühlenden Wesen einen Ozean des Nutzens bringen möge.

Quelle: Namo Buddha Publications

Aus Belehrungen des 17th Gyalwang Karmapa Ogyen Trinley Dorje

London, UK, May 20-21, 2017.

Es ist schwierig, die ganze Welt zu verbessern. Wir haben die Wahl, einerseits über den Zustand der Welt nachzudenken und dabei die Hoffnung zu verlieren. Vielleicht sehen wir aber manchmal nur eine Person, die Mitgefühl praktiziert oder ein gutes Herz hat, und fühlen uns dadurch ermutigt.

Dies zeigt, wie unser Gefühl für die Welt davon abhängt, wessen Verhalten wir beobachten. Wir können beobachten, wie Menschen Mitgefühl üben und uns gut und eins mit der Welt fühlen, uns dann aber umdrehen und sehen, wie andere negative Dinge tun, und wieder die Hoffnung verlieren.

Ich denke, letztendlich hängt alles davon ab, wie wir selbst sind, und das ist das Wichtigste. Wenn wir an uns selbst arbeiten und uns in einen besseren Menschen verwandeln, werden wir der Welt auf jeden Fall helfen und das wird uns wiederum ermutigen. Wir tragen dazu bei, die Zahl der verwirrten Menschen mit negativem Geisteszustand in der Welt zu verringern und die Zahl der gutherzigen Menschen auf der Welt zu erhöhen. Und ich denke, wenn wir genau hinschauen, können wir es als etwas wirklich Wunderbares empfinden, uns als Menschen zu sehen, die an sich arbeiten und sich verbessern wollen und die dies auch wirklich tun.

Karmapas Rat an Menschen, die auf der Suche nach einem sinnvollen Leben für sich selbst sind

Dabei hilft vielleicht eine Geschichte. Die Geschichte handelt von Gold und Matsch, die sich unterhielten. Das Gold sagte:“Schau, ich bin so strahlend und makellos, und du bist so dreckig!“ Der Matsch entgegnete:“Ich bin zwar dreckig und matschig, doch durch mich werden Lotusblüten geboren. Durch mich gedeiht Gemüse.“ Die Bedeutung dieser Geschichte ist: Wir sollten heutzutage weniger Zeit darauf verschwenden, uns zu fragen, was unser Leben wert ist. Statt immer nur zu erforschen, wie wir sind, wollten wir der Frage nachgehen, was durch uns Gutes in der Welt entstehen kann. Wenn wir darauf schauen, werden wir ein sinnvolles Leben führen.  

Für sich und andere sorgen – zwei Geschichten

Die folgenden zwei Geschichten, die ich erzählen möchte, dienen als Beispiele dafür, was es mit dem Verfolgen eigener Ziele in der Konsequenz auf sich haben kann. Die erste handelt von einem zweiköpfigen Adler, nennen wir ihn einen amerikanischen Seeadler. Wie wir aus der Biologie wissen, besitzt jeder Kopf sein eigenes Gehirn. Dieser Adler nun hatte zwei Köpfe mit zwei Gehirnen, aber nur einen Körper. Seine zwei Köpfe sahen die Welt jeweils auf ihre Weise und kümmerten sich wenig um den anderen. Eigentlich wollte jeder Kopf den ganzen Körper für sich allein, und jeder hatte bereits Pläne, wie er den anderen loswerden könnte.

Eines Tages landet der Adler in der Nähe eines ausgelegten Giftes. Jeder Kopf versuchte, den anderen zu verführen, den vergiftenden Happen zu verspeisen, indem er ihm erzählte, wie wohlschmeckend diese Speise sei, und dass er ihm den Vortritt lasse. Schließlich verschlang einer der beiden Köpfe – ich vermute, es war der weniger überzeugende der beiden Köpfe – den vergifteten Happen. Doch so gelangte das Gift in den Körper, den die beiden miteinander teilten. Sie hatten sich beide so sehr auf ihre eigenen Ziele und ihren Hass aufeinander konzentriert und dabei vergessen, dass sie einen gemeinsamen Körper hatten.

Genau das passiert, wenn wir nur mit uns selbst beschäftig sind. Am Ende schaden wir uns selbst. Um ein sinnvolles Leben zu führen, müssen wir es als Teil eines größeren Ganzen betrachten. Wenn wir die Realität unserer engen wechselseitigen Abhängigkeit in dieser Welt als gegeben akzeptieren, ist es nur vernünftig davon zu sprechen, dass wir alle ein Leben miteinander teilen. Wir haben viele Köpfe, aber nur einen Körper.  

Die zweite Geschichte handelt von einem Haus, in dem ein Feuer ausbricht, während sich die ganze Familie in dem Gebäude aufhält. Eines der Familienmitglieder gerät in Panik und sucht nach dem kürzesten Weg hinaus. Sein erster Gedanke ist, sich selbst zu retten, und er schafft es, bis zur Tür zu kommen. Doch als er mit einem Bein bereits die Türschwelle überschritten hat, erinnert er sich an seine Familie. Er zieht seinen Fuß zurück und rennt zurück ins Haus in dem Bewusstsein, die gleiche Sicherheit, die er selbst sucht, für alle Familienmitglieder zu wünschen. In diesen Bruchteil einer Sekunde, in dem er mit einem Bein bereits der Gefahr entronnen und mit dem anderen noch in ihr steht, entscheidet er sich dafür, die anderen retten zu wollen.

Auf ähnliche Weise sollten wir handeln. Der Fuß, der den Schritt nach vorn unternimmt, zeigt uns, was wir für uns selbst wollen. Der Fuß, der stehen bleibt, sagt uns, dass andere das Gleiche für sich erstreben. Wir müssen die Bedingungen dafür schaffen, mit beide Füßen auf dem Boden zu stehen. Unser Eigeninteresse zeigt uns, was wir für uns selbst brauchen, und unsere Aufmerksamkeit für andere sorgt dafür, dass wir anderen die gleichen Interessen zugestehen. Wir sollten uns weder für andere gänzlich aufopfern oder aufgeben, noch sollten wir um unser eigenes Wohlergehen willen andere übersehen. Das ist das richtige Gleichgewicht.

HH 17. Karmapa über das richtige Verständnis von Dharmapraxis

Der Begriff „Dharma“ für die Lehren Buddhas begegnet uns die ganze Zeit.

Dharma ist ein Sanskritwort und hat eine vielschichtige Bedeutung. Das tibetische Wort „Chö“ für Dharma bedeutet hauptsächlich „Verwandlung“. „Chö “ ist eine Ableitung des Wortes „Chöi“- „verändern, verwandeln“.

Karmapa erläutert, dass die essentielle Bedeutung von Dharma ist , unseren eigenen Geist zu zähmen, um eine Veränderung zum Besseren in uns zu bewirken.

Traditionelle tibetische Meister gaben ihren Schülern in der Vergangenheit einen „Herzensrat“, der direkt aus ihrer eigenen Erfahrung stammte. Sie alle betonten, dass Dharmapraxis im Sinne von Dharma praktiziert werden muss. Verschiedene Menschen werden das unterschiedlich verstehen. Manche werden denken, dass Dharmapraxis Niederwerfungen bedeutet, oder Opfergaben oder Rituale. Andere werden an das Studium heiliger und philosophischer Texte denken. Wieder andere werden sofort an Meditation denken…

Es gibt viele Interpretationsmöglichkeiten für Dharmapraxis und deshalb ist es entscheidend, ein klares Verständnis wirklicher Dharmapraxis zu entwickeln. Es kommen viele Menschen zu mir und wollen Dharma praktizieren, und sie meinen damit Äußerlichkeiten.  Zum Beispiel jemand macht Niederwerfungen oder trägt plötzlich eine Mala und rezitiert Mantras. Andere denken dann: „Ah, hier ist jemand ein Buddhist.“

Aber wir müssen tiefer gehen, um zu sehen, ob jemand wirklich begonnen hat, Dharma zu praktizieren oder nicht.

Ich wuchs in einem buddhistischen Umfeld auf. Jeder betrachtet sich da automatisch als Buddhist. Da fragt niemand: „Bist du Buddhist?“. Niemand stellt das in Frage oder hat Zweifel daran. Aber man kann sich eine andere Frage stellen: „Bist du ein guter Mensch?“ Wenn ich mich selbst untersuche, dann finde ich manchmal, dass ich ein guter Mensch bin. Aber zu anderen Zeiten muss ich sagen: „Vielleicht nicht so sehr….“. Diese Frage scheint also schwieriger zu sein als die Frage „Bist du Buddhist?“

Wenn ich mich wirklich ehrlich untersuche, dann scheine ich die meiste Zeit kein so großartiger Mensch zu sein. Und da kommen wir in eine widersprüchliche Situation: Es ist kein Problem, uns als Buddhist zu sehen, aber Unsicherheit, ob wir gute Menschen sind….

In Wirklichkeit aber ist es so, dass ein Buddhist auf einem sehr hohen Level von „guter Mensch“ sein sollte. Ein wahrer Praktizierender ist nicht einfach nur ein „guter Mensch“ sondern ein „hervorragender Mensch“. Buddhist zu sein bedeutet nicht, anders auszusehen und seltsame Dinge zu tun. Die Hauptsache ist, ein besserer Mensch zu werden; zu versuchen, eine positive Haltung und ein größeres Herz und einen weiteren Geist zu entwickeln.

Tatsächlich bedeutet es, negative Aspekte unserer Persönlichkeit zu verändern. Das kann eine große Herausforderung sein. Manche Leute sagen sich da vielleicht: „Das ist meine Persönlichkeit, da kann ich nichts machen, so bin ich eben….“.

Aber der Buddhismus hat einen anderen Ansatz: „Nein, das ist deine Persönlichkeit und du solltest unbedingt etwas daran ändern, wenn sie negative Aspekte beinhaltet.“

Wir können wirklich daran arbeiten, diese Anteile zu verwandeln. Wenn wir das mit Zuversicht und von Herzen kommend versuchen, dann werden wir vielleicht diese Ebene erreichen, wo wir sagen können, dass wir Buddhist sind. Und selbst wenn wir das nicht sagen möchten, dann sind wir zumindest tatsächlich ein guter Mensch.

In der Praxis geht es also darum, für die eigenen störenden Gefühle Gegenmittel anzuwenden, um die negativen Anteile unserer Persönlichkeit und unseres Charakters umzuwandeln. Und es ist wichtig, das mit ganzem Herzen und großer Entschlossenheit zu tun.

Eine Botschaft zum neuen Jahr von HH. dem 17. Karmapa Ogyen Trinley Dorje

Die Pandemie Covid 19 hat unser Leben zwei Jahre lang durcheinander gebracht und Veränderungen bewirkt, die wir uns nie hätten vorstellen können. Fast fünfeinhalb Millionen Menschen sind gestorben. Unsere persönliche Freiheit und unsere Reisefreiheit wurden stark eingeschränkt, Pläne wurden über den Haufen geworfen, und für viele bedeutete es Isolation von Freunden und Angehörigen. Infolgedessen ist alles in unserem Leben, das so sicher schien, ungewiss geworden.

 Wir müssen uns jedoch daran erinnern, dass es in der Natur von allem liegt, unbeständig zu sein, und dass diese Unbeständigkeit auch alles möglich macht. Wir sollten nicht entmutigt oder niedergeschlagen sein. Wir sollten positiv bleiben. Ich möchte allen ein gutes neues Jahr wünschen, und vor allem hoffe ich, dass ihr alle gesund seid, denn das ist das Wichtigste.          

Die Werke von Mikyö Dorje, dem 8. Karmapa, entdecken

Mikyö Dorje (*1507 in Kham; †1554) war der 8. Karmapa der Karma-Kagyü-Schule des tibetischen Buddhismus.

Biographie

Mikyö Dorje soll unmittelbar nach seiner Geburt erklärt haben, er sei der Karmapa. Aufgrund dieses Umstands wurde er vom 3.Tai Situpa Trashi Peljor (1498–1541) als 8. Karmapa anerkannt. Die nächsten Jahre verbrachte Mikyö Dorje daraufhin in Karma Gön. Als er fünf Jahre alt war, gab es noch ein anderes Kind aus Amdo, das als Kandidat für den Titel Karmapa in Frage kam. Der 2. Goshri Gyeltshab Trashi Namgyel (1490–1518) begab sich daraufhin nach Tshurphu, um die Sache zu klären. Als er Mikyö Dorje sah, warf er sich jedoch sofort vor ihm nieder, und war davon überzeugt, den Karmapa vor sich zu haben.

Mikyö Dorje wurde im Alter von sechs Jahren von Trashi Namgyel inthronisiert. In den folgenden Jahren wurde er vom 1. Sanggye Nyenpa Trashi Peljor (1457–1525), und anderen wichtigen Lehrern unterrichtet. Eine Einladung nach China lehnte der junge Mikyö Dorje ab, mit der Begründung, der Kaiser (Zhengde) wäre tot, bevor er China erreichen würde. Dies stellte sich als wahr heraus.

Der 8. Karmapa war einer der bekanntesten Karmapas. Er hat viele Texte und Kommentare, unter anderem zum Sutrayana, sowie Instruktionen zu den Tantras, geschrieben. Von ihm stammt das Mantra Karmapa Chenno. Er war auch ein bildender Künstler, auf ihn geht der Karma-Gadri-Stil der Thangkamalerei zurück. Darüber hinaus hat er Sadhanas, Liturgien und andere Praktiken für Meditation der Karma-Kagyu-Linie entworfen. Mikyö Dorje hatte viele Visionen von der Untrennbarkeit der Manifestationen Karmapas und der Guru Rinpoches. Als er seinen Tod ahnte, verfasste er einen Brief an den 5. Shamarpa Könchog Yenlag, indem er Voraussagen über seine zukünftige Geburt machte. Er starb im Alter von 47 Jahren.  

Karmapa Chenno

KARMAPA – Derjenige, der die Aktivität der Buddhas ausführt  

Jeder, der ein authentischer Guru ist und die Aktivität eines Buddhas ausübt, kann ‚Karmapa‘ [Derjenige, der die Aktivität der Buddhas durchführt] genannt werden. Aus diesem Grund denke ich, dass es in Ordnung ist, ‚Karmapa Chenno‘ als Bittgebet an alle Gurus zu rezitieren, wie es von Karma Chakme gelehrt wird. Mit diesem Mantra oder Gebet bitten wir um die Aufmerksamkeit und Hilfe der verwirklichten Lehrer. Es ist gut, sich diese Bedeutung vor Augen zu halten, wenn wir das Mantra „Karmapa Chenno“ rezitieren.

Anstatt an einzelne, ausgewählte Individuen der Karmapa-Linie zu denken, sollten wir stattdessen an alle Wurzel- und Linien-Gurus denken, an alle Gurus und spirituellen Freunde der Lehren des Buddhas, die die Aktivität des Buddhas vollenden. Es gibt keinen Grund, warum wir nicht „Karmapa Chenno“ als Bittgebet an sie alle rezitieren können. Auszug aus den Arya Kshema Dharma-Belehrungen, von S. H. dem 17. Gyalwang Karmapa am 15. Februar 2021. Quelle: Samye Ling  

Der 17. Karmapa erzählte eine Geschichte über seine Freude, als er das erste Mal auf die gesammelten Werke von Mikyö Dorje stieß. Als er in Tibet war, befanden sich in den Bibliotheken des Potala, von Norbulingka und dem Drepung Nechung Kloster mehr als hundert alte Kagyu-Manuskripte und Texte. Die alten Texte stammten aus dem Tse Lhagang-Kloster in Kongpo, das sich am selben Ort wie die Schatzkammer der Karmapas befindet.

Laut der Autobiographie des großen fünften Dalai Lama wurden die Texte in die Region Ü gebracht, als dieses Kloster zerstört wurde. Viele dieser in Stoff eingewickelten Texte waren noch mit roten Wachsstempeln versiegelt, und waren seit 300 Jahren nicht mehr geöffnet und gelesen worden. Khenpo Loyak aus Tsurphu trug all diese alten Manuskripte zurück ins Kloster Tsurphu.

Karmapa teilte seine liebevolle Erinnerung an diese Erfahrung: „Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen Tag, als die Texte nach Tsurphu gebracht wurden. Ich brachte ein Räucherstäbchen mit, um die Texte quasi willkommen zu heißen. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich den Weihrauch trug. Wir arrangierten Seidenstoffe auf einem Tisch und legten die Bücher darauf. Zu dieser Zeit stand ich neben dem Mönch Lagen Drupnam und er öffnete einen Band von Mikyö Dorjes gesammelten Werken. Die Texte wurden von Holzplatten und Lederriemen zusammengehalten. Als die Lederriemen gelöst wurden, fielen sie in viele Stücke auseinander, weil sie so alt waren. Wenn wir den Stoff, der den Text bedeckte, berührten, stiegen Staubwolken auf. Von außen betrachtet, hätte man meinen können, der Text im Inneren sei  zerfallen. Stattdessen leuchteten die Seiten. Der größte Teil des Textes war handgeschrieben, und wir waren so erfreut, ihn zu sehen, dass wir alle nach Luft schnappten und Freudenlaute ausstießen. „AH“.

Arya Kshema Dharma-Belehrungen, S. H.  17. Gyalwang Karmapa am 16. Februar 2021 
Quelle: http://www.aryakshema.com/index.php/en/about      

HH. XVII Karmapa Ogyen Trinley Dorje: Das edle Herz – Die Welt von innen verändern

Es mag eine große Herausforderung sein, solch ein grenzenloses Mitgefühl zu entwickeln. Doch Mitgefühl ist nichts, was wir erst bekommen oder entwickeln müssen. Es existiert bereits in jedem von uns. Wie bösartig ein Mensch auch immer erscheinen mag, jedem wohnt Mitgefühl als integraler Teil der eignen Natur inne. Dies gilt für uns alle. Deswegen wird sich unser Mitgefühl nie erschöpfen. Es ist eine sich selbst erhaltend Kraft.

Obwohl Mitgefühl ein Teil unserer Natur ist, entwickeln und wenden wir es unterschiedlich an. Menschen haben unterschiedliche Neigungen und Wünsche, die den Ausdruck ihres Mitgefühls formen. Zunächst wird sich unser mitfühlendes Handeln innerhalb dieser Grenzen bewegen. Doch es gibt viele kontemplative Übungen, durch die wir unser Mitgefühl erweitern können. Wichtig dafür sind Wunschgebete, über unsere gegenwärtigen Grenzen hinauszugelangen, und in Zukunft besser für das Glück anderer sorgen zu können. Mein tiefster Wunsch ist es, dass all deine aufrichtigen Bestrebungen in der Zukunft in Erfüllung gehen mögen, und ich biete dir all meine Unterstützung dafür an.

H. XVII Karmapa Ogyen Trinley Dorje, Das Edle Herz – Die Welt von innen verändern

Umweltschutz und Mitgefühl

Die natürliche Umwelt, in der wir leben, benötigt unsere Aufmerksamkeit in besonderer Weise. Suchen wir nach Aktionsfeldern für unser soziales Handeln, ist der Umweltschutz der direkteste Weg. Es entstand aus der emotionalen Energie der Gier eine für unseren Planeten so verheerende globale Konsumkultur, die sich immer mehr in unsere Herzen schleicht.  Menschliche Geisteshaltungen und Gefühle sind Ursachen für eine umfassende Zerstörung unserer natürlichen Umwelt. Deshalb schützen wir am effektivsten die Umwelt, indem wir unsere Einstellungen und Gefühle verändern und Sorge für alle Lebewesen in der Welt entwickeln.

Die Welt, in der ich aufwuchs, war vollkommen von modernen Annehmlichkeiten abgeschnitten – keine Elektrizität, keine Autos, noch nicht einmal Fahrräder. Es war einer jener Orte, wo das Auftauchen von Süßigkeiten bereits große Aufregung verursachte. Wenn man als Kind drei Mal im Jahr eine Süßigkeit erhaschen konnte, war es ein gutes Jahr. Abgesehen von den wenigen Verpackungen dieser Süßigkeiten sahen wir niemals etwas aus Plastik. So mussten wir uns keine Gedanken über die Müllentsorgung machen. Es gab praktisch nichts, das nicht kompostierbar gewesen wäre.

Ich trage seitdem das Bewusstsein von Respekt gegenüber der Natur in mir. Es stärkt in mir das Gefühl der Fürsorge und der Verbundenheit mit der Natur. Als ich vier oder fünf Jahre alt war, begann eine Wasserquelle in unserem Tal auszutrocknen. Das war für die Nomaden, die in dieser trockenen Region große Herden zu den Wasserplätzen treiben, ein ernstes Problem mit großen Auswirkungen auf ihr Leben. Die Menschen waren überzeugt, dass das Pflanzen von Bäumen der Bewahrung von Wasserquellen dient. Die Wissenschaft sagt heute das Gleiche. Sie hat ihr Wissen den alten Weisheiten entnommen.

Ich pflanzte nahe dieser versiegenden Quelle einen Baum. Klein, wie ich war, übernahm mein Vater das meiste der Arbeit, doch ich erinnere mich daran, Gebete für all jene Lebewesen gesprochen zu haben, die vom Wasser abhängen. Unter den Höhenbedingungen dieser Region mit ihrem rauen Klima, ist es für Bäume schwer zu überleben, doch dieser Baum überlebte, und mit ihm auch unsere Quelle. Ich glaube, in jener Zeit wurde mein Wunsch geboren, für die Natur Sorge zu tragen.

S. H. XVII Karmapa Ogyen Trinley Dorje, Das Edle Herz – Die Welt von innen verändern)  

Gerechtigkeit in Bezug auf Nahrungsmittel

Nahrungsmittel gehören zu einem Bereich unseres Lebens, in dem wir direkt die Freundlichkeit, die wir von anderen erfahren, erleben. Hier können wir unsere Abhängigkeit von der Erde und von der Gesellschaft, in der wir leben, besonderes leicht erkennen. Immer wenn wir eine Mahlzeit zu uns nehmen, nehmen wir ein Geschenk der Erde und der Menschen, die sie uns ermöglicht haben, an. Mit jedem Bissen schmecken wir, wie wir von allem Lebendigen und dessen Wohlwollen abhängig sind.

Nahrungsmittel sind Ausdruck der umfassenden Großzügigkeit, welche die Erde uns entgegenbringt. Sie vereinen alle Aspekte unserer engen Verbundenheit mit der Umwelt in sich. Jede Mahlzeit, die auf unserem Tisch landet, ist das Ergebnis eines langen und komplexen Zusammenwirkens vieler Menschen, Pflanzen und Tiere. Dazu kommen die Wolken und der Boden.

Letztlich trägt die ganze Welt dazu bei, das Essen zu produzieren, von dem unser Überleben abhängt. Tag für Tag, unser ganzes Leben lang, hängt jede unserer Mahlzeiten von einer langen Kette von vielfältigen Bedingungen und Interaktion ab. Leider beinhalten viele der daran beteiligten Systeme die Ausbeutung von Menschen, Tieren und der Umwelt. Ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, wir essen die Nebenprodukte dieser Ausbeutung. Deshalb tragen wir die Verantwortung für das Leid von Tieren und Menschen, das in diesem Produktionsprozess entsteht.

Das heutige Welternährungssystem, das uns eigentlich alle ernähren sollte, schädigt stattdessen sowohl uns, als auch andere Lebewesen und die Umwelt und lässt viele Menschen hungern. Es ist höchste Zeit, dass wir darüber nachdenken, was wir essen und wie die Gesellschaft, in der wir leben, Nahrungsmittel produziert und verteilt.

S. H. XVII Karmapa Ogyen Trinley Dorje,  Das Edle Herz – Die Welt von innen verändern)    

Zufriedenheit ist der größte Reichtum

Es gibt gesunde und ungesunde Beziehungen zum eigenen Besitz. Ich bin zutiefst überzeugt, dass Zufriedenheit der größte Reichtum ist.  Jeder kann sie für sich entwickeln.  Jeder kann sie besitzen. Zufriedenheit ist ein unglaublicher Reichtum, der uns nichts kostet, und den wir nirgendwo außerhalb von uns suchen müssen. Die natürlichen Ressourcen für diesen Reichtum sind die Qualitäten unseres Geistes.

Zufriedenheit sorgt für tiefste Befriedigung. Wir erreichen sie, indem wir unseren Geist gut kennenlernen, und seine Ressourcen ausschöpfen. Wir können das Wissen darum, dass wir genug haben, entwickeln, uns vergegenwärtigen, dass wir nicht mehr brauchen, als wir bereits haben, und vollkommen zufrieden damit sein. Normalerweise glauben wir, wir bräuchten noch dieses und jenes, um glücklich sein zu können. Aber eigentlich ist es doch ganz einfach. Das wurde mir eines Tages während eines Spaziergangs um das Kloster bewusst.  

Es war ein schöner Tag und es wehte ein leichter Wind. Die sanfte Brise ließ mir meinen Atem bewusst werden, und mir wurden zwei Dinge klar: Ich atme, und das hängt nicht nur von mir alleine ab. Es braucht Sauerstoff dafür, und dessen Existenz wiederum hängt von tausend anderen  Bedingungen ab. Jeder einzelne meiner Atemzüge ist möglich durch diese vielen Voraussetzungen. Diese Erkenntnis ließ mich staunen. Ich wusste auch vorher schon, dass ich selbst keinen Sauerstoff herstellen kann. Doch nun wurde mir noch einmal sehr klar, dass ich praktisch mit jedem Atemzug existentiell von seiner Verfügbarkeit abhänge. Ich habe schon so oft geatmet und hätte es auch nur einen Moment lang keinen Sauerstoff gegeben, wäre mein Leben beendet gewesen. Doch er war immer da, und ist es auch jetzt in diesem Augenblick.

Diese Erkenntnis erfüllte mich mit vollkommenem Wohlbehagen. Diese gewöhnlichsten Dinge können so wundervoll sein. Fast nie richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die grundlegenden Bedingungen unserer Existenz, obwohl sie immer präsent und frei verfügbar sind. Wenn wir uns das immer wieder einmal bewusst machen, kehrt die Freude in unser Leben zurück. Wir müssen weder etwas kaufen noch etwas besitzen, um glücklich zu sein. Unsere wechselseitige Abhängigkeit sorgt einerseits dafür, dass unsere Gier nach Konsum verheerende Folgen für die Umwelt hat, sie sorgt andererseits aber auch dafür, dass die natürliche Umwelt eine Quelle grenzenloser Freude für uns ist. Um dies zu erleben, reicht es zu atmen. Wie wir unsere Verbundenheit leben, liegt bei uns.

Letztlich kommt es auf unsere ganz persönliche Einstellung an. Gelingt es uns, die Gier zu stoppen, nicht mehr nach Dingen zu jagen, die wir noch nicht haben, und die Dinge, die wir haben nicht für selbstverständlich zu halten, dann können wir Wertschätzung und Freude empfinden. Wir haben wirklich alles, was wir brauchen. Zufriedenheit ist ein unerschöpflicher Reichtum. Wir können grenzenloses Glück erfahren, indem wir einfach nur atmen.

S. H. XVII Karmapa Ogyen Trinley Dorje. Das edle Herz – Die Welt von innen verändern, S. 111-112

Die Dinge einfach halten

Wenn du dich einmal für einen bestimmten spirituellen Weg entschieden hast, empfehle ich dir, nach dem einfachsten Weg Ausschau zu halten, auf dem du vorankommst. Was du anstrebst, sollte durch deine spirituelle Praxis möglich und erreichbar sein. Halte die Dinge einfach. Der Geist arbeitet an sich sehr einfach. Wir beachten dies oft nicht. An Anfang erscheint uns der spirituelle Weg vielleicht sehr einfach und vollkommen klar. Doch nachdem wir einige Jahre praktiziert haben, bewegen wir uns manchmal rückwärts und entfernen uns immer mehr von der anfänglichen Einfachheit.

Die spirituellen Durchbrüche können auch darin bestehen, wiederzuentdecken, was wir am Anfang erkannt und erfahren haben. Spirituelle Entdeckungen beinhalten nicht, Weisheit irgendwo außerhalb von uns zu finden. Es geht darum, zu entdecken, was bereits in uns existiert. Wenn man die Inschrift eines Steins säubert, wird die ursprüngliche Gravur immer besser sichtbar. Wir sind diese Steine. Durch spirituelle Praxis erlangen wir nicht etwas, was wir vorher nicht besessen hätten, sondern wir werden für uns selbst immer sichtbarer.

S.H. 17. Karmapa Orgyen Trinley Dorje. Das edle Herz – Die Welt von innen verändern, S. 211-212

Die Übung in Geduld

Geduld ist die Weisheit, die uns ermöglich, anpassungsfähig zu bleiben. Geduld bedeutet nicht, alle Dinge zu ertragen, die wir nicht mögen, oder unseren Ärger zu verstecken, und es meint ganz sicher nicht, passiv Verletzungen hinzunehmen. Geduld schließt viel mehr den aktiven Einsatz weisen Nachdenkens ein, um zielgerichtet jeden Unmut aufzulösen, den wir anderen gegenüber hegen.   Dies wird in den buddhistischen Lehren mit folgendem klassischen Beispiel deutlich gemacht: Wenn uns jemand mit einem Stock schlägt, sind wir dann böse auf den Stock?

Analysieren wir die Situation, erkennen wir, dass es sinnvoller ist, sich über die Hand zu ärgern, die den Stock schwingt. Doch die Hand wird von einem menschlichen Geist bewegt. Und der Geist wird von Wut regiert. Schließlich ist die Wut selbst, die den Stock schwingt, und das zeigt uns, dass der eigentliche Fehler in der Wut selbst liegt. Wenn wir die Situation so betrachten, können wir vernünftigerweise unseren Unmut nicht mehr direkt gegen die Person richten, die den Stock schwingt. Wir können letztlich nur wütend über die Wut selbst sein.

In diesem Beispiel geht es nicht darum zu behaupten, wir sollten uns von anderen schlagen lassen. Es geht darum zu erkennen, dass wir unser Denken dafür einsetzen sollten, die Identitäten, die wir anderen automatisch zuschreiben, aufzulösen. Selbst wenn das Handeln anderer nur eine einzige Identitätszuschreibung nahezulegen scheint, können wir unseren Verstand nutzen, um unsere Ansicht der Menschen und Situationen zu erweitern. Dafür ist besonders hilfreich, das Handeln einer Person von der Person selbst, und vom Aufruhr der Gefühle, die sie bedrängen,  zu trennen.

Wenn uns dies gelingt, können wir andere als Opfer ihrer eignen Gefühle erkennen, und ihnen nicht mit Angst oder Wut, sondern mit Mitgefühl und der Weisheit der Geduld begegnen. So verschafft uns Geduld mehr Optionen im Umgang mit anderen

S. H. XVII Karmapa Ogyen Trinley Dorje,  Das Edle Herz – Die Welt von innen verändern

Die Vielfalt umarmen

Das Leben in einer Gesellschaft, die eine Vielfalt religiöser Überzeugungen beinhaltet, gibt uns die wunderbare Chance, Toleranz, Respekt und Liebe zu praktizieren. Toleranz, Respekt und Liebe sind Werte, die von allen großen Weltreligionen geteilt werden. Und auch die meisten säkularen Menschen vertreten die Meinung, dass Respekt gegenüber anderen Menschen ein wichtiger ethischer Wert ist.

Wir alle sind menschliche Wesen. Wir sind Nachbarn. Wir teilen einen Planeten und die gleiche Atmosphäre miteinander. Wir werden von der gleichen Sonne gewärmt und erfreuen uns alle am sanften Licht des Mondes. Darum wird es immer Gemeinsamkeiten zwischen uns geben. Spiritualität sollte unsere Aufmerksamkeit für diese Gemeinsamkeiten zu erhöhen suchen. Sie sollte uns darin bestärken, den grundsätzlichen Wert des Lebens in allen Wesen zu erkennen.

Es geht nicht darum, ob wir die Glaubensgrundsätze anderer Religionen für wahr halten oder nicht. Wenn wir um das Glück anderer ehrlich besorgt sind, sollten wir uns daran erfreuen, dass ihnen ihre Religion dabei hilft, es zu finden. Wenn ihre Religion oder ihr spiritueller Weg zu ihrem Wohlergehen beiträgt, sollte das für uns ausschlaggebend sein.

Karmapa Ogyen Trinley Dorje:  Das edle Herz

Aufmerksam für das Glück bleiben

Das vorrangige Ziel eines spirituellen Weges ist wahrhaftiges Glück. Alles andere ist zweitrangig. Wir können uns selbst befragen, wie wir authentisches, wirkliches Glück erschaffen können. Unser edles Herz und unsere menschliche Intelligenz sind exzellente Voraussetzungen dafür, wahres Glück im Leben zu finden. Doch Glück entsteht ebenso wie spirituelles Erwachen nicht durch willkürliches Handeln.

Wir erlangen kein dauerhaftes Glück, indem wir einfach dem Diktat unserer wechselnden Emotionen folgen. Und wir erreichen es auch nicht durch automatische und unbewusste Wiederholung gewohnheitsmäßigen Verhaltens. Wir müssen die uns innewohnende Intelligenz und unsere Weisheit anwenden, wollen wir den Sinn unseres Lebens entdecken. Doch dies gelingt nicht allein durch intellektuelle Analyse, denn Glück kann nicht nur vom Verstand ausgehen. Wir brauchen unser Herz dafür. Jeder Schritt im Leben – jede einzelne Erfahrung – ist eine Möglichkeit für spirituelles Wachstum.

Wenn wir gegenwärtige sind, kann uns schon das Sich-Wiegen der Grashalme im Wind zur Wahrheit wechselseitiger Abhängigkeit erwachen lassen. Wenn du dir die Zeit nimmst, ganz bei dir zu sein, kannst du viele Momente solcher stillen Entdeckungen erleben. Doch dafür musst du aufhören, Dingen, Menschen und Erfahrungen hinterherzujagen, und die Fähigkeit des Innehaltens entwickeln. Die Gewohnheit, anderem hinterherzujagen, ist stark und das Leben im 21. Jahrhundert unterstützt sie sehr. Wir sind so darin gefangen, all unsere Ziele zu verfolgen und deren widerstreitende Aspekte auszutarieren, dass wir kaum noch dazu kommen, inne zu halten, nachzudenken oder zu beten. Wenn wir in unseren vollen Kalender eine Meditation oder Reflektieren in Stille hineingequetscht haben, ist es schwierig, in dieser Zeit den Geist zur Ruhe kommen zu lassen.

Es ist nicht Erfolg versprechend, Spiritualität wie eine Aktivität unter vielen anderen zu behandeln. Die spirituelle Praxis wird sich dann in einer gehetzten Atmosphäre abspielen und zu einer Art Pflichtübung werden – etwas, das wir erledigen müssen, damit wir die anderen Dinge auf unserer „to do“-Liste auch noch schaffen. Einerseits sollten wir aufpassen, unsere spirituelle Praxis nicht wie andere tägliche Obliegenheiten abzuarbeiten, andererseits sollten wir sie nicht vom Rest unseres Lebens abkoppeln. Wenn sich unser Leben durch die spirituelle Praxis verändern soll, sollte es keine Lücke zwischen den alltäglichen Dingen des Lebens und der Praxis geben. Die Spiritualität muss mit dem Leben verschmelzen.

Spiritualität ist ein Prozess der Selbstentdeckung. Was nicht schon als Erfahrung in dir ist, kannst du auch nicht entdecken. Spiritualität muss sich in uns entwickeln. Wenn du Spiritualität als etwas von deinem Leben Getrenntes betrachtest, kann dein Leben sehr von Spiritualität geformt werden. Doch dein Leben sollte deine Spiritualität formen, und nicht umgekehrt. Du verstehst deine Spiritualität – und vielleicht das ganze Universum – durch dein eigenes Leben. Manche Menschen haben die Erwartung, spirituelle Praxis würde aus bestimmten Techniken bestehen, durch deren Anwendungen das Leben spirituell werde. Doch wenn wir das, worum es uns geht, im Blick behalten und wir mit unseren spirituellen Prioritäten verbunden bleiben, sollten sich „spirituelle“ und „nicht-spirituelle“ Aktivitäten nicht unterschiedlich anfühlen.

Eine der größten Herausforderungen im Leben besteht darin, achtsam dafür bleiben, wer wir sind und was wir tun. Dieses Gewahrsein ständig lebendig zu halten, ist eine große Unterstützung für unser spirituelles Wachstum. Ein Aspekt spirituellen Lebens ist, bewusst zu leben. Dafür müssen wir so achtsam wie möglich sein. Ohne Achtsamkeit werden wir zu Schlafwandlern im eigenen Leben.

Wir handeln, ohne zu wissen, was wir tun. Sich viel Wissen und viele spirituelle Techniken anzueignen, ohne sie mit Achtsamkeit anzuwenden, entspricht einem hervorragenden Schwimmer, der so plötzlich ins Wasser fällt, dass er nicht mehr weiß, wer er ist und was er tun soll. In seiner Panik vergisst er sogar, dass er ein großartiger Schwimmer ist und an Land schwimmen sollte. All seine Techniken erweisen sich genau in dem Moment als nutzlos, in dem er sie am meisten braucht, denn es fehlt ihm an Achtsamkeit.

S. H. XVII Karmapa Ogyen Trinley Dorje. Das Edle Herz – Die Welt von innen verändern, S. 213-215

Unser Lebensweg

Die Art und Weise, wie du dein Leben führst, kann deine Antwort auf die Frage sein, wie du deinen Platz in der Welt zu einem besseren Ort machen kannst. Durch das Leben, das du führst, gestaltest du Welt, die dich umgibt. Wenn Entscheidung anstehen, in welche Richtung du dein Leben vorantreiben willst, solltest du deine Interessen und Fähigkeiten, ebenso wie die tatsächlich gegebene Realität dabei in Betracht ziehen. Willst du dein Leben der Gestaltung einer besseren Gesellschaft und Welt widmen, kannst du keine falsche Wahl treffen. Du könntest dich Problemfeldern widmen, die dich am meisten beschäftigen, doch das bedeutet nicht, sich anderen Bereichen zu verschließen. Es ist wichtig, immer wieder daran zu denken, dass letztlich alle Probleme miteinander verbunden sind.

Ob du dich mit persönlichen, sozialen oder Umweltfragen beschäftigst, keine dieser Fragen existiert getrennt von anderen. Wir können sie im Einzelnen betrachten, doch eigentlich sind sie nicht voneinander zu trennen. So sind zum Beispiel Fragen des Umweltschutzes eng mit der Ernährungsgerechtigkeit und mit sozialem Handeln verflochten, was wiederum mit unserer Konsumkultur, der Gier und den dadurch notwendigen Konfliktlösungen zu tun hat. Die Aufrechterhaltung gesunder Beziehungen, das Hinterfragen von Geschlechteridentitäten, das Nähren unseres Mitgefühls und die Integration unseres spirituellen Wachstums in ein sinnerfülltes Leben – all diese Aspekte sind ebenso miteinander verbunden. Keines dieser Themen ist auf einen Lebensbereich oder auf einen bestimmten Ort in der Welt beschränkt. Wir alle, die wir diesen Planeten bewohnen, sind zutiefst voneinander abhängig. Da die ganze Welt eng miteinander verflochten ist, hat jedes lokale Problem Konsequenzen für viele andere Orte. Deshalb hat jede positive Veränderung, die du in einem Bereich bewirkst, positive Folgen für andere Bereiche.

Ganz gleich, welchem Problembereich du dich widmest, das Entscheidende ist, dass du deine Aktivitäten mit deinen edelsten Bestrebungen verbindest. Zuerst solltest du deine Aufmerksamkeit darauf richten, selbst einen gesunden Lebensstil zu pflegen, der diesen Bestrebungen entspricht. Du könntest damit beginnen, ein guter Mensch zu sein. Dann bietest du anderen heilsame Möglichkeiten, es dir gleich zu tun, und bist darum bemüht, zu deren Glück und Wohlergehen beizutragen. So könntest du auf zweifache Weise nützlich und hilfreich sein – für dich und andere.

Doch edle Absichten und gute Wünsche allein reichen nicht aus. Die Absichten, die zunächst im Herzen entstehen, sind die anfänglichen Verbindungsglieder in den Kausalketten und führen zu großen Ergebnissen in der realen Welt. Was immer du tust, es hilft herzliche und mitfühlende Verbindungen in der Welt zu stiften, Deine Aktivitäten müssen nur auf der Basis edler Absichten ausgeübt werden. Bei ungünstigen Umständen ist es wichtig, nicht den Halt zu verlieren. Basiert dein Selbstverständnis nicht auf deiner eigenen inneren Weisheit, sondern nur darauf, anderen zu folgen, werden dich Herausforderungen schnell aus der Bahn werfen können.

Um sich selbst treu zu bleiben, kann es hilfreich sein, Wissen und Weisheit zu unterscheiden. Wissen erlangen wir durch andere. Wir lernen durch Erfahrung anderer und leiten aus deren Erfahrungen Wichtiges für uns ab. Wissen entspricht in diesem Sinne der Imitation. Doch Weisheit entdecken wir in uns selbst. Weisheit ist das Wissen, das aus unserem eigenen Geist und Herzen an die Oberfläche drängt.

Quelle: Karmapa Orgyen Trinley Dorje. Das edle Herz – Die Welt von innen verändern

Alles ist möglich

Wenn du davon träumst, was das Leben alles für dich bereithalten könnte, solltest du wissen, dass alles möglich ist. Vielleicht siehst und empfindest du es nicht immer so, aber die Möglichkeit, den Kurs zu ändern, steht dir in jedem Moment offen. Dein Leben verändert sich ständig. Veränderung ist die einzige Konstante deiner Existenz. Der Mensch, der du heute bist, ist nicht der gleiche wie der, der du in zehn, fünf oder auch nur einem Jahr sein wirst. Deine Lebensbedingungen ändern sich ständig, du reagierst darauf, und dies formt wiederum dich. In diesem Prozess verfügst du nicht nur über unbeschränkte Freiheit, dich selbst zu formen, sondern du veränderst auch die Welt. Die Frage ist, wie du mit diesen unbeschränkten Möglichkeiten, die die Grundlage deines Lebens bilden, umgehst. Wie kannst du ein sinnvolles Leben inmitten einer sich ständig verändernden Welt führen?

Buddhistisches Denken widmet sich in besonderer Weise genau diesen Fragen. Die Vorstellung, dass das Leben ein Raum unbegrenzter Möglichkeiten ist, wird in den Konzepten von „wechselseitiger Abhängigkeit“ und „Leerheit“ entfaltet. Der Begriff der Leerheit suggeriert möglicherweise die Vorstellung von Nichts oder Leere, doch tatsächlich soll er uns daran erinnern, dass nichts in einem Vakuum existiert, sondern in gegenseitiger Verbindung mit anderem. Alles ist eingebettet in einen Kontext – in ein komplexes Geflecht von Bedingungen. Und diese Bedingungen sowie dieser Kontext ändern sich ständig. Wenn wir davon sprechen, dass die Dinge „leer“ sind, meinen wir damit, dass sie keine außerhalb dieser sich verändernden Kontexte unabhängige Existenz haben.

Da in diesem Sinne alles leer ist, ist aber auch alles in der Lage, sich ständig neu anzupassen. Auch wir besitzen diese grundlegende Flexibilität, uns an alles anzupassen bzw. uns zu verändern und alles zu werden. Leerheit sollte also nicht mit „Nichts“ verwechselt werden; im Gegenteil: Leerheit ist voller Potential, voller Wirkkraft. Richtig verstanden, kann das Konzept der Leerheit eher unseren Optimismus als unseren Pessimismus nähren, denn es erinnert uns an unsere grenzenlosen Möglichkeiten und an unsere Gestaltungsspielräume in der Welt. Wechselseitige Abhängigkeit und Leerheit zeigen uns, dass es keine festgelegten Vorbedingungen für Veränderung gibt. Was immer wir haben, wo immer wir sind – das ist genau der richtige Ort, zu beginnen. Wir brauchen dafür nichts. Viele Menschen meinen, es fehle ihnen etwas, Macht oder Geld, um ihre Träume zu leben. Doch jeder Zeitpunkt ist der richtige, um an den eigenen Träumen zu arbeiten.

Diese Perspektive eröffnet uns die Leerheit. Wir können bei null anfangen. Alles kann entstehen, weil nirgendwo festgelegt ist, wie Dinge sein müssen. Jede Manifestation hängt von den Bedingungen ab, die in diesem Moment zusammenkommen. Doch „alles ist möglich“ bedeutet nicht, dass das Leben zufällig oder willkürlich wäre. Wir können alles möglich machen, doch nur, indem wir die notwendigen Bedingungen dafür schaffen. An dieser Stelle verbinden sich die Konzepte von Leerheit und wechselseitiger Abhängigkeit. Jeder Mensch, jeder Ort und jedes Ding ist in seiner Existenz vollständig abhängig von anderen – sowohl von anderen Menschen als auch von anderen Dingen.

Zum Beispiel sind wir gerade jetzt lebendig, weil wir uns der notwendigen Bedingungen für unser Überleben erfreuen. Dazu gehören die zahllosen Mahlzeiten, die wir in unserem Leben bereits eingenommen haben, aber auch die Sonne, die auf die Erde scheint, und die Wolken, die den Regen bringen, sodass das Getreide gedeiht. Bestimmte Menschen kümmern sich um das Getreide, ernten es und bringen es zum Markt. Andere bereiten daraus ein Mahl für uns. Dieser Prozess verbindet uns, weil er ständige Wiederholungen erfährt, mit immer mehr Menschen auf der Welt, mit immer mehr Sonnenstrahlen und Regentropfen. Letztlich sind wir mit nichts und niemanden auf dieser Welt nicht verbunden. Dies beschreibend, prägte der Buddha den Begriff der wechselseitigen Abhängigkeit oder des abhängigen Entstehens. Sie ist die Natur menschlichen Lebens, aller Dinge und Situationen.

Wir sind alle miteinander verbunden und zugleich die Bedingungen für die Existenz anderer. Unter all den Bedingungen, die uns beeinflussen, sind die Entscheidungen, die wir treffen, und die Schritte, die wir unternehmen, besonders wichtig: Sie tragen maßgeblich zu den Folgen unseres Handelns bei. Handeln wir konstruktiv, so entsteht etwas Konstruktives. Handeln wir jedoch destruktiv, werden die Ergebnisse destruktiv und leidbringend sein. Alles ist möglich, doch wir müssen bedenken, dass alles, was wir tun, zählt und weit über uns persönlich hinausreicht. In einer Welt der wechselseitigen Abhängigkeit zu leben hat daher ganz bestimmte Konsequenzen für uns. Es bedeutet, unser Handeln hat Auswirkungen auf andere; dies macht uns füreinander verantwortlich.

S. H. XVII Karmapa Ogyen Trinley Dorje, Das Edle Herz – Die Welt von innen verändern